INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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Integraler als Sie

Eine Erwiderung auf Jacobs' "Antwort auf Ken Wilbers Integrale Theorie des Bewusstseins"

Frank Visser

Roy Posner, der Präsident und Gründer von www.growthonline.org, einer Webseite, die dem Thema der Entwicklung in ihren vielen Varianten gewidmet ist, die durch die Lehren von Sri Aurobindo inspiriert werden, schickte mir ein Schriftstück, das „Antwort auf Ken Wilbers Integrale Theorie des Bewusstseins" hieß. Sein Autor, Garry Jacobs, trägt zu dieser Webseite bei und hat viele Jahre Aurobindos Lebensphilosophie studiert. Sein Essay versucht, die hauptsächlichen theoretischen Unterschiede zwischen Wilber und Sri Aurobindo zu behandeln, dies ist ein willkommener Beitrag zu einem Studiengebiet, das noch in den Kinderschuhen steckt: Wilberiana oder das vergleichende Studium von Wilber und den vielen von ihm benutzten Quellen. Sri Aurobindo ist wirklich einer der Hauptpfeiler in dem von Wilber errichteten Gebäude – obgleich es viele, viele andere gibt – und aus diesem Grund allein ist ein Essay zeitgemäß, das von jemandem geschrieben wurde, der offensichtlich mit dem System Aurobindo sehr vertraut ist. Die meisten der über Wilber geschriebenen kritischen Essays leiden an der Tatsache, dass ihre Autoren sich nicht die Zeit genommen haben, Wilbers Werk in seinem vollen Umfang zu studieren. Lassen Sie uns sehen, ob Garry Jacobs es schafft, diese Fallgrube zu vermeiden. Jacobs' Schriftstück hat nicht eine einzige Referenz zu Wilbers Werk, noch finden wir wörtliche Zitate, was es für den Leser schwer macht zu erkennen, wo der Autor Wilbers Punkte genau betrachtet und wo er seine eigenen Zusammenfassungen und Interpretationen anbietet. Auch Aurobindos Worte werden in dem Artikel nicht präsentiert, so lässt Jacobs wenigstens beiden Autoren die gleiche Behandlung zuteil werden. Da ich als Autor von „Ken Wilber: Denken als Leidenschaft" voll in Wilbers Universum zu Hause bin, bin ich vielleicht mit Jacobs gleichauf, denn beide sind wir Interpreten für einen Autor, der nach unserer Meinung der Welt viel zu sagen hat.

Sri Aurobindo schrieb "Die Synthese des Yoga" und war mit seinem integralen Ansatz ein Pionier für dieses Gebiet. Und Haridas Chaudhuri, einer seiner Schüler, schrieb „Integraler Yoga"; er gründete auch das kalifornische Institut für Integrale (früher östliche) Studien. Seit etlichen Jahren benutzt Wilber ebenfalls den Begriff „integral" für seinen Ansatz , was durch eines seiner neuesten Bücher bewiesen wird, „Integrale Psychologie"(2000), und durch das Integrale Institut, das er im gleichen Jahr gründete. Der Begriff „integral" ist allerdings nicht das Eigentum von irgend jemandem, doch wenn Jacobs feststellt „obwohl er seinen Ansatz eine „integrale" Theorie nennt, sieht mehr wie eine Zusammenfassung oder bestenfalls eine Synthese aus, als vielmehr eine einzigartige Integration", sieht dies sehr nach einer Haltung „integraler als Sie" aus. Darüber hinaus hat Wilber in „Eros, Kosmos, Logos" ein machtvoll originelles ontologisches und epistemologisches Metasystem dargeboten, das wegen seiner Vollständigkeit und Kohärenz viele unterschiedliche Systeme integrieren kann, einschließlich Aurobindos – Wilbers Ansatz ist daher eine echte und höchst originelle Integration, nicht bloß eine Synthese.

Wie viele Kritiker Wilbers lobt Jacobs ihn auch, dass er eine großartige Vereinigung allen menschlichen Wissens geschaffen hat, in der sowohl die wissenschaftliche als auch die spirituelle Dimension in Ehren gehalten werden. Am Ende seines Schriftstücks macht Jacobs seinem Gefühl der Enttäuschung Luft: „Auch wenn er die höheren spirituellen Ebenen in sein Modell mit einbezieht und den Geist als die wirkliche Basis darstellt, ist das Modell selbst genau genommen eine mentale Formulierung." Ein solches Urteil lässt einen sprachlos werden: Wie könnte ein theoretisches Modell des menschlichen Geistes etwas anderes sein als eine mentale Formulierung ? Wilber schreibt keine Poesie, obgleich er auch seine lyrischen Momente hat, sondern er ist jemand, der versucht, in einer akademischen Weise für eine spirituelle Weltsicht in einem modernen und postmodernen kulturellen Klima zu argumentieren, das sich feindlich oder sogar gleichgültig diesen Themen gegenüber verhält. Wie er in einem Interview mit Yoga Journal 1987 sagte: „Die gesamte Schubkraft meiner Arbeit gilt der Legitimation der spirituellen Praxis, um ihr eine akademische Begründung zu verleihen, sodass es sich die Menschen zweimal überlegen, bevor sie die Meditation als eine Art narzisstischen Rückzug oder ozeanischer Regression abtun. Das ist alles."

Das ist nicht dasselbe wie die Reduzierung von Spiritualität auf Rationalität, wie es Jacobs innerhalb seines Artikels zu vermuten scheint, als würde er von Wilber erwarten, dass er uns mit einer spirituellen Lebensphilosophie versorgt, die alle unsere Probleme beantwortet. So wertvoll das auch selbst wäre, könnte Wilbers Arbeit als die nächstbeste Sache charakterisiert werden. Er versucht, ein wissenschaftlich vernünftiges Verständnis von Spiritualität zu geben, auch wenn dies einen Wechsel unserer Betrachtungsweise von Wissenschaft selbst einschließt. Wie Wilber bei vielen Gelegenheiten betont, ist er „ein Gelehrter (Pandit), nicht ein Guru", und dies sagt andererseits alles. Mehr von Wilbers Präsentation zu erwarten, wäre ein Haupthindernis für jede „bloß mentale" Diskussion. Wilber selbst führt seine Position in seiner neuen Schrift aus: „ Über die Natur einer post-metaphysischen Spiritualität: Antwort auf Habermas und Weis" (befindet sich auf dieser Seite). Jacobs diskutiert die Themen Bewusstsein, Holons und Hierarchie, Quadranten, Wissenschaftstypen, Ego und Evolution, die Universalität von Leben und Verstand, Transzendenz und Transformation, Gesellschaftsentwicklung und eine Gesamtbewertung. Wir werden sie einzeln behandeln.

