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Die Dekonstruktion des Welthandelszentrums

Einführung

Ken Wilber

"Die Dekonstruktion des WTC—Ein Datum, das in einer gleitenden Kette von Signifikanten weiterleben wird" ist ein Auszug aus dem Roman Boomeritis und handelt von dem Angriff auf das WTC und das Pentagon am 11. September. Der Roman selbst wird im kommenden April erscheinen. Es war eigentlich nicht meine Absicht, etwas vor diesem Datum zu veröffentlichen; die neuesten Ereignisse haben mich eines anderen belehrt.

Es gibt ein monumentales Problem dabei, ach ja. Dieser Auszug wird am Ende des Buches stehen, und deshalb wird vieles davon wenig Sinn machen, bevor man zuerst das ganze Buch gelesen hat; es werden tatsächlich mehrere falsche Folgerungen gezogen werden, wenn man dieses Stück allein liest.

Dennoch habe ich mich entschieden, es aus den folgenden Gründen schon zu veröffentlichen.

Einmal weil ich mit Fragen über die Attacke überflutet wurde—was dachte ich darüber, was ist seine Bedeutung, was ist eine angemessene Antwort, individuell als auch kollektiv ? Es ist sicherlich angebracht, dass etwas gesagt wird, doch jede der Situation gerecht werdende Antwort würde umfangreich und nuanciert sein—der Abschnitt im Roman, der das tut, ist über 80 Seiten lang. Ich entschloss mich dazu, dass es keinen Grund für mich gibt, diese 80 Seiten noch einmal neu zu schreiben.

Zweitens: Obgleich es ein Auszug aus einem Roman ist, ist es das nicht wirklich. Lassen Sie es mich erklären. Der Roman ist ziemlich genau wie jeder andere Roman—ungefähr 350 Seiten Dichtung. Ohne allzu viel zu verraten: Der Roman spielt von einem 20jährigen jungen Mann, der einen Abschluss in Künstlicher Intelligenz beim MIT bekommt. Er macht sich allmählich Sorgen bei dem Gedanken—dies ist ganz normal in Kreisen der Künstlichen Intelligenz –dass nach annähernd 30 Jahren Maschinen die Intelligenz der menschlichen Ebene erreichen werden. Er glaubt deshalb fest daran, dass er innerhalb seiner Lebenszeit in der Lage sein wird, sein Bewusstsein vollständig nach Silicon Cybercity herunterladen und der schmutzigen Welt des Kohlenstofffleisches einen Abschiedskuss geben kann.

Im Laufe seiner Studien entschließt er sich dazu, falls er wirklich verstehen möchte, wie die Bewusstseinsentwicklung in der kommenden Siliconwelt aussehen wird, die Evolution und Entwicklung des Bewusstseins in der Kohlenstoffwelt—d.h. bei den Menschen—zu studieren—und vielleicht ein paar Hinweise aufzuschnappen. Das führt ihn schließlich zu einem Integralen Zentrum in Cambridge (ja, offensichtlich nach dem Integralen Institut geformt—doch mit mehreren postmodernen Verdrehungen, die den inneren Witz des Buches selbst bereitstellen: und ich kann Ihnen definitiv nicht sagen, welche das sind!).

Während sich sein Verständnis von der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins vertieft, wird er fasziniert von der Idee, dass das Siliconbewusstsein wachsen und sich entfalten wird und dass es sich tatsächlich das gesamte Spektrum des Bewusstseins hinauf entfalten wird....vielleicht sogar zum GEIST selbst. Und so wird er besessen, absolut besessen von dem Gedanken: wer wird zuerst Gott auf einer weitgestreuten Skala entdecken, Kohlenstoff oder Silicon ?

Selbstverständlich kann ich Ihnen nicht mehr darüber erzählen, ohne die ganze Geschichte zu verderben. Doch eins kann ich noch hinzufügen: der Roman ist als eine Kritik von Boomeritis oder vom Narzissmus angestecktem Pluralismus gemeint. Und deshalb – das war das Haupterfordernis beim Schreiben – muss der Roman selbst alles beispielhaft darstellen, was er kritisiert, dadurch wird er eine selbstbewusste Parodie genau des Kritisierten – und dies ist genau das, was Boomeritis selbst macht. Deshalb wird das Buch als „der große postmoderne Roman" angekündigt (so haben es einige Kritiker schon genannt), weil es in einer guten postmodernen Weise seinen eigenen Schwanz frisst.

