INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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Integral Medicine: A Noetic Reader, Herausgeber: Marilyn Schlitz & Tina Hyman - Beiträge von: Larry Dossey, Roger Walsh, Michael Murphy, Ivan Illich, Eugene Taylor, Lawrence LeShan, Caroline Myss, Rachel Naomi Remen, Arthur Deikman, Deepak Chopra, Stanley Krippner, Kenneth Pelletier, Bernie Siegel, Candace Pert, Joan Borysenko, Jon Kabat-Zinn, Jack Kornfield, Dean Ornish, Fred Luskin, George Leonard, Richard Tarnas, William Braud, Rupert Sheldrake, Elisabeth Targ, Dean Radin, Stanislav Grof, Kenneth Ring, Willis Harman, Charles Tart, Elizabeth Sahtouris, Thomas Berry, Christian de Quincey, David Ray Griffin, Theodore Roszak, Brian Swimme, Ralph Metzner, Duane Elgin, Erwin Laszlo, Angeles Arrien…


Vorwort

Ken Wilber

Ich fand es schon immer interessant, dass eine der Hauptaussagen des Hippokratischen Eides, ein Eid, der in verschiedenen Formen von vielen Ärzten auf der ganzen Welt seit fast zweitausend Jahren geleistet wird, einfach besagt: "Füge deinen Patienten keinen Schaden zu" . Positive Injunktionen gibt es nur wenige; doch diese Anweisung zur Unterlassung fällt einem sofort auf. Warum besteht überhaupt die Notwendigkeit, einen zukünftigen Arzt zu diesem Versprechen zu veranlassen? Es scheint, dass Hippokrates klar erkannte, dass, bei all dem Einfluss, den ein Arzt hat - vieles davon sehr positiv und hilfreich - ein Punkt ganz besonders der Kontrolle bedarf: die praktisch beispiellose Möglichkeit einem Menschen – legal – Schaden zuzufügen.

In den verschiedenen Versionen des Hippokratischen Eides wird deutlich, dass es Hippokrates (lange Zeit für Hippokrates den Grossen gehalten, aufgrund neuester Forschung jedoch einem Pythagoräischen Kreis zugeordnet, was seinen Ruf in keiner Weise schmälert, sondern in Gegenteil noch vermehrt) ebenso klar war, dass es in der Heilkunde zwei Wege gibt, Schaden zuzufügen: Begehungssünden und Unterlasssungssünden. Ein Arzt kann einem Patienten mit dem, was er weiss, Schaden zufügen; doch noch mehr mit dem, was er nicht weiss.

Das Ziel einer integralen Medizin lässt sich einfach als der Wunsch beschreiben, den Schaden zu verringern , der durch beide Arten von Sünden angerichtet wird, um so wesentlich effektiver den Boden für jenes außerordentliche Wunder zu bereiten, das - auch 2000 Jahre später - bis jetzt niemand von uns versteht: Heilung.

Positiver ausgedrückt besteht das Ziel einer integralen Medizin darin, bei der Behandlung jeglicher Krankheit einen so vollständigen und umfassenden Ansatz wie nur irgend möglich zu verwenden – unter Berücksichtigung der pragmatischen Gegebenheiten wie zeitliche Beschränkungen, begrenzte Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung , und den Gegebenheiten einer Arztpraxis. Die integrale Medizin, welche sich zur Zeit rasant entwickelt, ist bereits wesentlich über frühere Ansätze, die unter Begriffen wie "holistisch", allopatisch", "alternativ" und "komplementär" bekannt sind, hinausgegangen. Obgleich einige der Bestandteile dieser ursprünglichen Bemühungen beibehalten werden, geht die integrale Medizin von einer wesentlich weitreichenderen Grundlage aus, sie ist tiefer in empirischer Forschung verankert, und steht effektiver in Beziehung zu den umfassenden Modellen der menschlichen Psychologie und des Bewusstseins. Doch es ist gut, sich daran zu erinnern, dass eine integrale Medizin sich deutlich sowohl von der konventionellen als auch von der komplementären Medizin unterscheidet, und gleichzeitig bemüht ist, die bewährten und wirksamen Elemente von beiden aufzunehmen.

Wie würde also eine integrale Medizin aussehen? Und wie kann sie unter den gegenwärtigen ökonomischen und pragmatischen Beschränkungen effektiv zum Einsatz kommen? Die folgenden Kapitel [dieses Buches] sind Versuche zur Beantwortung genau dieser Fragen. Bevor wir einige ihrer bahnbrechenden Schlussfolgerungen skizzieren, betrachten wir zuerst einmal die Ausgangssituation, indem wir uns einige der traditionellen Probleme und Dilemmas anschauen, denen sich die meisten helfenden Berufe gegenübersehen. Jeder kennt das erste Dilemma, weil es viele Jahre lang den Medizinstudenten eingepaukt wurde: "Lassen Sie sich auf kein emotionales Verhältnis zu ihren Patienten ein." Zur damaligen Zeit war dies sicher nicht als grausame und lieblose Anweisung gedacht, Menschen wie Objekte zu behandeln; es war vielmehr ein ehrlicher und ernsthafter Versuch, einen leidenschaftslosen und wissenschaftlichen Ansatz bei der Behandlung zu ermöglichen. Eine emotionale Verstrickung mit den Patienten vernebelte nicht nur das Urteilsvermögen des Arztes, sondern zehrte auch an dessen Kraft, und schien dadurch letztlich dem Patienten zu schaden.

Und doch gibt es – seit etwa ein oder zwei Jahrzehnten – eine Explosion an fundierter empirischer Forschung, welche zeigt, dass ein Einbezug verschiedener emotionaler Faktoren – sowohl auf Seiten der Vertreter der helfenden Berufe wie auch auf Seiten der Patienten – eine zutiefst positive Auswirkung auf die Behandlung hatte, wobei in vielen Fällen nicht nur Zeit, sondern auch Behandlungskosten eingespart wurden. Dabei handelte es sich nicht um "bedürftige" Patienten, denen es besser ging, sobald jemand ihre Hand hielt. Kontrollstudien zeigten immer wieder, dass, wenn bestimmte emotionale und affektive Elemente in den Heilungsprozess eingebracht werden, sich dann tendenziell positive Effekte bei allen unterschiedlichen Patientengruppen einstellen. Unverblümt gesagt, bedeutet dies, dass es nicht nur die Behandlungskosten steigert, sondern dem Patienten auch deutlich schadet, wenn in keiner Weise gefühlsmässig Anteil genommen wird. Was soll ein armer Doktor also tun?

Viele medizinische Schulen im ganzen Land begannen diese Forschung mit Argwohn zu beobachten. Das Ganze sah für die meisten herkömmlichen Mediziner zu sehr nach "New-Age" aus. Der Versuch diese "subjektiven" Faktoren einzuführen schien das Gegenteil von dem zu sein, was eine moderne Medizin tun sollte. Dennoch waren praktisch alle medizinischen Schulen gezwungen, sich mit dem Thema auseinander zusetzen, als Forschungen zeigten, dass Patienten mehr und mehr der orthodoxen Medizin den Rücken kehrten , und etwa 2 Milliarden Dollar jährlich für Typen von Gesundheitsfürsorge ausgaben, welche diese subjektiven Faktoren nicht ignorierte. Über zwei Drittel der medizinischen Schulen halten nun auch Kurse in komplementärer Medizin ab, obgleich das Verhältnis beider Ansätze zueinander nach wie vor schlecht (bis hin zu zynisch) ist. Ein Teil einer integralen Medizin besteht in dem Versuch einen Rahmen zu finden, der beiden Ansätzen – konventionell und komplementär – erlaubt miteinander und ohne Peinlichkeiten zu existieren.