Bewusstsein

Gemäß Jacobs – und ich muss die vielen Bemerkungen umschreiben , die er in dieser Hinsicht macht - ist Bewusstsein bei Wilber die Summe aller Entwicklungsveränderungen in allen vier Quadranten und vollständig davon abhängig, was in diesen vier Quadranten geschieht. Wilber definiere nicht, was Bewusstsein an sich sei, noch denke er über die Quelle dieses Bewusst-seins nach, was auch die Quelle aller Evolution sei. Diese Ursache ist nach Sri Aurobindo der Involutionsprozess. Jede notwendige Stufe unseres Entwicklungsprozesses, schreibt Jacobs, sei vorherbestimmt und bereitgestellt durch die vorherige Involution. Offensichtlich hat Jacobs nicht „Das Atmanprojekt" gelesen, dessen letztes Kapitel dem Involutionskonzept gewidmet ist. Wir lesen: „Involution oder die Ausfaltung des Niederen ist die Vorbedingung der Evolution, oder die Ausfaltung der höheren Stufen aus den niederen" (S. 160-161).Während es wahr ist, dass Wilber seitdem nicht mehr ausführlich über das Thema der Involution geschrieben hat, ist es dennoch ein Eckstein seines Systems. Ohne sie wäre Evolution ein bloßes Raffinieren von Materie, ohne ein wirkliches Wachstum an Sub-jektivität. Wilber betont wieder die Wichtigkeit der Involution in der Einführung zu Band 2 seiner Gesammelten Werke, doch er führt aus, weshalb ein post-metaphysischer, post-Auro-bindischer Ansatz jetzt gefragt ist (wie er es vollständig erklärt in „Über die Natur einer post-metaphysischen Spiritualität: Erwiderung auf Habermas und Weis" (auf dieser Webseite zu finden).

Hier ist übrigens eine Definition von Bewusstsein: „Was die meisten Panpsychisten meinen, wenn sie Bewusstsein oder Geist sagen, ist nicht, was ich mit Bewusstsein meine, was Tiefe ist. Weil Bewusstsein Tiefe ist, ist es selbst buchstäblich nicht qualifizierbar. Es ist Tiefe, nicht etwa irgend eine qualifizierbare Ebene von Tiefe (so wie Gefühl oder Impuls oder Wahrnehmung oder Absicht) – jene sind alle Formen von Bewusstsein, aber nicht Bewusst-sein als solches." (Eros, Kosmos, Logos, S.538)

[Frank hat absolut Recht; ich habe das auch ausgeführt, weil Bewusstsein letztlich nicht quali-fizierbar ist, es ist ein Synonym von Leerheit (siehe etliche Anmerkungen in EKL zu diesem Thema). Das bedeutet auch, dass Bewusstsein im konventionellen oder manifesten Bereich als alle vier Quadranten erscheint, doch im nichtmanifesten Bereich ist Bewusstsein reine Form-losigkeit – und letztendlich sind Leerheit und Form „nicht-zwei" oder nichtdual. Als solches ist das endgültige oder nichtduale Bewusstsein nicht konzeptuell oder mental, sondern nur supramental als Satori oder Verwirklichung bekannt. Deshalb kann Bewusstsein letztlich nicht definiert sondern nur direkt verwirklicht werden.—KW]

Dies beantwortet den ersten von Jacobs erhobenen Einwand. In Wilbers Sicht ist Bewusstsein in seiner Existenz nicht völlig von den vier Quadranten abhängig, sondern es benutzt sie zum Selbstausdruck. Dies ist genau der von Jacobs bevorzugte Standpunkt: „Die vier Quadranten sind bloß die vom Bewusstsein zum Selbstausdruck geschaffenen Felder." In einem mit Wilber geführten Interview 1997 sagte er mir: „ Ich versuche, mit der Bemerkung durchzu-kommen, dass der GEIST allumfassend ist. Und dass wir alle vier Quadranten mit einbezie-hen müssen, denn alle vier sind Manifestationen des GEISTES...Die materielle Dimension selbst ist eine Manifestation des GEISTES."

Aus einigen mir unbekannten Gründen haben viele Kritiker diesen Ansatz eingenommen: zuerst Wilber einen bestimmten Standpunkt aberkennen (den er tatsächlich umfasst), dann ihn wegen des Auslassens kritisieren, und dann die gleiche Sichtweise als etwas Originelles von sich selbst präsentieren, obgleich Wilber mit dieser besonderen Sicht von Beginn an einver-standen gewesen wäre.

Holons und Hierarchie

Wilbers Versuch, mit seiner holistischen Philosophie dem Reduktionismus zu entgegnen, löst bei Jacobs gemischte Gefühle aus. Während Holarchie die materielle Welt und den Prozess der Evolution genau beschreibt, hält er ihn für die innereWelt für weniger geeignet. Jacobs schreibt: „Hat es irgend einen Sinn zu sagen, dass Empfindungen Teile des Denkens sind oder Gedanken größere Ganze sind, die Empfindungen und Antriebe einschließen ?"

[Eigentlich ja, da kommen die wichtigen Entdeckungen der modernen Entwicklungspsycho-logie ins Spiel – die Aurobindo nicht zur Verfügung standen, eine Begrenzung, die sein und Jacobs System in Verlegenheit bringt. In der kognitiven Entwicklung haben wir zum Beispiel eine Entwicklungsfolge, die Empfindung, Wahrnehmung, Bilder, Symbole, Konzepte, Regeln (konop) und Metaregeln (formop) unter anderen enthält. Jedes davon ist ein komplexes Gan-zes, das die vorherigen Ganzen als Teile einschließt. So ist eine Vorstellung eine bildliche Repräsentation einer Wahrnehmung, z.B. das mentale Bild meines Hundes Fido sieht mehr oder weniger wie der wirkliche Fido aus. Wenn die Entwicklung fortschreitet, tauchen verbale Symbole auf, und Symbole sind Bilder PLUS einer nicht bildlichen Fähigkeit—z.B. ist das Symbol oder das verbale Wort „F-i-d-o" ein Bild, das selbst nicht wie der wirkliche Fido aussieht—diese Symbolfähigkeit ist verständesmäßig schwerer zu erlangen als bloße Bilder, doch es schließt Bilder in seiner höheren Gestaltung ein—d.h. dass ein Symbol Bilder trans-zendiert und einschließt. Weiter ist ein Konzept ein Symbol, das nicht nur ein einzelnes Ob-jekt repräsentieren kann (das Symbol Fido repräsentiert ein einziges Objekt), sondern eine Klasse von Objekten—z.B. repräsentiert das Word „Hund" nicht nur Fido sondern alle Hunde—schon eine höhere Fähigkeit. So ist ein Konzept ein Symbol PLUS die Fähigkeit mit einzubegreifen—sie transzendiert und schließt Symbole ein. Noch weiter ist eine Regel eine mentale Operation, die mit Konzepten arbeiten kann—sie transzendiert und schließt Konzepte ein. Und formop operiert mit konop – es transzendiert und schließt Regeln ein. So wird in jedem Fall das Ganze einer Ebene ein Teil des Ganzen in der folgenden. Das ist für die reine Phänomenologie nicht ersichtlich, deshalb wird es auch in so vielen Systemen verfehlt. Aber es ist ein gutes Beispiel dafür, wie und warum Holons die fundamentalen Wesenheiten des materiellen Bereichs sind, in allen vier Quadranten.—KW}