Die detaillierte Kritik der Boomeritis, die der Roman erzeugt, kann natürlich nur beim Lesen selbst verstanden werden. Alles was ich sagen kann, ist dass es eine anhaltende, seriöse und kritische Untersuchung von Boomeritis ist, die die Postmoderne infiziert hat, fast alle der postmodernen Bewegungen, New Age Spiritualität, Forderungen nach neuen Paradigmen, transpersonale Psychologie, Transitastrologie, sogar UFO – Entführungen – wie sie alle einen Zwanzigjährigen beeindrucken, dessen Eltern einen sehr schlechten Anteil daran haben.

Das Problem beim alleinigen Lesen des folgenden Auszugs, ohne die 350 Seiten der sorgfältig präsentierten Beweise zu lesen, lässt es so aussehen, als würden die Charaktere einfach emotionale Tiraden gegen die Nachkriegsgeneration (Boomers) oder das grüne Meme hervorsprudeln – was grundsätzlich nicht der Fall ist. Dennoch wird die Handvoll an Kritikern, die in diesem Auszug erwähnt werden, deshalb genau das tun, was die Handvoll derjenigen getan hat, die in Eros, Kosmos, Logos kritisiert wurden: sie lasen die Anmerkungen in EKL, die ihre Arbeit kritisieren, ohne zuerst das ganze Buch zu lesen, und sie wurden so aufgebracht, dass sie danach das Buch wirklich nicht mit einem offenen Geist lesen konnten; die gesamte nachfolgende Diskussion mit diesen Kritikern hat deshalb nie den Status eines authentischen Dialogs erreicht, sondern verblieb auf der Ebene des Tadelns und Beschuldigens des ersten Ranges. Das Gleiche wird mit diesem Auszug geschehen, und das bedauere ich wirklich.

Wenn wir schon von Anmerkungen reden, dann vergaß ich zu erwähnen, warum dieser Auszug nicht wirklich ein Teil des Romans ist. Er ist Teil der Anmerkungen zu diesem Roman.

Anmerkungen zu einem Roman ? Das kann doch keine gute Sache sein, richtig ? Bei dieser tollen Idee kann man die Verkaufszahlen sinken sehen.

Tatsächlich gibt es keine Ziffern für Anmerkungen im Roman oder irgend etwas, was vermuten lässt, der Roman selbst habe Anmerkungen. Außer einer kleinen Anmerkung zu Beginn des Buches, die besagt: „Im Lauf dieses Jahres habe ich umfangreiche Notizen, akademische und andere, gemacht über die eigenartigen Handlungen, die mein Leben zu definieren begannen. Diese Notizen und Referenzen können in ihrer Gesamtheit bei http://wilber.shambhala.com gefunden werden."

Wenn Sie dann zu diesem Link gehen, werden Sie so etwa 150 Seiten an Anmerkungen finden. Dann noch etwa 150 Seiten von Seitenstreifen-Anmerkungen. Darunter ist ein 80-Seiten langes Stück über das WTC gesetzt. Deshalb ist es ein 350 – Seiten – Roman mit rund 380 Seiten Anmerkungen. Ach du meine Güte. Wie einer meiner Freunde sagte: „Wie positiv Wilber von dir." Mir ist ziemlich klar, dass das kein großes Kompliment war.

Doch irgendwie gehen die Anmerkungen mit den ersonnenen Charakteren im Roman weiter. Doch genau gesagt, werden diese Charaktere überhaupt nicht in Anmerkungen entwickelt. Die sollen wirklich gerade das sein – akademische Anmerkungen – und nichts, was einem literarischen Roman ähnlich ist (was der Roman hoffentlich sein wird). Als ich diesen Auszug zuerst für das Feedback herumreichte, haben viele Menschen – die den Auszug, jedoch nicht das Buch, gelesen hatten – so ähnlich geantwortet: „Der Inhalt gefiel mir, doch du bist kein Romancier. Die Charaktere sind alle flach, und alle klingen wie du. Nimm dir wirklich einen Ghostwriter."