Ein zweites Dilemma, dem sich traditionelle Ärzte gegenübersehen, ist das sehr schwierige Problem, welches unter dem Begriff "kartesianischer Dualismus" oder Körper-Geist-Problem bekannt ist, und welches, ungeachtet aller hochfliegenden philosophischen Beschreibungen, einfach nur bedeutet: Jetzt, in diesem Augenblick, fühlen Sie wahrscheinlich, dass Sie eine Art von Bewusstsein und freien Willen haben, und doch tut die physikalische Wissenschaft so, als wäre die Wirklichkeit ein geschlossenes materialistisches System. Auch wenn Sie als Philosoph ein Materialist sind, so müssen Sie doch ständig jede Erfahrung, die Sie machen, in materialistische Begriffe übersetzen, weil das einfach nicht ist, wie die Erfahrung bei Ihnen ankommt. Mit anderen Worten, Physikalismus verletzt das Wesenhafte dessen, wie sich die Welt natürlicherweise selbst darbietet (ganz zu schweigen davon, dass die Mehrheit der Philosophen dieses Bereiches einfach nicht glaubt, dass sich Bewusstsein auf ausschließlichen Materialismus reduzieren lässt). Und doch sind Sie, als konventioneller Arzt, mehr oder weniger gezwungen, einen Patienten zu behandeln, als ob er im wesentlichen ein biophysisches oder materielles System wäre – Medikation für dieses, Operation für jenes, Bestrahlung für etwas anderes, eine physische Intervention nach der anderen. Wenn es nach der Medizin geht, sind ihre Patienten physikalische Maschinen, und doch fühlen sie sich in ihrem eigenen Bewusstsein nicht wie eine physikalische Maschine– und so fühlen sich auch ihre Patienten nicht. Das "kartesianische" Problem in der herkömmlichen medizinischen Praxis besteht einfach darin, dass Sie gezwungen sind, ihren Patienten so zu behandeln, als wäre er oder sie eine physikalische Maschine, obgleich sie beide es besser wissen.

Ein drittes allgemeines Dilemma dem sich die konventionelle Medizin gegenübersieht, ist das des Einverständnisses und der Befolgung. Es wird mittlerweile angenommen, dass sich ein Grossteil der Behandlungsmisserfolge daher auftreten, weil sich Patienten nicht daran halten, was ihnen verschrieben und verordnet wurde (von der Einnahme von Tabletten bis zur Befolgung einer Diät). Das Verhalten der Mitarbeit des Patienten fiel schon immer in das ziemlich nebulöse Gebiet der"subjektiven Psychologie", also genau der Bereich, der durch das biophysische Modell der Medizin ausgeklammert wurde. Und wieder bleiben die wesentlichen Praktiken der biophysischen Medizin ineffektiv, durch eben jene Faktoren, die in ihrem Modell nicht im Mittelpunkt stehen.

Ein viertes Dilemma, dem sich Menschen in heilenden Berufen gegenübersehen, wird selten ausgesprochen, doch dieses Thema lauert immer im verschwiegenen Hintergrund: Wo genau lokalisieren wir Krankheit? Und wo lokalisieren wir die Ursachen von Krankheiten? Es ist schlicht unmöglich, irgendeine Krankheit genau einzugrenzen, von ihrenUrsachen ganz zu schweigen. Zu arteriosklerotischen Herzerkrankungen tragen viele Faktoren bei, einschließlich dem der Ernährung, mit Hauptübeltätern wie den schädlichen Fettsäuren, von denen heute angenommen wird, dass sie direkt zu vielen tausend Todesfällen im Jahr beitragen, und dennoch weitverbreitete Bestandteile praktisch jedes verpackten Nahrungsmittels in diesem Land [USA] sind. Oder nehmen wir die hormonähnlichen synthetischen Chemikalien, deren Anzahl in die Zehntausende geht. Von etwa 10% von ihnen weiß man, dass sie krebserregend sind. Kann irgend jemand noch gesund sein, wenn die Biosphäre krank ist? Aus dieser unangenehmen Perspektive heraus scheint es so zu sein, dass, wenn sie als Arzt einen Patienten behandeln, von ihnen verlangt wird, ein kleines Glied in einer Kette zu reparieren, die selbst aus einer Aneinanderreihung von zutiefst kranken Faktoren besteht.

Psychiater sehen sich ständig diesem schmerzhaften Dilemma gegenüber. Ein Teenager kommt in die Praxis zur Behandlung einer Angstneurose; dabei wird sehr schnell offensichtlich, dass nicht so sehr der Teenager sondern die Familie krank ist, mit einem Missbrauch treibendenVater und einer alkoholabhängigen Mutter. Wo ist die Krankheit "lokalisiert"? Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass dieser Teenager jeden Tag beim Betreten der Schule durch Metalldetektoren hindurchgehen muss, wo kontrolliert wird, ob er ein Uzi Maschinengewehr bei sich hat. Was soll der der arme Psychiater nun also tun? Natürlich dem Kind etwas verschreiben.

Das Dilemma besteht einfach darin, dass, so, wie auf geheimnisvolle Weise alles mit allem verbunden ist, auch jede Erkrankung irgendwie zutiefst in Netzwerke, Systeme und Ketten von Pathologien eingebunden ist, und dass jedes Individuum sich in der Position des sprichwörtlichen Kanarienvogels im Minenschacht befindet, welcher die systematische Krankheit ein wenig früher als andere aufnimmt und sensibel genug ist, um als erster von der Stange zu fallen.

Ob nun ein Praktizierender des Gesundheitswesens sich deutlich darüber klar ist oder nicht, dass Krankheit Teil eines größeren (und möglicherweise kranken) Systems in der Welt ist, es existiert normalerweise ein nagendes Gefühl dafür, dass die eigenen Anstrengungen zur Gesundheitsfürsorge sich nicht sehr unterscheiden von denen eines Chirurgen in einer MASH Einheit während des Krieges: man flickt jemanden wieder zusammen, und schickt ihn geradewegs zurück aufs Schlachtfeld, um sich die nächste Kugel zu fangen. Der in dieser Situation enthaltene Wahnsinn – das "Catch-22 " Dilemma – dürfte bis zu einem gewissen Grad von allen feinfühligen berufstätigen Menschen im Gesundheitswesen gespürt werden.

In Verbindung mit diesem schwierigen Thema, wie "Krankheit" zu definieren oder gar zu lokalisieren ist, steht das umgekehrte und gleichermaßen unlösbare Dilemma: Was verstehen wir unter "Gesundheit"? Wenn einmal verstanden worden ist, dass ein menschliches Wesen nicht einfach nur aus einer Ansammlung physischer Teile besteht, sondern auch emotionale, mentale und spirituelle Dimensionen beinhaltet, welche nicht restlos auf materielle Vorgänge reduziert werden können, was genau bedeutet dann "Gesundheit" in einem derartig multidimensionalen Wesen? Wie viele Ebenen des Seins – physisch, emotional, spirituell – muss ein Arzt behandeln? Bin ich gesund, wenn ich spirituell unterernährt bin? Wenn das Blutbild eines Nazis ohne Befund ist, ist diese Person dann gesund?

"Nun, als ein Arzt ist dies nicht meine vordringliche Sorge, und kann es auch nicht sein". Aber es ist das gleiche qualvolle Dilemma, nicht wahr? Indem wir sagen, dass diese Bereiche nicht zu den Aufgaben eines Arztes gehören, geben wir – durch Unverbindlichkeit– ein Treueversprechen zu der alten materialistischen Version der Medizin ab, und zwingen uns dadurch selbst dazu, einen Menschen nach einem Modell zu behandeln, von dem sowohl der Arzt als auch der Patient wissen, dass es Unfug ist. Und hier ist das qualvolle Dilemma: Als ein im Gesundheitswesen tätiger Mensch müssten Sie sich in der Tat auf ein bestimmtes Gebiet spezialisieren und alle anderen ignorieren und ausklammern; doch als ein menschliches Wesen können Sie das einfach nicht tun und gleichzeitig irgendeine Form geistiger Gesundheit oder Anstand aufrechterhalten. Je effektiver Sie als Arzt nach konventionellem Verständnis sind, umso weniger empfinden Sie sich allmählich noch als Mensch.

Integrale Medizin ist zum Teil auch dafür konzipiert, Hilfe bei diesen Dilemmas zu geben, nicht so sehr in ihren Auswirkungen auf den Patienten oder Klienten, sondern in ihren Auswirkungen auf den Arzt oder den im Gesundheitsbereich Tätigen. Integrale Medizin ist daher – natürlich - ein Weg, um Menschen wirksamer und effizienter zu helfen; doch zu allererst und vorrangig ist es ein Weg, um den im Gesundheitsbereich tätigen Menschen zu helfen, mit all diesen drängenden und qualvollen Dilemmas umzugehen.

Dies ist eines der definierenden Kriterien, welches integrale Medizin sowohl von konventioneller als auch von alternativer Medizin unterscheidet. Manchmal wird gesagt, dass konventionelle Medizin die Krankheit behandelt, und alternative Medizin die Person. Das ist in Ordnung, und ich persönlich glaube, dass beides sehr wichtig ist. Doch die integrale Medizin geht noch einen Schritt weiter: sie behandelt die Krankheit, die Person und den Arzt.