Ohne zu zitieren, schreibt Jacobs Wilber eine Sichtweise zu, in der menschliches Bewusstsein in verschiedene Ebenen aufgespalten ist, indem er irgendwie vermutet, dass „eine Person, die im Denken lebt, aufhört Empfindungen, Antriebe oder Gefühle zu haben, oder dass ein brillanter Denker oder sogar ein verwirklichter Weiser keine unkontrollierbaren vitalen Zwänge haben kann." [Dies ist absolut falsch, wie das oben erwähnte Beispiel klarmachen sollte—transzendieren und einschließen bedeutet, dass die vorherigen Holons immer noch als Subholons verfügbar sind. Jacobs beschreibt die pathologische Entwicklung—KW. Frank bringt noch einen anderen Grund, den der Ebenen und Linien:}

Jeder, der entfernt mit Wilbers Werken vertraut ist, wird erkennen, dass dies genau der Punkt ist, den er seit den frühen Achtzigern betont, eine Periode in seiner intellektuellen Karriere, die er als Wilber-3 beschreibt. Nur als Beispiel ein Zitat aus „Die drei Augen der Erkenntnis": „Wilber-3 unterscheidet ausdrücklich die unterschiedlichen Entwicklungslinien, die sich durch diese siebzehn Ebenen ausfalten. Diese unterschiedlichen Entwicklungslinien schließen affektive, kognitive, moralische, interpersonale, Objektbeziehungen, Selbstidentität und so weiter ein, jede von denen entwickelt sich in einer quasi-unabhängigen Weise durch die Hauptebenen oder Grundstrukturen des Bewusstseins" (S.212-213). Ebenen und Linien oder Wellen und Ströme für die Beschaffenheit der psychologischen Realität, und dies läßt jeden Raum für individuelle Unterschiede bei der Entwicklung.

Quadranten

Indem er zum Vier-Quadranten-Modell wechselt, das in Wilbers Denken eine zentrale Stelle einnimmt, seit er das erste Mal darüber in Eros, Kosmos, Logos (1995) geschrieben hat, widerspricht Jacobs der Tatsache, dass sein Mentor Sri Aurobindo dem oberen linken Qua-dranten zugeteilt ist (z.B. in „Eine kurze Geschichte des Kosmos", S.86). So ignoriert er die Rolle, die Aurobindo als politisch involvierter Gesellschaftstheoretiker gespielt hat (oder man sollte hinzufügen, als ein Philosoph, der über den Grad des Einflusses spekulierte, welchen der Geist auf die Körpermaterie hat, bezüglich seiner Ideen über die physische Unsterblich-keit). Auch wenn es offensichtlich etwas grob ist, Theoretiker den Quadranten zuzuweisen, doch annehmbar für didaktische Zwecke, begründet Wilber seine Wahl ausreichend in seinem neuen Buch „Integrale Psychologie" (2000): „Aurobindo war sehr bemüht um die Transfor-mation des Bewusstseins (oben links) und die entsprechenden Veränderungen im materiellen Körper (oben rechts). Obwohl er viele wichtige Einsichten in das gesellschaftliche und poli-tische System hatte, schien er nicht die aktuellen Zwischenbeziehungen des Kulturellen, Ge-sellschaftlichen, Zweckbestimmten und Verhaltensmäßigen erfasst zu haben, noch schritt seine Analyse an keiner Stelle zu der Ebene der Intersubjektivität (unten links) und der Inter-objektivität (unten rechts) fort. Das heißt, er hat die Differenzierungen der Moderne nicht vollständig einbezogen. Doch die Ebenen und Zustände, die Aurobindo behandelt hat, machen seine Formulierungen für jedes wirklich integrale Modell unentbehrlich." (S.84)

[Als ich sagte, dass Aurobindo nicht vollständig die Differenzierungen der Moderne einbe-zogen hat, meinte ich, dass er die gesamte Forschung in den verschiedenen Quadranten nicht mitbekommen hat, die die neuesten modernen wissenschaftlichen Fortschritte gemacht haben, wie etwa die Rolle der Neurotransmitter, die massive Revolution in der Kognitionswissen-schaft, die weitreichenden Durchbrüche in der Gehirnchemie, Molekularbiologie, System-anthropologie und so weiter—ebenso wie die Durchbrüche bei der postmodernen Gelehrsam-keit über die Natur der kulturellen Hintergründe und Zusammenhänge—und die großartige Notwendigkeit, von der Metaphysik, wie sie durch das meiste in Aurobindos Werk gekenn-zeichnet ist, zur post-metaphysischen Forschung weiterzugehen (siehe „Über die Natur einer post-metaphysischen Spiritualität: Erwiderung auf Habermas und Weis", auf dieser Webseite)

Natürlich war Aurobindo mit den Differenzierungen der Moderne vertraut (das Gute, Wahre und Schöne)—sogar die Griechen waren damit vertraut. Aber er hatte keinen Nutzen von der Forschung darüber, wie ihn die moderne Naturwissenschaft gebracht hat. Deshalb ist es nun einmal so, dass sein System unter anderem auch in massiver Weise keine Berührung mit der modernen Kognitionswissenschaft hat. Es wäre wundervoll zu sehen, was er mit der moder-nen Gehirnforschung anfangen würde, wenn er noch lebte—es ist beinahe sicher, dass er etwas wie die Quadranten übernehmen würde, die ihm erlauben würden, die Kognitions-wissenschaft (oben rechts) mit seinem eigenen System der Bewusstseinsentwicklung (oben links) zu verbinden. Da sein System dies jedoch nicht tut, ist es leider so, dass sein System nicht länger wirklich integral ist.