Gut, zu meiner Verteidigung muss ich ein kleines Bisschen von dem Buch herausrücken. Erinnern Sie sich daran, dass ich sagte, um mit dem Kritisieren von Boomeritis Erfolg zu haben, muss der Roman selbst alles beispielhaft erwähnen, was er kritisiert ? An einer Stelle des Buches führt ein IC Professor die sieben Hauptmerkmale der Postmoderne aus – was wirklich bedeutet: die sieben Hauptmerkmale der Postmoderne durchschossen von Boomeritis, wie es bei fast der ganzen pluralistischen Postmoderne der Fall ist. Deshalb sind diese sieben Merkmale genau die sieben Themen, die das Buch selbst zeigen muss. Der Professor drückt dies so aus:    

"Für Anfänger muss der Roman selbst, um wirklich postmodern zu sein, die Postmoderne kritisieren, weil die Postmoderne grundsätzlich eine Stimmung des Kritisierens ist. Doch um das tun zu können, muss der Roman alles beispielhaft darstellen, was er kritisiert. Das würde der wirkliche Trick sein: einen Roman zu schreiben, der alles verkörpert, was er angreift."
  "Weil die Postmoderne endlos und oft zum Überdruss selbstreflexiv ist, stellen Sie zum Beispiel sicher, dass der Hauptcharakter nach Ihnen benannt ist, und machen Sie den Roman auf jede Ihnen mögliche Weise genau wie Sie, während Sie ständig den pathetischen Narzissmus von allem kritisieren. Ja ?"

Deshalb ist der Name des 20jährigen Hauptcharakters Ken Wilber. Ich kann nicht die anderen sechs Punkte des „perfekten postmodernen Romans" preisgeben, ohne alles zu verderben, doch ich kann ein Bisschen von Nummer 5 geben. Der Professor – ihr Name ist Lesa Powell, Sie werden sie im Auszug antreffen – erklärt, dass weil die Postmoderne in Flachland vernarrt ist – keine Tiefe, nur Oberflächen – dann alle Charaktere im perfekten postmodernen Roman ... nun, wie es Lesa ausdrückt und wie Kim und Ken (Wilber) – zwei Studenten, die der Vorlesung beiwohnen, antworten:   

Fünftens: Dies meint im besonderen, dass alle Charaktere flach sein müssen und zweidimensional. Nicht eindimensional, jedoch auch nicht dreidimensional. Dies ist perfekt in Übereinstimmung mit dem postmodernen Credo, dass es keine Tiefen, sondern nur Oberflächen gibt, und deshalb müssen für Ihre Charaktere die Wörter „flach" und „zweidimensional" zutreffen. Flachland-Charaktere für den perfekten Flachland-Roman, ja ?"
    „Mein Gott, Kim, das ist genau, wie ich es fühle – flach und zweidimensional."
   „Ich auch, Ken, ich auch. Als wäre mein Leben – mein gesamtes Leben – innerhalb eines postmodernen Romans, wie ihn Powell beschreibt, gefangen. Als wäre mein Leben nicht mein eigenes – als wäre ich sogar nicht der Autor meiner eigenen Handlungen, meiner eigenen Gefühle, meiner eigenen Wünsche. Als würde sich der gesamte Gedanke der Autorenschaft selbst auflösen. Ich werde von einem selbstreflexiven postmodernen Trottel geschrieben, und das ist mein Leben. Jesus, wo ist das Prozac (antidepressives Medikament; A.d.Ü.)?

Und so ist es im Roman selbst, obwohl die Charaktere oft Leben erhalten, erreichen sie jedoch niemals ganz die Qualität großer Literatur, obgleich sie sehr amüsant sind, wie ich hoffe. Die Kritiker werden natürlich sagen: „Ja, hätte er denn große Literatur schreiben können, anstelle eines großen postmodernen Romans, angenommen er hätte das getan ?" Und die Antwort wird sein: Wir werden es nie erfahren, nicht wahr ? Alles was ich Ihnen sagen kann, ist dass die zweidimensionale Tiefe der Charaktere so beabsichtigt ist, wie ich es nur tun konnte.