An dieser Stelle ist es nützlich, eine Unterscheidung zu treffen zwischen dem, was man einen "integralen Ansatz" und dem, was man einen "integral informierten Ansatz" nennen kann. Wie wir sehen werden, spielen beide eine wichtige Rolle in einer integralen Medizin, obgleich ersterer mehr auf den Patienten zutrifft, und letzterer auf den im Gesundheitsbereich tätigen Menschen. Während ein integraler Ansatz dem Patienten effektiver helfen kann, kann ein integral informierter Ansatz dem Heiler effektiver helfen.

Alle die oben erwähnten Dilemmas sind Variationen eines allgemeinen Themas: die Natur eines Menschen und seine oder ihre Beziehung zu einem umfassenderen Weltbild. Wenngleich es an dieser Stelle auch den Anschein hat, als würden wir einen unnötigen Umweg durch die Philosophie, Psychologie, Metaphysik oder andere alarmierend irrelevante Bereiche machen, geht es bei jedem wahrhaft integralen Ansatz im Grunde nur darum, so schnell wie möglich mit so vielen wichtigen Forschungsbereichen wie möglich in Kontakt zu kommen, bevor man sich wieder sehr schnell den speziellen Themen und Anwendungen einer gegebenen Praxis zuwendet, wie in unserem Fall der Medizin. Glücklicherweise können die Ergebnisse dieses speziellen Umweges ziemlich einfach, kurz und bündig zusammengefasst, und mit ihrer direkten Relevanz für die Medizin schnell dargestellt werden.

Ein integraler Ansatz bedeutet in einem gewissem Sinn "Die Sicht aus 10 Kilometern Höhe". Es ist eine panoramische Schau auf die Untersuchungsmodi (bzw. die Werkzeuge der Wissensgewinnung) die Menschen verwenden, und dies schon seit Jahrzehnten oder manchmal auch seit Jahrhunderten. Ein integraler Ansatz basiert auf einer Grundidee: kein menschliches Denken kann zu 100% falsch sein. Oder, wir können es auch so sagen: Niemand ist so smart, immer völlig falsch zu liegen. Und das bedeutet, wenn es darum geht zu entscheiden, welche Ansätze, Methodologien, Erkenntnistheorien oder welche Arten des Wissens "richtig"sind, dass die Antwort nur lauten kann, "Alle." Das heißt, all die zahlreichen Praktiken oder Paradigmen menschlicher Untersuchungen – einschließlich Physik, Chemie, Hermeneutik, gemeinschaftliche Untersuchung, Meditation, Neurowissenschaften, Visionssuche, Phänomenologie, Strukturalismus, Erforschung subtiler Energie, Systemtheorie, schamanische Reisen, Chaostheorie, Entwicklungspsychologie – all diese Untersuchungsmodi besitzen ein wichtiges Stück des Gesamtpuzzles einer umfassenden Existenz, welche - neben vielen anderen Dingen - Gesundheit und Leiden, Doktoren und Patienten, Krankheit und Heilung beinhaltet.

Und so nimmt ein integraler Ansatz seinen Ausgangspunkt nicht z.B. bei der Frage, "Welche dieser Methodologien sind richtig und welche sind falsch?," sondern fragt stattdessen, "Welcher Art ist ein Universum beschaffen, das das Erscheinen all dieser Praktiken überhaupt erlaubt?" Da kein Denken zu 100% Fehler produzieren kann, bedeutet dies unvermeidlich, dass all diese Ansätze einer integralen Zusammenschau zumindest einige Teilwahrheiten anzubieten haben, und die einzig wirklich interessante Frage ist, welche Art von Rahmen wir ersinnen können, in dem all die wichtigen, wenn auch nur teilweise richtigen Wahrheiten all dieser Methodologien ihren Platz finden.

Wenn wir einen derartigen Rahmen finden würden, ist es dann nicht wahrscheinlich, dass dieser Rahmen einen direkten Einfluss auf die praktische Ausübung der Medizin und die schwierigen Dilemmas haben würde, denen sich die Praktizierenden gegenüber sehen, welche ja wirklich gegenwärtig dazu gezwungen sind, in ihrer Ausübung der Medizin weniger-als-integral zu sein – und dabei gleichzeitig den Druck und die innere Unruhe des Wunsches spüren, als ein menschliches Wesen so ganzheitlich und integral wie möglich zu sein? Und sich dabei wünschen, diese Integrität in einer integral informierten Ausübung der Medizin auszudrücken? Ist es wirklich notwendig, dass, ich umso weniger Mensch werde, je mehr ich zum Arzt werde? Oder gibt es einen Weg, Medizin auszuüben, der - ohne auch nur eine Unze der rigoros wissenschaftlichen, empirischen und klinischen Dimensionen aufzugeben, welche immer ein Eckstein eines jeglichen modernen wissenschaftlichen Gesundheitssystems sein werden - auf ebenso schlüssige Weise Raum lässt für all die anderen Dimensionen des in-der-Welt-Seins, Dimensionen, die, wenn sie ignoriert oder unterdrückt werden, nicht nur von der eigenen Menschlichkeit, sondern ebenso von derFähigkeit ein wahrhaft effektiver Arzt zu sein, abgezogen werden?

Um zu zeigen, worum es geht, hier nun ein Beispiel dafür, wie ein integraler Ansatz im Bereich der Psychologie angewendet wurde; das Beispiel ist unmittelbar relevant, weil ein integraler Ansatz gerade im Bereich der Psychologie und des Bewusstseins der konventionellen Medizin viel zu bieten hat.

Es gibt mindestens ein dutzend Hauptschulen der Psychologie – in Ost und West, alte und moderne. Es gibt hier die eher "äusserlichen" und "objektiven" Ansätze zum Bewusstsein, wie die Neurowissenschaften, die Kognitionswissenschaften, Chaos- und Komplexitätstheorien, Behaviorismus und Neuropharmakologie. Es gibt die eher "innerlichen" oder "subjektiven" Ansätze wie Tiefenpsychologie, Meditation, geführte innere Reisen, und Phänomenologie. Es gibt die "sozialen" Ansätze, welche die beziehungsmäßige Natur des Bewusstseins betonen, einschließlich Familientherapie, Systemtheorie, und Sozialpsychologie. Und es gibt die Avantgarde-Ansätze, einschließlich der Erforschung subtiler Energien, metanormaler und paranormaler Fähigkeiten, und transpersonaler Zustände und Stufen des Bewusstseins.

Als ich erstmals mit dem Studium von Psychologie und Bewusstsein begann, war es immer noch gängige Praxis, eine (oder maximal zwei) dieser Schulen zu wählen, zu entscheiden, dass dies die im wesentlichen richtigen Ansätze sind, und dann den Rest des Berufslebens damit zu verbringen, die zehn anderen Lehrmeinungen energisch zu attackieren. Doch als integrale Perspektiven begannen, auf das Forschungsfeld Einfluss zu nehmen, änderte sich die zentrale Fragestellung hinsichtlich der Studien von Psychologie und Bewusstsein von "Welche dieser 12 ist der beste oder richtigste Ansatz?" zu "Wie ist es möglich, das all diese 12 Schulen überhaupt existieren?"

Niemand ist so smart, immer völlig falsch zu liegen. Die Implikation war klar: Wenn wir jemals etwas haben werden, das einer umfassenden, einschließenden, integralen Sicht der Psychologie und des Bewusstseins ähnelt, dann gibt es eine und nur eine Sache, deren wir uns ganz sicher sind: diese Sicht wird alle 12 dieser Schulen beinhalten. Hunderte und tausende anständiger Männer und Frauen in der ganzen Welt praktizieren schon jetzt Neurowissenschaften, oder psychiatrische Pharmakologie, oder Meditation, oder die Erforschung subtiler Energien, oder transpersonale Psychologie, oder Kontemplation, oder erforschen Chaos- und Komplexitätstheorien. Ganz überwiegend sind dies verantwortliche, aufrichtige, und wirklich interessierte Männer und Frauen von Integrität, und sie sind aufrichtig davon überzeugt, dass die Ausübung des Forschungs- oder Berufsbereiches, den sie gewählt haben, einen positiven und hilfreichen Beitrag zur Menschheit leistet. Und wissen Sie was? Ich glaube ihnen das. Und ich hoffe, Sie tun das auch. Es geht nicht darum, ob sie das nun tun können, oder tun sollten, oder ob sie eine Fehler damit begehen, wenn sie das tun. Es ist einfach der Fall, dass sie es bereits tun, und sie tun das innerhalb von Wissensgemeinschaften, welche ihr Wissen über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte weitergetragen haben, und alle haben auf eine unschätzbare Weise zum Gesamtverständnis dessen beigetragen, was es bedeutet, ein Mensch in der Welt zu sein.