Dabei ist noch nicht einmal die moderne und postmoderne Forschung im unteren linken und unteren rechten Quadranten erwähnt, deren sein System ebenfalls entbehrt....Mein Respekt und meine tiefe Bewunderung für Aurobindo ist wohlbekannt; er war ein Genius der ersten Kategorie, gemeinsam mit Plotin, Shankara, Augustinus, Abinavagupta, Tsongkapa und weni-ger anderer, einer der größten Weisheitsphilosophen aller Zeiten. Doch die Zeit schreitet fort....Mir macht es nichts aus, Jacobs Spiel des „integraler als Sie" zu spielen, weil beide Systeme—meines und Aurobindos—einfach kleine Fußnoten zu den vielen integralen Systemen von morgen sein werden.—KW]

Eine andere Form des Vier-Quadranten-Modells, das Jacobs ärgert, ist die Gleichbehandlung, die Wilber allen vier Quadranten zu geben scheint, vermutlich unter dem Druck der politi-schen Korrektheit: „Wilber behandelt sie alle als gleiche. Dies mag ein Fortschreiten von den meisten theoretischen Perspektiven sein und es ist in vollem Einklang mit unserer postmoder-nen Romanze mit der Gleichheit. Ungleichheit, wie etwa Hierarchie, ist ein schmutziges Wort geworden." Man fragt sich verwundert: Hat Jacobs irgend etwas von Wilbers neuesten Wer-ken gelesen ? Das einzige Motiv für den mühsamen Prozess des Schreibens von „Eros, Kos-mos, Logos" in den frühen Neunzigern war genau, dass alle Kernkonzepte der ewigen Philosophie—Tiefe, Hierarchie, Stufen, Urteil—im postmodernen Klima tabuisiert wurden, das alles gern als relativ betrachtet außer sich selbst, oder das Oberflächen für den einzigen untersuchenswerten Gegenstand in der Welt hält. Jacobs führt wieder Wilbers eigene Schluss-folgerung an, als wäre auf seinem eigenen Mist gewachsen.

Jacobs hinterfragt dann den Grad, in welchem Wilbers Vier-Quadranten-Modell wirklich objektive, subjektive, individuelle und kollektive Perspektiven in die Wirklichkeit einbezieht: „Wilbers Ansatz scheint eher additiv als integrativ zu sein. Er erklärt nicht die genaue Bezie-hung zwischen den Quadranten oder den Prozess, durch den sie miteinander interagieren und sich parallel zueinander entwickeln. Wenn er zum Beispiel den Aufstieg der Moderne disku-tiert, bringt er sie nicht in besonderer Weise mit einer Entwicklungsstufe im individuellen Bewusstsein oder der Biologie zusammen. Er zeigt Beziehungen an einigen Stellen, aber keine kausale Verwandtschaft." Dagegen kann man schon in „Halbzeit der Evolution"(1981) lesen: „Wenn man beginnt, darüber nachzudenken, erscheint es unglaublich, doch irgend-wann während des zweiten und ersten Jahrtausends v. Chr. begann die ausschließlich egoi-sche Bewusstseinsstruktur sich aus dem Ursprung (dt. im Original) zu erheben und sich in Gewahrsein zu kristallisieren. Und es ist genau diese unglaubliche Kristallisation, die wir nun untersuchen müssen, die letzte Hauptstufe – zur Zeit – in der kollektiven historischen Ent-wicklung des Bewusstseinsspektrums (Individuen können es im eigenen Interesse durch Meditation ins Superbewusstsein weiterführen). Es war die Tranformation, die die moderne Welt etablierte" (S.179). Dies ist ganz klar eine kausale Verwandtschaft, wenn es jemals eine gab... [Ja, hier scheint Jacobs meine ziemlich extensiven Ausführungen nicht gelesen zu haben über die Differenzierungen, Dissoziationen, die Integrationen der Moderne und die besondere Be-ziehung zu den Quadranten: die Moderne war eine Tetra-Evolution des orangen Memes oder der Ego-Rationalität, mit tiefreichenden kausalen Verbindungen in allen vier Quadranten, im besonderen des unteren linken der weltzentrischen Intersubjektivität—ein ungeheurer kollek-tiver Fortschritt—und des unteren rechten der Industrialisierung, ein Komplex, den ich oft „industrielle Rationalität" nenne, mit all seiner Verheißung und Gefahr oder Würde und Ver-derbnis.—KW]

Wilber lehnt jedoch die einfache Erklärung des Objektiven durch das Subjektive ab—wie es Jacobs vorzuziehen scheint—stattdessen fordert er eine multikausale Analyse(oder "alle Quadranten, alle Ebenen"). Wie wir in „Die drei Augen der Erkenntnis" lesen können: „Wir können nun zum Beispiel Zustände des meditativen Gewahrseins mit Typen von Gehirnwel-lenmustern vergleichen (ohne zu versuchen, das eine auf das andere zu reduzieren). Wir kön-nen psychologische Verschiebungen aufzeigen, die bei der spirituellen Erfahrung geschehen. Wir können den Ebenen der Neurotransmitter während psychotherapeutischer Interventionen folgen. Wir können die Wirkungen von psychoaktiven Drogen auf die Muster der Blutvertei-lung im Gehirn verfolgen. Wir können die gesellschaftlichen Produktionsmethoden nach-zeichnen und die korrespondierenden Veränderungen in kulturellen Weltsichten sehen. Wir können das historische Ausfalten kultureller Weltsichten verfolgen und den Status von Män-nern und Frauen in jeder Periode darstellen. Wir können die Modi des Selbst verfolgen, die mit verschiedenen Modi der technisch-ökonomischen Infrastruktur übereinstimmen. Und so weiter durch die Quadranten: nicht einfach „alle Ebenen", sondern „alle Ebenen, alle Qua-dranten". Daher können moderne integrale Studien etwas schaffen, bei dem die großen Tra-ditionen ziemlich schlecht abschnitten: Sie können das Bewusstseinsspektrum nicht nur in seinen intentionalen Manifestationen verfolgen, sondern auch in seinen verhaltensmäßigen, gesellschaftlichen und kulturellen Manifestationen, und damit heben sie die Wichtigkeit eines multidimensionalen Ansatzes für eine wirklich umfassende Überschau des menschlichen Be-wusstseins und Verhaltens hervor." (S.34-35) [siehe die „simul-tracking" und „tetra-evolu-tion" Abschnitte in z.B. „Eine integrale Theorie des Bewusstseins",V7 in den ges.Werken.]