Doch weshalb erwähne ich das alles: Als die Anmerkungen beginnen – die Notizen, die auf der Shambhala.com stehen und die nicht im Roman selbst zu finden sind – wendet sich Kim an Ken und sagt:    

"Ich habe mich schon gewundert. Wenn ein postmoderner Roman Anmerkungen hat und..."
"Weshalb sollte überhaupt ein Roman Anmerkungen haben ?", unterbrach ich ihn.
"Ich weiß es nicht. Verwirrter Autor, der nicht die Klappe halten kann und sich zu allem äußern muss. Lass es mich zu Ende führen. Wenn ein postmoderner Roman Anmerkungen hat, und in dem Roman sind die Charaktere zweidimensional, heißt das nicht, dass sie in den Anmerkungen nur eindimensional sein werden ?"
"Ich vermute es mal. Weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass ich mich wie verdampft fühle, eine Art von Dahinschwinden, blass werden und blutarm, und...Kim ...? Kim...?"

Gut, Sie haben die Stelle erfasst. Ein Teil des Romans ist eine selbstreflexive Parodie, ein postmodernes Niedermachen der Postmoderne (oder vielmehr: die Postmoderne von Boomeritis angesteckt, was mit ihr fast gänzlich der Fall ist). Ich denke, dass deshalb die meisten Menschen es als ein sehr witziges Buch ansehen, soweit ich vom Feedback her urteilen kann. Das habe ich auch beabsichtigt, es zu einem großartigen Lesevergnügen zu machen.

Doch es ist auch sehr ernst mit seinen Feststellungen, und dies ist im Buch auch offensichtlich. Dies kann sicherlich im WTC Auszug gesehen werden, der folgt. Denken Sie bitte wieder daran, dass dies nicht auf den Schreibstil des Romans selbst hindeutet und auch nicht auf irgendeines der erzählerischen Mittel (einige von ihnen sind ziemlich originell, glaube ich), die das Buch zu einer anderen Leseerfahrung machen.

Auch wird nichts in dem Auszug – oder in einigen anderen Abschnitten der Anmerkungen, die ich in den folgenden Wochen einreihen werde – irgendeinen Hinweis darauf geben, was wirklich in dem Roman passiert – nichts von der wirklichen Handlung, den Verwicklungen etc. Auch wenn Sie deshalb nicht in der Lage sein werden, alle Punkte in dieser Anmerkung mitzubekommen, ohne vorher den Roman zu lesen, wird das Lesen der Anmerkung den Roman nicht in einer bedeutenden Weise beschädigen (auch wenn der eindimensionale Dialog Sie verrückt machen mag).

Von allen, die das Beste aus dieser Anmerkung herausholen wollen, müssen zuerst einige wenige technische Einzelheiten verstanden werden. Wenn Sie es noch nicht getan haben, dann empfehle ich Ihnen, wenigstens das 1. Kapitel von „Eine kurze Geschichte des Kosmos" zu lesen. Vorzugsweise das ganze Buch, doch wenigstens das 1.Kapitel.

Der folgende Auszug gibt einen Überblick über das volle Bewusstseinsspektrum – etwa 12 Hauptstreifen oder Farben im Großen Regenbogen – und vermutet dann die typischen Antworten auf den terroristischen Angriff, die jede Ebene, jeder Streifen oder jede Welle haben würde.

Wenn Sie dies hauptsächlich interessiert, dann gibt es einen langen Mittelabschnitt über integrale Politik, der übergangen werden kann. Teil I gibt die Erstrang- und Zweitrang-Antworten; Teil II umreißt eine integrale Politik; Teil III gibt die Drittrang-Antworten. Viele Menschen sind nur an Teil I und III interessiert, und das ist gut so. Ich habe Abschnittsüberschriften eingefügt, damit diese Teile gefunden werden können.

Es kommt mir etwas peinlich vor, diese eindimensionalen Notizen herauszugeben, wenn noch nichts vom Roman das Licht der Welt erblickt hat. Deshalb stelle ich mit dem Segen von Shambhala zuerst den Prolog zum Roman ein (siehe im Folgenden). Er ist sehr kurz und zeigt keine der literarischen Mittel, die hoffentlich den Roman zu einem postmodernen Freudenritt machen werden, sondern er gibt eine Kostprobe des Stils, die vielleicht als Gegengewicht zu dem Blei der Anmerkungen auftreten können (die in den nächsten Wochen oder so eingestellt werden).

Wenn etwas passiert, dann hoffe ich, dass dies der Beginn einer Leseerfahrung ist, die Sie für neue Sichtweisen öffnen wird auf Ihrer weitergehenden Reise zu Ihren eigenen tiefsten Schätzen.


Übersetzt von Hans-Peter Lin