Und so lautet die wirklich interessante Frage im Bereich Psychologie und Bewusstseinsstudien sehr bald, "Welches theoretische Rahmenwerk kann all den wichtigen, wenngleich auch nur Teil-Wahrheiten aller dieser 12 Schulen Rechnung tragen?" Und weiter, "Wenn wir einmal eine Art integrale und nicht-ausschliessende Theorie haben, wie kann diese integrale Theorie dann in eine integrale Praxis umgesetzt werden?"

Hier nun ein Ergebnis eines derartigen integralen Ansatzes aus dem Bereich der Psychologie und der Bewusstseinsstudien. Wenn wir alle 12 dieser wichtigen psychologischen Schulen auf den Tisch legen; und wenn wir annehmen, dass sie alle ein wichtiges Teil zum gesamten Puzzle beitragen; und wenn wir dann fragen, "Wie muss die Natur der menschlichen Psyche beschaffen sein, wenn sich alle diese Ansätze auf einige ihrer wichtigen Aspekte konzentrieren?", dann ist eine der Schlussfolgerungen die man zieht die, dass die menschliche Psyche verschiedene Dimensionen oder Bereiche enthalten muss, damit die oben erwähnten Methodologien überhaupt existieren können.

Derjenige Typ einer integralen Psychologie, mit dem ich am meisten vertraut bin, verdichtet all diese "Notwendigkeiten" in fünf der wichtigsten Dimensionen oder Bestandteile der Psyche, welche Quadranten, Ebenen, Linien, Zustände und Typen genannt werden. Ein paar der folgenden Kapitel [des Buches] präsentieren einen allgemeinen Umriss dieser Version einer integralen Psychologie, so dass ich mich hier kurz fassen kann - doch der Punkt ist der, dass, wenn wir eine integralere Psychologie haben, wir dem näherkommen, was es heißt ein integraler Arzt zu sein.

"Quadranten" ist lediglich eine abgekürzte Schreibweise für die Perspektiven der ersten, zweiten und dritten Person. Alle grossen menschlichen Sprachen haben Fürwörter der ersten-, zweiten und dritten Person (erste Person: ich, wir; zweite Person: du, ihr; dritte Person: er, sie, es, ihr, sie). Die einfachste und am wenigsten abwertende Erklärung dafür ist: diese Fürwörter repräsentieren reale und dauerhafte Dimensionen der Erfahrung und Wirklichkeit, Dimensionen, denen die Sprache sich während der Evolution angepasst und die sie aufgenommen hat. Die Dimensionen des in-der-Welt-Seins der ersten Person beinhalten daher, neben anderen Dingen, das innere "Ich", Selbstidentität, Kunst und ästhetischen Ausdruck, Meditation, Tiefenpsychologie, geführte innere Reisen, Introspektion, kontemplatives Gebet, normale und veränderte Bewusstseinszustände, und innerliche Phänomenologie. Die Dimensionen des in-der-Welt-Seins der zweiten Person betreffen, neben anderen Dingen, die verschiedenen Weisen wie ein "du" und ein "ich" zusammenkommen können und ein "wir" bilden (was der Grund dafür ist, warum "du" und "wir" manchmal als zweite Person zusammen betrachtet werden), und daher beinhalten die Dimensionen der zweiten Person die Kultur, Hermeneutik, gegenseitiges Verstehen, Moralität (wie wir rücksichtsvoll miteinander umgehen), Intersubjektivität in all ihren Dimensionen, und die Kommunikation selbst. Die Dimensionen der dritten Person des in-der-Welt-Seins beinhalten die eher"objektiven" Ansätze gegenüber der Wirklichkeit, welche keine "Ich-Sprache" oder "Wir-Sprache" verwenden, sondern eine "Es-Sprache" – und zwar die im klassischen Sinne"wissenschaftlichen" Ansätze, welche sich auf die Dimensionen der dritten Person des in-der-Welt-Seins konzentrieren – Ansätze wie Physik, Chemie, Neurowissenschaften, Phamakologie uns so weiter. Diese "Es"-Ansätze werden manchmal unterteilt in individuelle Ansätze und Systemansätze, mit den daraus resultierenden Wissenschaften, welche sich auf ein Individuum oder seine Bestandteile konzentrieren (die eher "atomistischen" Versionen der Wissenschaft, einschließlich Physik, Molekularbiologie usw.) und diejenigen, welche sich auf das Kollektive konzentrieren (wie die zahlreichen Formen der Systemtheorie, Ökologie und die Komplexitätstheorien). Diese zwei Ansätze werden oft zusammengefasst als "Es" [it] (Singular) und "Es" [its] (Plural, kollektiv, Systeme).

So stellen die Quadranten (Ich, Wir, Es [Singular] und Es [Plural]) einen einfachen Weg dar, um die vier Hauptdimensionen des in-der-Welt-Seins zu verfolgen, und sind nicht nur in allen grossen Sprachen eingebettet – und daher bereits schon gegenwärtig und voll wirksam sowohl in Ihnen als auch in Ihren Patienten – sondern sind die Dimensionen der Wirklichkeit, welche von buchstäblich Hunderten von Paradigmen, Praktiken, Methodologien und Untersuchungsmodi intensiv erforscht worden sind. Diese Dimensionen des in-der-Welt-Seins werden am einfachsten zusammengefasst als Selbst (Ich), Kultur (Wir), und Natur (Es). Oder Kunst, Moral und Wissenschaft. Oder das Schöne, das Gute und das Wahre. Oder einfach Ich, Wir und Es. Und das Interessante daran ist, dass, so weit wir das sagen können, keine dieser Dimensionen restlos auf die anderen reduziert werden kann (was der Grund dafür ist, dass Sie als Wissenschaftler den Versuch unternehmen können, sich ausschließlich auf die "Es"-Dimension der Wirklichkeit zu konzentrieren, doch als menschliches Wesen ist Ihnen das nicht möglich, ohne einen Bruch im Gefüge der Erfahrung zu erzeugen).

Natürlich haben Reduktionisten jedes Quadranten seit Jahrhunderten versucht, die anderen drei Quadranten auf eine raffinierte Version ihres eigenen Quadranten zu reduzieren, und dabei einen glühend heißen Fehlschlag nach dem anderen erfahren. Der Materialist ist ein "Ich", welches seine Zeit mit dem Versuch verbringt, zu beweisen, dass "Iche" nicht existieren; ein subjektiver Idealist ist ein "Ich," welches auf "Esse" schaut und zu beweisen versucht, dass diese nicht existieren; ein postmodernener Konstruktivist versucht zu beweisen, dass sowohl "Iche" als auch "Esse" nichts anderes sind als soziale Konstruktionen eines "Wir". Insgesamt bekommt man den Eindruck von vier Gliedmassen eines Körpers, von denen jedes argumentiert, dass die anderen nicht existieren, eine Situation die sich vermutlich am besten mit den folgenden Worten Lovejoy's zusammenfassen lässt, "Es gibt keine menschliche Dummheit, die nicht vehement von jemandem vertreten wurde." Jedenfalls ist ein derart reduktionistisches Unternehmen einfach uninteressant für einen integral informierten Praktizierenden, weil – wie gesagt - niemand schlau genug ist, um sich immerzu zu irren.

Wenn man sich diese vier Quadranten betrachtet, eingebettet in allen natürlichen Sprachen, wird sehr schnell offensichtlich, dass hier eine einfache Symmetrie im Spiel ist. "Ich", "Wir", "Es" (Singular) und "Es" (Plural) stehen für das Innerliche und das Äußerliche des Individuellen und des Kollektiven [es folgt ein Verweis auf eine Grafik des vier Quadranten Modells]. Die linksseitigen bzw. innerlichen Dimensionen (des Ich und Wir, oder die Dimensionen der ersten und zweiten Person des in-der-Welt-Seins) sind "unsichtbar", in der Hinsicht, dass sie nicht mit den äußeren Sinnen gesehen werden (z.B. Mathematik, Logik, gegenseitiges Verstehen, Liebe, Mitgefühl, Introspektion, Meditation, geführte innere Reisen, normale und außergewöhnliche Bewusstseinszustände, usw.); doch die rechtsseitigen bzw. äußerlichen Dimensionen (des "Es" [Singular] und "Es" [Plural]) können mit den Sinnen gesehen werden, weil sie objektive Dimensionen oder Dimensionen der dritten Person des in-der-Welt-Seins sind, einschließlich Atomen, Molekülen, Zellen, Organismen, Ökosystemen, und so weiter. Während die Quadranten der linken und rechten Seite innerliche und äußerliche Wirklichkeiten repräsentieren, repräsentieren die oberen und die unteren Quadranten das Individuelle (Ich, Es) und das Kollektive (Wir, Es [Plural]).