Jacobs hebt seinen stärksten Widerstand gegen das Vier-Quadranten-Modell für das Ende des Abschnitts auf: „ Die größte Beschränkung von Wilbers vier Quadranten ist jedoch die Gefahr, dass wir sie für etwas Reales missdeuten könnten ! Die Wirklichkeit, die er kategori-siert und in die Schubladen der vier Quadranten einteilt, ist ein einziges, unteilbares Ganzes. Der Versuch des Verstandes, sie in klaren abstrakten Begriffen einzufangen, gibt uns ein Ge-fühl der Sicherheit und Zufriedenheit, jedoch kein wirkliches Wissen. Denken und Sprache erfordern den Gebrauch von Konzepten und Gegensätzen für ihren Selbstausdruck. Aber wäh-rend Sri Aurobindo uns ständig ermahnt, dass eine solche Teilung der Wirklichkeit nur in der Wahrnehmung liegt (da sie unteilbar ist), scheint Wilber wirklich an die gesonderte Existenz dieser vier zu glauben." Lauschen wir dem, was Wilber im Vorwort zu „Einfach «das»" (1999) schreibt, eines Bandes, der von Anfang bis Ende von der Einheit der Existenz singt: „ Wenn dieses Tagebuch ein Thema hat, dann ist es, dass Körper, Seele und Geist sich nicht gegenseitig ausschließen. Das Verlangen des Fleisches, die Ideen der Seele und die Erleuch- tungen des Geistes—alle sind perfekte Äußerungen des strahlenden Geistes, der allein das Universum bewohnt, sublime Gesten dieser großartigen Vollkommenheit, die allein die Welt erleuchtet. Es gibt nur einen Geschmack im gesamten Kosmos, und dieser Geschmack ist göttlich, ob er nun im Fleisch, in der Seele oder im Geist erscheint."(S.VIII). Hübsch intellektuell, nicht ?

Realitätstest

Jacobs begrüßt Wilbers Versuch, unsere Sicht von Naturwissenschaft so auszuweiten, dass sie auch das Feld der Spiritualität und die inneren subjektiven Erfahrungen einbezieht. „Das ist genau Sri Aurobindos Sicht, dass spirituelle Erfahrung systematisch wiederholt und wissenschaftlich bewiesen werden kann, jedoch eher durch subjektive als durch objektive Methoden." Was Jacobs jedoch nicht erwähnt oder zu bemerken scheint, ist dass Wilber für die Gültigkeit der „Spirituellen Wissenschaft" argumentieren kann, indem er die verschiedenen Typen von Wissenschaft mit den vier Quadranten verbindet UND die Ebenen der Wissenschaft mit den drei Hauptebenen der menschlichen Existenz: Körper, Seele und Geist, und damit bietet er den ersten wirklich integralen Ansatz für Wissenschaft und Spiritu-alität an. Auf diese Weise argumentiert er für eine spirituelle Wissenschaft, nachdem er das Feld für eine typische mentale Wissenschaft bestellt hat—ein schönes taktisches Manöver, das nach dem Herzen der postmodernen Vernarrtheit in Interpretationen zielt.

[Das heißt, dass jeder Quadrant einen unterschiedlichen Wissenschaftstyp hat—oberer rech-ter: Verhaltenswissenschaften; unterer rechter: Systemwissenschaften; oberer linker: phäno-menologische Wissenschaften; unterer linker: Kulturwissenschaften. ( Ich vereinfache diese vier Typen oft als zwei Haupttypen: enge Wissenschaften, die mit den Äußerlichkeiten umge-hen oder die rechte-Hand-Wissenschaften; und die breiten oder tiefen Wissenschaften, die mit den Innerlichkeiten umgehen oder die linke-Hand-Wissenschaften.) Jeder dieser vier Typen hat wenigstens drei Hauptebenen: sinnlich, mental, spirituell.—KW ] Körperwissenschaft, wie wir sie kurz nennen wollen, akzeptiert nur, was das Auge des Flei-sches sehen kann (und die Beziehungen, die die Seele zwischen dem Gesehenen finden kann). Dies ist natürlich der Bereich von Physik, Biologie und Chemie. Seelenwissenschaft akzep-tiert eine andere Welt: die vom Denken, von Ideen, Bedeutungen und Interpretation. Die „Geisteswissenschaften" der Hermeneutik—die so oft von unsentimentalen Flachland-Wis-senschaftlern dafür belächelt werden, dass sie nicht von den relativ einfachen Schwerkraft-gesetzen handeln, sondern versuchen, die Gesetze der Bedeutung auszuloten—handeln von unterschiedlichen Objekten, doch sie folgen den gleichen drei Hauptschritten, die alle guten Wissenschaften benützen: 1) Injunktion, 2) Observation und 3) Konfirmation/Zurückweisung. Ihre Ergebnisse mögen nicht so unzweideutig sein wie die Ergebnisse der Körperwissen-schaft, doch Gedanken sind eben mal keine Felsen. Dies ist ein origineller Versuch, den Gra-ben zwischen den harten Wissenschaften der Materie und des Lebens und den Humanwissen-schaften von der Bedeutung zu überbrücken. Erst nachdem er den ontologischen Grund für eine authentische Geisteswissenschaft der Hermeneutik bereitet hatte, argumentiert Wilber verführerisch für eine dritte Ebene der Wissenschaft: die spirituelle Wissenschaft—wieder mit ihrer eigenen Domäne, ihrem eigenen Grad an Gewissheit, jedoch noch den gleichen Haupt-schritten folgend, die die anderen beiden Wissenschaften benützen. Für seine eigene Aus-arbeitung dieser beiden Typen und Ebenen der Naturwissenschaft (ebenso wie der Ebenen von Kunst und Ethik) sollte man sein neuestes Essay lesen: „Über die Natur einer post-meta-physischen Spiritualität: Erwiderung auf Habermas und Weis"[ebenso auf dieser Webseite].