Die Bedeutung dieses einfachen Schemas liegt nun darin, dass alle diese vier Dimensionen untrennbar zusammen gehören, und sei es allein deshalb, weil, man keine Innerlichkeit ohne eine Äußerlichkeit haben kann, und keinen Singular ohne einen Plural (was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass die Geschichte des Reduktionismus aus einer solch konsistenten Aneinanderreihung von Fehlschlägen besteht ). Doch plötzlich wird das ziemlich faszinierend, weil es einen direkten Bezug zur praktischen Ausübung der Medizin hat. Verwendet man einfach nur die Quadranten, und breitet sie auf einem Tisch vor sich aus [es folgt ein Verweis auf eine Grafik des vier Quadranten Modells], dann wird es offensichtlich, dass die konventionelle Medizin sich nahezu ausschließlich auf einen der Quadranten – und zwar auf den oberen rechten Quadranten, bzw. die Dimension der dritten Person Singular des in-der-Welt-Seins konzentriert hat. Die konventionelle Medizin hat sich - mit anderen Worten – nahezu vollständig auf den individuellen Organismus und die objektive physikalische Dimension dieses Organismus (einschließlich seiner Anatomie, Physiologie, Organsysteme, und den Auswirkungen physischer Eingriffe in Form von Medikamenten oder Chirurgie) konzentriert – alles aus den "Es"-Dimensionen eines Menschen, welche definitiv real, und definitiv ein entscheidend wichtiger Teil der Gesundheit sind – doch sie sind, sozusagen, nur ¼ der gesamten Geschichte, welche sich in ihrer Arzt-Praxis abspielt. Wenn Sie und Ihre Patienten diese vier Dimensionen bereits immer schon zur Verfügung haben und diese sowieso in jedem Moment wirksam sind , doch wenn Ihre medizinische Tätigkeit es Ihnen lediglich "erlaubt," ¼ der tatsächlichen Bedingungen zu verwenden oder zu behandeln, dann hat es an irgendeiner Stelle einen fürchterlichen Riss gegeben, und sowohl Sie als auch Ihr Patient können ihn fühlen, können diesen erbärmlichen Bruch im Kosmos fühlen, der "zum Arzt gehen"genannt wird.

Es ist vielleicht offensichtlich, dass viele alternative und komplementäre Ansätze gegenüber der Medizin – auf ihre jeweils eigene Weise – versuchen, die anderen drei Quadranten zu berücksichtigen, welche durch die konventionelle Medizin vernachlässigt werden. So versuchen z.B. viele alternative Ansätze, die wichtigen Dimensionen des oberen linken Quadranten (oder "Ich") einzubeziehen, einschließlich Meditation, geführter innerer Reisen, Entspannungstechniken, Visualisierungen, kontemplativem Gebet und so weiter. Andere Ansätze versuchen die Bedeutung sozialer Systeme (oder des unteren rechten Quadranten) zu berücksichtigen, und sehen daher Fragen der Gesundheit in einem größeren Zusammenhang ökologischer Systeme und der Vergiftung der Umwelt, betrachten soziale Systeme und ihre Krankheiten, sowie die komplexen Netzwerke, die alle Lebewesen einbeziehen. Andere komplementäre Ansätze wenden ihre Aufmerksamkeit den feineren Dimensionen des oberen rechten Quadranten zu, wie den subtilen Energien, welche den grobstofflich physischen Organismus zu umgeben und zu durchdringen scheinen. Wieder andere komplementäre Ansätze heben die Wichtigkeit des unteren linken Quadranten bzw. "Wir" hervor – die Bedeutung von Kultur, einem unterstützenden Netzwerk von intersubjektivem Verständnis (einschließlich der Kommunikation zwischen Doktor, Patient, Familie und Freunden), und Selbsthilfegruppen oder Gruppentherapie.

Wenngleich es stimmt, dass z.B. Frauen mit Brustkrebs, die sich einer Selbsthilfegruppe anschließen, eine um 30% höhere Überlebensrate haben als Frauen, die dies nicht tun, so geht es vor allem auch darum, dass interpersonelle Kulturen einen Wert für sich haben, sie sind ein sehr realer und sehr wichtiger Quadrant bzw. eine Dimension des in-der-Welt-Seins, und man beteiligt sich an dieser Dimension nicht nur, weil das dem physischen Körper erlaubt, ein bisschen länger herumzuspazieren, sondern weil dadurch eine grundlegende, wundervolle und tiefe Dimension des Seins und Bewusstseins ausgeübt wird. Die Tatsache, dass Menschen gesünder werden wenn sie dies tun, bedeutet einfach, dass umfassend besser ist.

Die Beispiele sind zahlreich. Ein integraler Rahmen macht klar, dass jeder Bewusstseinszustand in einem individuellen "Ich" eine dazugehörige Entsprechung im Gehirn des physischen Organismus hat (dem individuellen "Es"). Einen Gehirnzustand kann man mit Pharmakologie und Neurochirurgie behandeln; die Geisteszustände hingegen behandelt man mit Tiefenpsychologie und Meditation. Es ist nicht notwendig, dass man als Neurochirurg oder auch als Hausarzt auf irgendeine Weise Tiefenpsychologie oder Meditation in der eigenen Praxis anbietet (wenngleich das sicherlich möglich ist, wenn man das möchte); doch ist es nun einmal so, dass ein integral informierter, medizinisch Praktizierender sich der tatsächlichen Dimensionen des Seins und Bewusstseins, welche in seinem Patienten gegenwärtig sind, bewusst ist, und daher sagen kann, wann dieser Patient Prozac [ein Antidepressivum] oder Meditation - oder beides – benötigt. So wie es jetzt ist, werden die meisten Erkrankungen in den anderen Quadranten mit Mitteln behandelt, welche lediglich auf den physischen Organismus effektiv einwirken: seelische Leiden werden mit Antibiotika kuriert, weil die Patienten irgendetwas bekommen wollen.

Während die meisten holistischen oder alternativen Grundkonzepte die Bedeutung dieser vier Quadranten oder Dimensionen anerkennen (intentional, verhaltensmässig, sozial und kulturell), erweitert ein integraler Rahmen seine heuristische Perspektive noch ergänzend durch die Anerkennung von Ebenen, Linien, Zuständen und Typen. Dies ist nicht lediglich ein eklektizistischer Rahmen, wie er in den meisten alternativen oder holistischen Ansätzen zu finden ist (und welcher einfach nur davon ausgeht, dass alles mit allem verbunden ist), sondern ein integrales Rahmenwerk (bzw. ein kohärentes System, welches spezifische Aussagen darüber macht, wie alles mit allem zusammenhängt). Ich möchte an dieser Stelle nur ein paar kurze Beispiele geben, um zu zeigen, worum es geht, und dann können wir zurückkehren zu dem, was eine "integral informierte" medizinische Praxis mit sich bringen könnte.