Ego und Evolution

Wilbers Beschreibung der menschlichen Entwicklung, wie sie durch die Hauptstufen geht: von physiozentrisch zu biozentrisch zu egozentrisch zu ethnozentrisch und weltzentrisch, so gültig und brauchbar wie sie auch sein mag, sieht Jacobs als "naiv und vereinfachend" an, denn sie setze Bewusstsein mit Erkennungsvermögen gleich und "verfehlt es, die Tiefen und die Komplexität der menschlichen Persönlichkeit wahrzunehmen." [Die Gleichsetzung von Erkennungsvermögen und Bewusstsein ist überhaupt nicht meine Position; siehe Integrale Psychologie, wo ich ausführlich beschreibe, warum Bewusstsein und Erkennungsvermögen nicht gleichgesetzt werden können.—KW]

Jacobs Behauptung, dass "Wilbers Sicht Bewusstsein und Erkennungsvermögen gleichsetzt", ist einfach peinlich angesichts der vielen Abschnitte, die Wilber genau dieser Verwechslung gewidmet hat. Um eine Handvoll von Beispielen zu geben: in Integrale Psychologie bemerkt er unter „Kognitive Entwicklung und das Große Nest des Seins": „Man kann sich das Große Nest des Seins sicherlich teilweise als ein großes Spektrum des Bewusstseins vorstellen, was es auch ist. Eine der Definitionen im Wörterbuch von „kognitiv" ist „auf Bewusstsein bezo-gen". Deshalb kann man jedenfalls in den Wendungen der Wörterbücher von der Entwicklung des Großen Nestes des Seins (was bei Individuen das Ausfalten höherer und umfassenderer Bewusstseinsebenen einbezieht) denken, dass es allgemein ziemlich ähnlich der kognitiven Entwicklung ist, solange wir verstehen, dass „Kognition" und „Bewusstsein" von unterbe-wusst zu selbstbewusst zu überbewusst verlaufen, und das dabei sowohl innere Modi als auch äußere Modi des Gewahrseins einbezogen sind. Wie ich schon sagte, ist das Problem, dass „Kognition" in der westlichen Psychologie eine sehr enge Bedeutung bekommen hat, die das meiste des oben Genannten ausschließt." (S.19-20)

Jacobs führt im folgenden Sri Aurobindos Persönlichkeitstheorie aus, was wiederum fast identisch mit dem ist, was Wilber durch seine Arbeiten erklärt—wieso bekomme ich das Gefühl, diesen Film bereits gesehen zu haben ? Viele Passagen von „Die drei Augen der Erkenntnis" gehen tiefer in Sri Aurobindos genaue Sicht des menschlichen Bewusstseins (S. 39, 140, 180, 206-7, 327-28 und 340). Interessanterweise identifiziert er die Wilber-II-Phase seines Werks als die „tibetanisch/Aurobindo/Wilber-II-Sicht" (S.207)—ein perfekter Start-platz für Jacobs zu einem wahren Wilber/Aurobindo Vergleich.

Universelles Leben und Seele

Indem er zu mehr metaphysischen Themen weitergeht, beklagt sich Jacobs, dass Wilber Leben (Prana) und Seele als individuelle Wesenheiten behandelt, die nicht von der Körper-seele getrennt werden können, während er die universelle Natur der transmentalen Ebenen anerkennt. Im Gegensatz dazu hat Sri Aurobindo tatsächlich die universelle Natur der vitalen und mentalen Welten anerkannt, was ihm unter anderem zu dem Phänomen der „Lebens-antwort" verhalf, jedenfalls nach Jacobs, „welche alle große Literatur und Spiritualität bestätigt, dass unser inneres Bewusstsein damit korrespondiert und Antworten aus dem weiteren Leben um uns herum hervorruft."

[Mein Schreiben macht in der Tat klar, dass alle Grundebenen des Lebens und des Bewusst-seins universell sind—wenigstens sechzehn Hauptebenen, die sich von der Materie zum Kör-per zur Seele zum Geist zum GEIST erstrecken.—KW]

Es ist interessant, über den Wert der Vier-Quadranten-Sicht zu spekulieren, wenn wir die Möglichkeit des Lebens nach dem Tod auf höheren Ebenen in Betracht ziehen. Jacobs stellt fest, dass „Bewusstsein ist wesentlich unabhängig von Formen wie etwa dem Gehirn im obe-ren rechten Quadranten seines Modells." Während dies in der endgültigen Analyse richtig sein mag, behaupten esoterische Traditionen nicht, dass die Verkörperung auf den höheren Ebenen verschwindet. Das Bewusstsein könnte in einem Astralkörper auf der Astralebene funktionieren—und die Vier-Quadranten-Analyse würde sich sogar dort bewahrheiten ! (So können wir schließlich doch etwas mit uns nehmen !)

[Ja, Frank hat wieder Recht. Das Standard-vier-Quadranten-Diagramm, das ich gewöhnlich anbiete, ist für dieses grobstoffliche Reich wahr. Doch sogar im Traumreich gibt es die vier Quadranten. Darüber hinaus behaupten die großen Traditionen von Vedanta und Vajrayana zwei wichtige Punkte: Seele oder Bewusstsein sind niemals unabhängig von irgend einer Art Körper oder Energiekomponente, denn es gibt die grobstoffliche Körperseele, die subtile Kör-perseele und die kausale Körperseele, und die können in bestimmten Verhältnissen unabhän-gig von einander sein, z.B. im Bardoreich. Diese Sicht erkenne ich an mehreren Stellen an, einschließlich erst vor kurzem in „Eine Zusammenfassung meines psychologischen Modells", das auf dieser Seite zu finden ist. Ich werde die betreffenden Abschnitte aus diesem Essay hier wiedergeben:

In vielen Weisheitstraditionen wird gesagt, dass die drei großen normalen Zu-stände (Wachen, Träumen und Tiefschlaf) mit den drei großen Körpern oder Reichen des Seins (grobstofflich, subtil und kausal) korrespondieren. Sowie im Vedanta als auch im Vajrayana wird z.B. gesagt, dass die Körper die Energie-versorgung der korrespondierenden Seele oder des Bewusstseinszustands seien (z.B. jeder mentale Modus hat einen körperlichen Modus, und so wird die Kör-perseeleneinheit auf allen Ebenen bewahrt). Der grobstoffliche Körper ist der Körper, in dem wir den Wachzustand erfahren; der subtile Körper ist der Kör-per, in dem wir den Traumzustand erfahren (und auch bestimmte meditative Zustände, so wie savikalpa samadhi und den Bardozustand oder den traumähn-lichen Zustand, der zwischen den Wiedergeburten existieren soll); und der kau-sale Körper ist der Körper, in dem wir den tiefen traumlosen Zustand erfahren (und nirvikalpa samadhi und den formlosen Zustand)(Deutsche, 1969; Gyatso, 1986). Nach diesen Traditionen steht fest, dass jeder Bewusstseinszustand ei-nen korrespondierenden Körper hat, der aus verschiedenen Typen von grob-stofflicher, subtiler und sehr subtiler Energie (oder „Wind") „gemacht" wurde, und diese Körper oder Energien „versorgen" die korrespondierende Seele oder die Bewusstseinszustände. In einem gewissen Sinn können wir von der grob-stofflichen Körperseele, der subtilen Körperseele und der kausalen Körperseele sprechen (dabei benutzen wir „Seele" im weitesten Sinn als „Gewahrsein" oder „Bewusstsein"). In meinem eigenen System ist die „Körper/Energie"-Komponente der obere rechte Quadrant, und die „Seele/Bewusstsein"-Komponente ist der obere linke Quadrant. Das von mir vorgeschlagene integrale Modell schließt daher aus-drücklich eine korrespondierende Energie auf jeder Bewusstseinsebene durch das gesamte Spektrum ein (grobstofflich zu subtil zu kausal, oder Materie zu Körper zu Seele zu Geist zu GEIST). Kritiker haben oft diesen Aspekt meines Modells übersehen, weil das typische Vier-Quadranten-Diagramm nur den grobstofflichen Körper im oberen rechten Quadranten zeigt, doch dies ist nur eine vereinfachte Zusammenfassung des gesamten Modells, das in meiner Ar-beit dargeboten wird. In den Traditionen wird oft gesagt, dass diese subtilen Energiefelder in kon-zentrischen Sphären zunehmender Einbeziehung existieren. So wird zum Beispiel gesagt, dass das Ätherfeld sich einige Zentimenter vom physischen Körper ausdehnt, ihn umgebend und einhüllend; das Astralenergiefeld umgibt und hüllt das Ätherfeld ein und dehnt sich etwa ein Fuß breit aus; das Gedan-kenfeld (oder subtile Körperenergiefeld) umgibt und hüllt das astrale ein und dehnt sich sogar weiter aus; und das kausale Energiefeld weitet sich in die formlose Unendlichkeit aus. So ist jedes dieser subtilen Energiefelder ein Ho-lon (ein Ganzes, das Teil eines größeren Ganzen ist), und das gesamte holoni-sche Energiespektrum kann einfach im oberen rechten Quadranten als eine Standardfolge von zunehmend feineren und weiteren konzentrischen Sphären gezeigt werden (wobei jedes subtilere Energiefeld seine untergebenen Felder transzendiert und einbezieht). Jedes subtile Energieholon ist die äußere oder Rechte-Hand-Komponente des korrespondierenden inneren oder Linke-Hand-Bewusstseins. Kurz gesagt, haben alle Holons vier Quadranten durch das ge-samte Spektrum hindurch, grobstofflich zu subtil zu kausal, und dies beinhaltet sowohl eine „Seele/Bewusstseins"- wie auch eine „Körper/Energie"-Kompo-nente. Für eine Diskussion von Körper/Reiche—z.B. grobstofflicher Körper (Nirmanakaya), subtiler Körper (Sambhogakaya), Kausalkörper (Dharmakaya) –als die Energiezufuhr oder der „Körper" von allen Bewusstseinsebenen und -zuständen, siehe EKL, Anmerkung 1 zu Kapitel 14. Ich benütze die Wörter „Körper", „Reich" und „Sphäre" oft abwechselnd; siehe Integrale Psychologie. Der wichtige Punkt ist einfach, dass jeder Bewusstseinszustand durch einen korrespondierenden Körper unterstützt wird, sodass Bewusstsein niemals bloß entkörpert ist. Trotzdem wird z.B. in der tibetanischen Tradition gesagt, dass subtiles Bewusstsein/Energie oder der subtile Seelenkörper sich vom grob-stofflichen Seelenkörper loslösen kann, wie im Chonyid-Bardo-Reich, das dem Tod folgt; und der kausale Seelenkörper kann sich sowohl vom subtilen als auch vom grobstofflichen Seelenkörper lösen, wie im Chikhai-Bardo oder der Klaren-Licht-Leere in der Nachtod-Erfahrung (Deutsch,1969; Gyatso,1986). Dieses Konzept erlaubt es dem Bewusstsein, sich über den physischen Körper hinaus zu erweitern (und den physischen Tod zu überleben), doch niemals bloß entkörpert zu sein (weil es noch subtile und kausale Körper gibt). Nach meiner Meinung ist dies eine tiefgehende Körper/Seele - (oder Materie/Bewusstsein - ) Nichtdualität auf jeder Ebene, eine Konzeption, die ich in mein eigenes System hineingesetzt habe.--KW

Transzendenz und Transformation

Unter dieser Überschrift untersucht Jacobs Wilbers Sicht von Transzendenz als ein gradueller Aufstieg des Bewusstseins, das Vorherige transzendierend und einbeziehend. Während er Willbers Konzept von Inklusion und Abstieg bemerkt, urteilt er „Abstieg ist für ihn nur eine Akzeptanz der Welt als eine Manifestation des GEISTES in einem Geist des Mitfühlens und nicht, sie zu transformieren. Wilber setzt Abstieg gleich mit der Bestätigung der physischen Welt durch den Materialisten." [Dies ist das Gegenteil meiner Sicht. Ich sagte, dass der Mate-rialist nur jene Aspekte des GEISTES akzeptiert, die bloß abgestiegen sind. Das Ziel des Ab-stiegspfads ist nicht die Materie, sondern dass der GEIST herabkommt und die Materie belebt, die überhaupt bloß das äußere Gewand seines eigenen SEINS ist.—KW]

Eigentlich ist Wilbers Abstiegspfad gleichermaßen ein Aufstiegspfad, der Unterschied ist nur, dass er sich nicht auf das Licht jenseits der Form richtet, sondern auf jede Form, die sichtbar ist auf Grund eben dieses Lichts. Den Pfad des Abstiegs zu gehen, bedeutet den Kreis der Be-sorgnis und des Mitleids zu erweitern, von der eigenen Person zu seiner Familie, zu der ge-samten Menschheit, zu allen lebenden Wesen...was kann das anderes sein als das allmähliche Aufsteigen durch die Ebenen, sodass wir mehr sehen können, je höher wir aufsteigen und desto mehr können wir umfassen ?

Soziale Entwicklung

Jacobs vermerkt eine enge Ähnlichkeit zwischen Wilbers und Aurobindos Ideen über gesell-schaftliche Entwicklung, wie sie durch die egozentrischen, ethnozentrischen und geozentri-schen Phasen hindurchgeht. Deshalb sollten wir schnell zum nächsten Abschnitt gehen. „Der Hauptunterschied ist unsere Betonung der im wesentlichen dynamischen und expansiven Na-tur der Gesellschaft während der mittleren Phase." Irgendwo in seinem Schriftstück schreibt Jacobs Aurobindo die Sichtweise zu, dass „Nationen Seelen haben genauso wie Individuen."

[Kollektive und individuelle Holons gleichzusetzen, wie es Jacobs tut, kann direkt zum Faschismus führen, wie es Fred Kofman in „Holons, Artefakte und Haufen" ausführt, ebenfalls auf der Webseite von Frank Visser aufgeführt—www.worldofkenwilber.com. Dies ist eine der wirklichen Gefahren einer solchen Philosophie. Ich habe die Ähnlichkeiten beschrieben—und die wichtigen Unterschiede—zwischen individuellen und sozialen Holons in einem drei-teiligen Interview auf dieser Webseite („Über Kritiker, das Integrale Institut, meine neuesten Schriften und andere Themen von geringer Bedeutung").—KW]

Viel an lebhafter Debatte über diesen Aspekt der Holontheorie kann im Leseraum von www.worldofkenwilber.com gefunden werden.

Gesamtbewertung

Im letzten Abschnitt seines Schriftstücks versucht Jacobs zu einer Gesamtbewertung des Wertes von Wilbers Werk zu kommen, und er führt unter Bezugnahme auf Sri Aurobindos Philosophie aus: „Wilber hat eine beeindruckende Arbeit geleistet, indem er viele verschie-dene Stränge des aktuellen Denkens innerhalb eines zusammenhängenden intellektuellen Rahmens geistig zusammengefasst hat. Er ordnet unterschiedliche Perspektiven in einen breiteren Kontext ein, in dem jede ihren berechtigten Platz behauptet und ihre Bedeutung als eine gültige Perspektive eines größeren Ganzen. Sein Modell ist klar und logisch. Besonders enttäuschend ist Wilber allerdings in seinen Bemühungen, die gleiche mentale Formel auf das subjektive Leben und die spirituellen Phänomene anzuwenden, die er auf die Materie und die sozialen Systeme anwendet... Was in Wilbers Ansatz fehlt, ist nicht Klarheit oder Rationalität. Es ist Leben, Kraft und Spiritualität...Wilbers Diskussion der Spiritualität ist reine mentale Abstraktion—farblos, geruchlos und leblos—genauso flach und hohl wie das Flachland, dem er zu entfliehen sucht. Es ist konzeptuell, aber nicht spirituell." Dass Jacobs Wilbers Schlüs-selkonzept der Schau-Logik nicht einmal erwähnt, spricht für sich selbst. Er sollte auch „Einfach «das»" lesen, wo Wilber seine eigenen spirituellen Erfahrungen in mächtigen, bewe-genden und oft schönen Wendungen beschreibt.

[Persönlich schätze ich die Sorgfalt und die Mühe sehr, die Jacobs für sein Studium von Aurobindo aufbringt, und auch sein echtes Interesse an der Mitteilung der wundervollen Bedeutung von Aurobindo für die moderne und postmoderne Welt—diese Bedeutung teile ich absolut und aus vollem Herzen. Ich schätze auch Jacobs Versuch, Aurobindos Sicht und meine zu vergleichen und gegenüberzustellen, trotzdem meine ich, dass Jacobs nicht einige seiner Schlussfolgerungen gezogen hätte, die er in seiner Schrift ausdrückt, wenn er mein Werk mit dem gleichen Fleiß studiert hätte, wie er es mit Aurobindos Werk getan hat. Den-noch kann ein solcher Dialog helfen, die Sache der integralen Studien weiterzutreiben, und ich bin dankbar für alle diese laufenden Beiträge.—KW]

Hätte Jacobs die Mühe auf sich genommen, Wilber wirklich zu studieren, hätte er auch her-ausgefunden, dass sogar für Wilber Spiritualität in der endgültigen Analyse mehr bedeutet als alle seine Gesammelten Werke zusammengenommen. In einem autobiografischen Artikel, 1995 in The Quest veröffentlicht, erklärt Wilber: „Das Anliegen meiner Bücher ist es nicht, Menschen in intellektuelle Kopfreisen hineinzuziehen. Dies versuchen meine Bücher tatsäch-lich zu stoppen, was meine Leser bereitwillig bestätigen werden." „Deshalb habe ich versucht, diese [akademischen] Menschen in ihr eigenes Spiel hineinzuziehen, und es sehr schnell und hart zu spielen, um einfach zu dieser Schlussfolgerung zu kommen: irgendwann müssen wir alle dieses intellektuelle Kopfreisen stoppen und mit der aktuellen spirituellen Praxis begin-nen. Wir müssen mit Kontemplation beginnen oder Yoga oder Satsang oder Zazen oder Visi-onssuche oder mit irgend einer anderen wahrhaft kontemplativen Praxis (es gibt Hunderte von Praktiken, von denen ich nur wenige erwähnt habe). Doch wir müssen es tatsächlich als Pra-xis ausüben—nicht über Religion reden, nicht Smalltalk, sondern engagierte, konzentrierte, leidenschaftliche, intensive Praxis."

"Und in dieser Praxis werden alle Ihre Bücher, Ihre Gedanken und alle Ihre Ideen Sie erbärm-lich fehlschlagen lassen. Sie werden im Feuer Ihres ursprünglichen Gewahrseins verbrennen, und aus der Asche der rauchenden Ruinen des zerschmetterten Ego wird sich spontan eine neue Bestimmung im Bewusstseinsstrom selbst erheben, und Sie werden ergriffen, transfor-miert, entzückt und umgewandelt von der Herrlichkeit des Göttlichen sein, und Sie werden mit Engelszungen reden und mit den Augen der Heiligen sehen, und Herrlichkeiten über Herrlichkeiten werden Ihre Seele umhüllen und emporheben, und der verlorene und wieder-gefundene Geliebte wird in Ihr Ohr flüstern, und das Göttliche wird in jeder Sicht und jedem Laut so intensiv funkeln, der Wind wird die heiligen Namen der strahlenden Göttlichkeit summen, während Wolken über den Himmel schweben werden, nur um Ihren Namen zu rufen, und Ihr wahres Selbst wird als der gesamte Kosmos auferstehen, der immer wiederkeh-rende Laut des Klatschens einer Hand in jeder beliebigen Richtung, und dies alles wird in dieser unerhörten Hymne entfaltet werden—der Hymne der spirituellen Praxis."

Das lässt Sie doch sprachlos werden, oder was sonst ?


Übersetzung von Hans-Peter Lin