Unter den Spezialisten der innerlichen Dimensionen des Individuums (dem "Ich" bzw. dem oberen linken Quadraten) finden wir einen allgemeinen Konsens darüber, dass es Stufen des Bewusstseins, Zustände des Bewusstseins, und Typen des Bewusstseins gibt. Weil Ereignisse in jedem der Quadranten durch alle Quadranten widerhallen (wobei Gesundheit oder Krankheit in einem Quadranten dazu tendiert, Gesundheit bzw. Krankheit in den anderen zu induzieren), gibt uns ein integraler Rahmen eine Möglichkeit zu beginnen, die Auswirkungen der verschiedenen Bewusstseinsaspekte auf eine organische Gesundheit bzw. Krankheit miteinander in Beziehung zu setzen. Der Einfluss von veränderten Bewusstseinszuständen auf Gesundheit und Heilung wurde bereits dokumentiert, von den Zeiten des Schamanismus bis zur heutigen Psychoneuroimmunologie, und sie werden einige empirische Studien darüber in diesem Buch finden. Ebenso wichtig ist die Existenz von Bewusstseinsstufen. Die dokumentierten Stufen oder Wellen des Bewusstseins scheinen ein Spektrum zu umfassen, welches sich vom Sensorischen zum Mentalen zum Spirituellen erstreckt; vom Präpersonalen zum Personalen zum Transpersonalen; vom Unterbewussten zum Selbstbewussten zum Überbewussten. Wenn die Menschen früher über ein Spektrum des Bewusstseins sprachen, welches sich von Materie zu Körper zum Geist [mind] zur Seele zum GEIST erstreckt, dann scheint es, dass sie eine Version dieses grossen Spektrums der Potentiale zum Ausdruck brachten – physikalisch, emotional, mental und spirituell – Potentiale welche, wie auch die Quadranten, jedem Reduktionismus wirksam widerstehen.

(Ja, ich weiß, der Versuch GEIST auf Materie zu reduzieren ist eine weitere Torheit, der es nicht versagt war, ihre meisterlichen Vertreter zu finden. Doch wie immer man es auch versucht, es ist einfach unmöglich, GEIST auf Kombinationen und Permutationen von verspieltem Staub zu reduzieren. Und warum dieser Staub sich erheben und damit beginnen sollte, Poesie zu schreiben, wurde von den Materialisten jeglicher Couleur niemals wirklich erklärt. Es ist nicht nur so, dass derartiger Reduktionismus das Wesen dessen, was gegeben ist, verletzt, er versagt auch unweigerlich im Rahmen seiner eigenen Terminologie, indem er auf implizite Weise genau die Dinge einführt, welche er wegzuerklären versucht. William James nannte Reduktionismus "Genie gepaart mit Vorurteil" – es braucht ein Genie, um in der Lage zu sein, diesem philosophischen Spiel den Anschein von Sinnhaftigkeit zu geben, und es braucht ein Vorurteil, um so etwas überhaupt tun zu wollen. Ein informierter integral Praktizierender legt einfach jedwedes reduktionistische Vorurteil beiseite, und, indem er das theoretische Netz so weit wie möglich auswirft, um so wenig offene Geheimnisse wie möglich zu verpassen, erkennt er an, was die Menschen so ziemlich von Anbeginn an wussten: wir alle haben physische, emotionale, mentale und spirituelle Dimensionen des Seins und Bewusstseins).

Darüber hinaus scheint es so, dass jede dieser Dimensionen, Ebenen, oder Wellen der Existenz in einer gesunden und in einer kranken Form existieren kann. Es gibt nicht nur weitaus mehr Formen von Gesundheit als diejenigen, welche die konventionelle Medizin kennt, es gibt auch mehr Weisen der Krankheit.

Natürlich sind diese Dinge immer in einander verschlungen, doch es scheint in der Tat physische Gesundheit, emotionale Gesundheit, mentale Gesundheit, und spirituelle Gesundheit zu geben, als ein Ausdruck der Ebenen, Stufen oder Wellen dieses außergewöhnlichen Spektrums. Dementsprechend scheint es ebenso physische Krankheit, emotionale Krankheit, mentale Krankheit und spirituelle Krankheit zu geben. Wie wir sehen werden, wird dieses große Spektrum von Gesundheit und Krankheit von vordringlichem Interesse für einen integral Praktizierenden.

Durch dieses Bewusstseinsspektrum mit seinen Stufen oder Wellen laufen zahlreiche unterschiedliche Ströme. Das heißt, es scheint mindestens zwei Dutzend relativ voneinander unabhängige Entwicklungslinien oder –ströme zu geben, welche durch die Entwicklungsebenen bzw. Bewusstseinswellen voranschreiten. Diese Entwicklungslinien umfassen die kognitive Linie (wie sie z.B. von Robert Kegan und Patricia Arlin studiert werden), die interpersonellen Linien (z.B. William Selman, Cheryl Armon), die Werte-Linien (Clare Graves), Selbstidentität (Jane Loevinger), Stufen des Glaubens (James Fowler), Moral (Lawrence Kohlberg, Carol Gilligan), Bedürfnisse (Abraham Maslow), und andere Linien. Diese Entwicklungslinien oder –ströme werden manchmal auch als "Intelligenzen" bezeichnet, in einer Weise, wie sie von Howard Gardner bekannt gemacht wurde (z.B. emotionale Intelligenz, musikalische Intelligenz, kinästhetische Intelligenz, kognitive Intelligenz, usw.). Das wichtige Phänomen, bekannt unter der Bezeichnung "Wellen und Ströme" (oder "Ebenen und Linien") bedeutet einfach, dass ein Mensch sich in einer Linie auf einer ziemlich hohen Ebene der Entwicklung befinden kann (wie der kognitiven Linie), auf einer mittleren Entwicklungsebene in anderen Linien (wie derzwischenmenschlichen), und auf einer ziemlich niedrigeren Ebene in wieder einer anderen Linie (wie Moral). Das leuchtet auch unmittelbar ein, da wir alle Menschen kennen, welche, sagen wir, hochintelligent, aber nicht sehr ethisch sind; oder Menschen, die bestimmte Fähigkeiten weit entwickelt haben und andere Fähigkeiten nicht. Eine integrale Psychologie gibt all diesen Faktoren Raum.

Und all diese Faktoren drängen unvermeidlich ins Spiel, nicht nur bei Gesundheit und Heilung, sondern im gesamten Bereich dessen, was es heißt Medizin auszuüben, nicht im Verhältnis eines Mechanikers zu einer Maschine, nicht im Verhältnis eines Klempners zu einem tropfenden Wasserhahn, sondern von Mensch zu Mensch. Was wäre, wenn Sie in ihrer kleinen schwarzen Arzttasche nicht nur 20 Pillen, zwei Skalpelle und einen orthopädischen Hammer hätten - sondern auch alle Quadranten, alle Wellen, alle Ströme, alle Zustände und alle Typen? Was wäre, wenn Ihre Arzttasche auch eine umfassendere und integrale Karte desjenigen Menschen enthalten würde, der sich hilfesuchend an Sie wendet, derart, dass Sie eine wahrhaft integrale Diagnose erstellen können, welche alle bekannten Bereiche abdeckt, die möglicherweise zum Verständnis der Krankheit eben dieses leidenden Menschen beitragen könnten, der in diesem Moment vor Ihnen steht?

"Ach, aber leider sind all diese Faktoren nicht in meinem Aufgabenbereich. Als Arzt muss ich mich auf die organische Erkrankung und deren Heilung konzentrieren." Doch sehen Sie, das ist sehr wohl Ihre Sorge, weil es eben in Ihrer Kultur so ist, dass, wenn jemand wirklich krank wird, jeder ihm das gleiche sagt: "Das beste ist, du gehst zum Arzt". Wenn man wirklich krank ist, in welchem Bereich auch immer, geht man nicht zum Rabbi, oder Priester, oder zur Massage. Man geht zum Arzt.

Und was soll der arme Doktor tun? Die meisten Allgemeinmediziner werden sagen, dass in gut über der Hälfte aller ihrer Fälle mit dem Patienten körperlich alles in Ordnung ist. Doch das heißt doch nur, dass im oberen rechten Quadranten alles in Ordnung ist, weil eindeutig etwas in den anderen Quadranten nicht stimmt (oder in den anderen Ebenen oder Linien oder Zuständen). Noch einmal, es ist nicht notwendig, dass Sie, nehmen wir einmal an, Sie sind ein Allgemeinmediziner, die Fähigkeiten haben müssen, alle diese Krankheiten in allen anderen Quadranten oder Ebenen oder Zuständen zu behandeln. Spezialisierung wird bis zu einem gewissen Grad immer notwendig sein. Doch wenn es ihr Bestreben ist, ein integral informierter medizinisch praktizierender Mensch zu sein, dann werden Sie mit den Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten in den anderen Quadranten und Dimensionen zumindest vertraut sein. Eine "integrale medizinische Praxis" ist eine Praxis, welche Raum schafft für die ganze Palette effektiver Behandlungsmöglichkeiten, quer durch alle Quadranten und Dimensionen menschlicher Gesundheit und Krankheit. Es scheint tatsächlich physische und emotionale und mentale und spirituelle Wellen des Seins und Bewusstseins zu geben, von denen jede eine "Ich", eine "Wir" und eine "Es"-Dimension besitzt. Und durch diese Wellen der Existenz verlaufen offenbar kognitive Ströme und Ströme der Selbstidentität und Werteströme und Ströme der Körperbeherrschung, die sich alle drängend und sprudelnd durch dieses außerordentliche Spektrum hindurchbewegen, vom Unterbewussten zum Selbstbewussten zum Überbewussten. Und es erscheint mehr als wahrscheinlich, dass jede einzelne dieser Variablen an jedem einzelnen Fall von Gesundheit oder Leiden, Krankheit oder Genesung, Heiler und Geheiltem beteiligt ist.

Doch der entscheidende Bestandteil in einer jeden medizinischen Praxis ist nicht die integrale Arzttasche – mit all den konventionellen Pillen, der orthodoxen Chirurgie, der Medizin der subtilen Energie und den Akupunkturnadeln – sondern derjenige, der diese Tasche trägt, der integral informierte Praktizierende im Gesundheitswesen; die Doktoren und Krankenschwestern und Therapeuten, die sich selber für das gesamte Bewusstseinsspektrum geöffnet haben – von Materie zu Körper zu Geist [mind] zu Seele zu GEIST – und die hierdurch anerkannt haben, was ohnehin zu geschehen scheint: Körper und Geist und GEIST wirken im Selbst und in der Kultur und in der Natur, und daher sind Gesundheit und Heilung, Krankheit und Ganzheitlichkeit, alle miteinander in einer Art multidimensionalem Wandteppich verwoben, in welchen nicht ein Schnitt getan werden kann, ohne einen tödlichen Blutverlust hervorzurufen.

Eine integral informierte medizinische Praxis verändert zuerst den Praktizierenden; er oder sie kann sich dann entscheiden, welche der Behandlungsmöglichkeiten – konventionell, alternativ, komplementär, und/oder holistisch – er oder sie bei einer integeren medizinischen Praxis verwenden möchte. Das kann die Einbeziehung neuer Behandlungsmöglichkeiten beinhalten, ob konventionell oder alternativ; oder eine gewissenhafte Überweisung der Patienten zu Praktizierenden der anderen Quadranten, wenn eine integrale Diagnose dies nahe legt; vielleicht schließt er oder sie sich auch einer Gruppe von Medizinern oder einem Zentrum an, welches sich auf integrale Behandlungen spezialisiert (mit Spezialisten in den verschiedenen Quadranten, Zuständen und Ebenen der Gesundheit und Krankheit). Die einzige Konstante unter all diesen ist dabei der transformierte Praktizierende. Es ist der Arzt, der als erster geheilt und in sich ganz gemacht wird, nicht nur durch das Erlernen neuer und komplementärer Techniken, sondern, indem er in einem neuem Bewusstsein heimisch wird, welches den Raum für neue Techniken schafft; wie sich diese Integrität dann in einer integral informierten medizinischen Praxis ausdrückt, kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein.

Der Vorteil einer integral informierten medizinischen Praxis sowohl gegenüber den konventionellen als auch über gegenüber den holistischen Ansätzen ist nun vielleicht ein bisschen klarer geworden. Das Problem mit vielen alternativen, komplementären und holistischen Praktiken besteht darin, dass sie, aufgrund ihrer guten Absichten und ernsthaften Anstrengungen oftmals nur mit einer noch größeren "Wundertüte" voller Behandlungsmöglichkeiten aufwarten, ohne eine integral informierte Diagnose oder einen Behandlungsplan. Nur allzu oft führt das dazu, dass ich in dem Sinne "holistisch" bin, sobald ich sowohl Doxycycline verschreibe, als auch chinesische Kräuter. Oder es werden pro Röntgenbehandelung zudem15 Minuten geführter innerer Reise verordnet. Das Problem mit diesem Ansatz besteht meiner Meinung nach darin, dass er sich allzu oft nur darauf konzentriert, die Anzahl und Typen von Behandlungsmöglichkeiten in der kleinen schwarzen Tasche zu erhöhen, und so zum gleichen objektivierenden Werkzeugkasten-Ansatz wird, nur mit noch mehr Pillen und Instrumenten. Das führt den ansonsten ernsthaft holistisch Praktizierenden zu Behandlungsformen, welche ineffizient oder sogar regressiv sind, einfach deshalb, weil alles irgendwie berücksichtigt werden muss. Doch zu sagen, dass keine dieser Alternativen zu 100% falsch ist, bedeutet nicht gleichzeitig, dass sie zu 100% richtig sind. Integrale Ansätze können von einer sehr strengen Rigorosität sein, was Evidenz und Effizienz betrifft, eine Strenge, die einige holistische Ansätze in ihrem Versuch, "alles zu berücksichtigen" allzu schnell fallen lassen. Ich möchte hier wirklich nicht unfreundlich sein, aber eine wirklich umfassende medizinische Praxis muss nicht unbedingt Blutegel, die Augen von Wassermolchen oder Drachendung verwenden, egal unter welchen fernöstlichen Bezeichnungen diese Mittel zum Einsatz kommen.

Was unter dem Strich bei dieser konfliktreichen Spannung zwischen konventionellen und alternativen Ansätzen übrig bleibt, ist, dass die heutigen Ärzte sehr unglücklich mit dem gegenwärtigen Zustand konventioneller Medizin sind, und doch auch misstrauisch gegenüber den holistischen Alternativen. Sie wissen, dass die konventionelle Medizin sie als menschliche Wesen verkrüppelt, und die Heilungsmöglichkeiten, die sie einem Kranken anbieten können, hemmt; und doch hegen sie den Verdacht, dass zu viele der alternativen und holistischen Ansätze Evidenz und Rigorosität über Bord geworfen haben, was in der Darbietung einer medizinischen Form der political correctness mündet: niemand möchte Blutegel diskriminieren.

Ein integral informierter Praktizierender vernachlässigt keinen Typ effektiver Behandlung, der Teil einer umfassenden medizinischen Behandlung sein kann oder könnte. Doch all dies kommt wirklich erst nach der Transformation des Praktizierenden selbst. Was sich bei der Aufnahme eines integralen Ansatzes ändern wird, ist dein eigenes Gewahrsein, dein eigenes Bewusstsein, deine eigene Landkarte menschlicher Möglichkeiten, eine Landkarte, die sich dramatisch erweitert hat, von organischen Eingriffen bis zur Fürsorge für einen Menschen - in all seinem oder ihrem außerordentlichen Reichtum - quer durch das ganze Spektrum, vom Staub zur Gottheit, vom Dreck zur Göttlichkeit, sogar hier und jetzt. Ein integral informierter medizinisch Praktizierender ist jemand, der den größtmöglichen Teil des Kosmos in seinen Geist aufgenommen hat, und so die meisten Potentiale für Gesundheit, Heilung und leidenschaftliche Fürsorge findet, und diesen Grossen Geist in seine Praxis auf eine Weise einfließen lässt, welche – gleichzeitig – sowohl mehr Vertrauen als auch mehr Demut einimpft.

Die integrale Medizin steckt noch in den Kinderschuhen. Und daher sind diejenigen Mediziner und andere Menschen der Gesundheitsfürsorge, welche daran arbeiten, eine integrale Praxis zu schmieden, auf einer unglaublichen Entdeckungsreise, wohl einer der wichtigsten, welche das Jahrtausende alte Gewerbe der Medizin jemals gemacht hat. In den folgenden Kapiteln werden sie einige der bedeutendsten dieser pionierhaften Leistungen miterleben. Insgesamt werden Aspekte praktisch aller Quadranten, Ebenen, Linien, Zustände und Typen abgedeckt. Es gibt aufregende Kapitel von der vordersten wissenschaftlichen Front der objektiven "Es" Dimensionen, einschließlich der neuen Physik; aktuelle Forschung über Neuropeptide und andere organische Kommunikationssysteme; Spontanheilungen und Mechanismen der Selbstreparatur; körperliche Anteile an Heilung und ihre zukünftige Entwicklung, eine Menge an empirischer Evidenz hinsichtlich der Existenz und der Effekte subtiler Energien und ihrer Rolle bezüglich Heilung und energetischer Medizin. (Beachten sie bitte, dass empirischer Evidenz und wissenschaftlicher Verankerung in diesen Bereichen ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Die Molchaugen kommen dann und nur dann in den kleinen schwarzen Arztkoffer, wenn reproduzierbare wissenschaftliche Evidenz über ihre Wirkung vorliegt.) Ich persönlich glaube, dass die Medizin subtiler Energien kurz vor einem wissenschaftlichen Durchbruch steht, welcher allein schon die objektive Dimension der Gesundheitsfürsorge revolutionieren kann.

Es gibt ebenso Kapitel über den großen Bereich der "Ich" Dimensionen mit allen seinen Wellen, Strömen und Zuständen – einschließlich der Rolle mentaler Faktoren bei organischer Erkrankung und Gesundheit; die vielen Wege, bei denen Körper und Geist weder aufeinander reduziert noch getrennt voneinander betrachtet werden können; das Wesen bewusster Heilung; Möglichkeiten, wie Krankheit transformiert werden kann, durch die Einbeziehung sowohl höherer Zustände wie auch Stufen des Bewusstseins; und auch Wege, wie der im Gesundheitswesen Praktizierende sein oder ihr eigenes Bewusstsein transformieren kann, insbesondere durch das Dienen und transformierendes Engagement– das gesamte Spektrum von "Öffne dein Herz: physisch, emotional und spirituell."

Es gibt weitere wichtige Kapitel über die "Wir" Dimension von Gesundheit und Krankheit, mit kulturübergreifenden Betrachtungsweisen; partizipatorische Medizin; beziehungsorientierte Medizin; die vielen Arten und Weisen, auf die jedes "Ich" und "Es" eingebunden ist in Schichten des "Wir" – was bedeutet, dass sowohl Subjekte und Objekte vor kulturellen Hintergründen der Intersubjektivität erscheinen, welche eine enorm einflussreiche Rolle bei Gesundheit und Krankheit spielen (Dimensionen, die um so wichtiger werden, je mehr sie von den konventionellen und alternativen Ansätzen gleichermassen vernachlässigt werden). Wie Theoretiker von Heidegger bis Habermas demonstriert haben, können diese kulturellen "Wir's" weder auf systemtheoretische Begriffe reduziert werden (bzw. soziale "Es" [Plural]), noch können sie durch "Ich" oder "Es" Ansätze erfasst werden – sie müssen in ihrer eigenen Begrifflichkeit erfasst werden, mit ihren eigenen Techniken, auf ihre eigenen Arten und Weisen – Weisen mit denen ein integral informierter Praktizierender vertraut sein sollte. Letztendlich ist die Arzt-Patienten Beziehung nicht etwas, wo ein "Ich" an einem Klumpen "Es" arbeitet, sondern ein außerordentliches "Wir", für welches der Begriff "heilig" sehr wahrscheinlich das einzig angemessene Adjektiv ist, und es ist dieses heilige "Wir" aus dem alle Heilung kommt, als ein Wunder von Liebe und Gnade, welches glücklicherweise niemand von uns jemals verstehen wird. (Falls doch, meinen Sie nicht, dass wir das sehr bald vermurksen würden?) Medizin wird, wenn sie wirkt, immer wie das Wellenreiten auf einem Meer von Geheimnissen und Wundern sein, und nichts davon ist geheimnisvoller und wunderbarer als ein "Wir".

Es gibt wichtige Kapitel über die bedeutende Rolle von sozialen Systemen, die selbstorganisierenden Systeme dynamischer "Es" [Plural], die Netzwerke ökologischer Verbundenheit, welche kein Individuum unberührt lassen. Hier gibt es Abschnitte über ökologische Gesundheit, das Öko-Zeitalter, das Gewebe des Lebens und was es für uns alle bedeutet – die vielen Weisen, wie wir nicht nur intersubjektiv in Kulturen des "Wir" verbunden sind, sondern interobjektiv in Systemen dynamischer Prozesse. Beachten Sie, dass diese ineinandergreifenden Systeme (wie das Gewebe des Lebens) dabei immer in Begriffen der dritten Person Plural beschrieben werden (weil sie tatsächlich Systeme dynamischer und miteinander in Beziehung stehender "Es" [Plural] sind), aber worum es immer geht, ist natürlich die Tatsache, dass jedes "Es" [Singular] und "Es" [Plural] entsprechende "Ich" und "Wir" Korrelate hat, und dass alle diese Dimensionen bei jedem integralen medizinischen Ansatz berücksichtigt werden müssen. Wenngleich intentionale "Ich's" und kulturelle "Wir's" nicht auf soziale Systeme oder ökologische Prozesse reduziert werden oder durch sie erklärt werden können, so können sie doch auch nicht existieren ohne sie. Das Gewebe des Lebens deckt nur einen Quadranten ab, einen Quadranten jedoch, welcher bei der Konzentration auf individuelle Gesundheit allzu oft vernachlässigt wurde.

Alle diese wichtigen Dimensionen einer integralen Medizin werden in den folgenden Kapiteln angesprochen. Weil die verschiedenen integralen Ansätze noch in den Kinderschuhen stecken, versteht es sich von selbst, dass nicht alle Theoretiker in diesem Buch miteinander übereinstimmen. Sicher ist nicht jeder einverstanden mit jener Version einer Terminologie, welche ich in dieser Einführung verwende, und das muss auch nicht so sein, wie mir scheint. Haben Sie jemals eine Landkarte betrachtet, wie sie von den alten europäischen Entdeckern von Amerika erstellt wurde? – wo Kuba die Größe Sibiriens hat, und sich Florida fast bis zu Brasilien hin erstreckt? Und auf der Seite der eingeborenen Amerikaner ebenfalls – haben Sie jemals die Karten gesehen, die die Azteken über die Territorien erstellten, welche sie erforschten? Nun, unsere gegenwärtigen Karten einer integralen Medizin sehen ziemlich sicher genau so aus. Aber das ist einfach nur ein Grund mehr, diese außerordentliche Erforschung voranzutreiben, oder?

Die folgenden Kapitel sind die Landkarten kühner Entdecker, welche in ein neues Territorium vorstoßen, das sich nur sehr vage am Horizont unserer integralen Gespräche abzeichnet. Aus diesem Grund, so scheint es mir, ist es besonders wichtig, dass alle diese Ansätze mit einer Geste des Respekts auf den Tisch gelegt, und vor dem Hintergrund einer integralen Leitlinie behutsam betrachtet werden: "Niemand ist so smart, immer völlig falsch zu liegen". Bei dieser außerordentlichen Unternehmung hat jeder ein Stückchen des integralen Puzzles, und wonach wir also Ausschau halten, ist ein integraler Rahmen, welcher die grösste Anzahl der Ansätze stimmig aufnehmen kann, ohne die Alternativen zu pathologisieren.

Dieses Buch ist also nicht das letzte Wort einer integralen Medizin, sondern bloss das bescheidene erste. Es ist die Eröffnung eines Dialoges, der zu lange ignoriert worden ist, der Ruf zur Erweckung aussergewöhnlicher Potentiale, die zu lange geleugnet wurden, die Anerkennung einer heilenden Liebe, die zu lange unausgesprochen blieb. Integrale Medizin ist eine Anerkennung des Kòsmos in all seinem strahlendem Reichtum; und daher ist – auf eine geheimnisvolle Weise, die jeder wahre Arzt in den Tiefen seines leidenschaftlichen Herzens kennt – ein integral informierter Praktizierender jemand, durch den der Kósmos heilt. Jemand, in dem sich das gesamte Spektrum des Bewusstseins aussprechen und seine Wahrheiten hinausschreien darf; jemand, der sein Selbst während des heilenden Gestus zur Seite treten und das gesamte Universum hindurch rauschen lässt – von Materie, Körper, Geist, Seele bis hin zum GEIST – im Bereich des Selbst, der Kultur und der Natur. Die panoramaartige Sicht, die dem intergral informierten Praktizierenden offen steht, restrukturiert sein oder ihr eigenes Sein und Bewusstsein und verwandelt den Praktizierenden in eine Art wunderschönes, zartes, ausgehöhltes Bambus-Schilfrohr – ausgehöhlt, um in Resonanz zu treten mit dem Klang des gesamten Kosmos, der an die Gestaden der Seele spült, wild und strahlend in all seinen Dimensionen, überfliessend in einer heilenden Geste, die kein fühlendes Wesen unberührt lässt, eine Geste, die hin und wieder einen Blick auf den Eid wirft, der an der Wand hängt, wissend, dass in dieser integralen Hinsicht keine heiligen Versprechen in dieser Arztpraxis gebrochen wurden.

Übersetzung: AK Ken Wilber, Fachgruppe Übersetzungen

(Michael Habecker, Dennis Wittrock, Monika Frühwirth)