INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
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Jeff MeyerhoffJeff Meyerhoff ist ein unabhängiger Gelehrter, der Philosophie, Politik, Mystizismus und Psychologie studiert. Er benützt Achtsamkeit und Psychoanalyse zur Selbstentwicklung. Er arbeitet als Sozialarbeiter mit Geistigbehinderten, sucht jedoch nach neuen Möglichkeiten einer Karriere. Er ist der Autor von Unverhüllter Ehrgeiz: Eine Kritik von Ken Wilbers Theorie von Allem, veröffentlicht bei Integral World. Sein Weblog kann gefunden werden bei philosophyautobiography.blogspot.com. Email at [email protected].


INHALTSVERZEICHNIS

Soziale Evolution

Unverhüllter Ehrgeiz, Kapitel 5

Jeff Meyerhoff

Gemäß Wilber entwickelt sich die menschliche Gesellschaft in einer Folge von Stufen von einfacheren sozialen Formationen und Weltanschauungen zu komplexeren. Das Entwicklungsmuster des Übersteigens und Einschließens ist für die menschliche Sozialgeschichte genauso wahr wie es für die physischen und biologischen Welten und das individuelle Bewusstsein ist. Die frühesten menschlichen Stämme waren Jäger-Sammler und Nahrungssucher; sie waren mit einer kulturellen Weltanschauung verbunden, die als archaisch bezeichnet wurde. Ihre primitive Weltsicht ist tierähnlich insofern als die sinnlichen und Wahrnehmungs-Strukturen vorherrschend waren. Menschen auf dieser Stufe werden durch Überlebensinstinkte und Triebe motiviert und das Bewusstsein ist ,,weitgehend undifferenziert, global, vereinigt und wirr."[1] Die Entwicklung von sinnlichen und Fähigkeiten der Wahrnehmung ist ausschlaggebend für weitere menschliche Entwicklung; die Strukturen bleiben bestehen und werden in die nächste Entwicklungsstufe integriert. Die undifferenzierte Weltsicht ist jedoch vorübergehend und wird in der nächsten Stufe überstiegen. Diese Entwicklungsebene pflegt der eines Kleinkindes auf einer vorsprachlichen Entwicklungsstufe zu entsprechen.

Die magische Weltsicht übersteigt und schließt die Grundstrukturen der archaischen Sicht ein. Hier sind Symbole und Bilder im Bewusstsein vorherrschend. Es gibt keine klare Unterscheidung zwischen dem Selbst und der Gemeinschaft oder zwischen Mensch und Natur. Animismus ist ein Beispiel einer Weltsicht, in der unbelebte und natürliche Objekte lebendige Geister haben, die besänftigt werden müssen, damit man erfolgreich in der Welt leben kann. Ein autonomes Ego hat sich noch nicht vom Körper differenziert und - wie es Freud nennt - ,,ein Körper-Ego"[2] charakterisiert die magische Selbstidentität. Die gemeinsame Identität wird durch Blutsverwandtschaft und das Teilen gemeinsamer Ahnen charakterisiert.

Die mythische Weltsicht entsteht, als sich Blutsverwandtschafts-Gruppen in größeren sozialen Gruppierungen zusammenschließen. Eine neue Basis für sozialen Zusammenhalt entstand mit einem neuen sozialen Bewusstsein, das Individuen nicht in eine Blutverwandtschafts-Gruppe einband, sondern in eine Rolle in der Gesellschaft und einen Platz innerhalb einer weiteren Ordnung, die eine Verbindung zu Gott durch den Herrscher hatte. Die individuelle Identität hat die Fähigkeit für Konzepte und Regeln, die formalen Regeln zur Manipulation jener Konzepte waren noch nicht entwickelt worden und es gibt eine Tendenz, die Herrschaftsordnung zu akzeptieren wegen der Tradtion und der Mythologie, dass die Ordnung von Gott auferlegt wurde. Griechische, römische und christliche Mythen sind Beispiele für erläuternde Geschichten, die das Bewusstsein auf dieser Stufe charakterisieren.

Als das Errichten von Weltreichen auf der ganzen Welt geschah, trafen die mythischen Gesellschaften auf andere mythische Gesellschaften, dominierten sie oder wurden von ihnen unterworfen. Ein Zusammenprall von mythischen göttlichen Wahrheiten ereignete sich. Dies löste die Notwendigkeit aus, göttlich gegebene Wahrheiten zu rechtfertigen und daher entstand eine neue Form des Bewusstseins, die es jetzt Menschen gestattete, formale operative Prinzipien anzuwenden - logisches Denken - auf die Konzepte und Regeln, die das mythische Bewusstsein charakterisierten. Eine neue Art, sozialen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, entstand, die nicht von den mythischen Geschichten abhängig war, sondern von politischen Philosophien, die die Ideen von individuellen Rechten, der Herrschaft des Gesetzes und weltlicher Regierung artikulierten. Diese Attribute charakterisieren moderne fortgeschrittene Industriegesellschaften.

In SES, benützt Wilber Jürgen Habermas als ein Exemplar für das meiste dieser Geschichte der sozialen Entwicklung. Habermas ist ein berühmter Gelehrter und seine Darstellung der sozialen Evolution ist eine beherrschende, sie ist jedoch keine Summierung der orientierenden Verallgemeinerungen dieses Feldes. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Michiel Korthals, der der Idee der sozialen Entwicklung gewogen ist, beurteilt den Status der Idee in der Sammlung mit dem Titel Die Philosophie der Entwicklung:

Die Idee der sozialen Entwicklung ist oft mit der Idee des Fortschritts verbunden worden, auf Gedeih und Verderb. Beide Ideen sind auf strenge Kritiken gestoßen, besonders in der Anthropologie und Soziologie, und es würde ein Understatement sein zu sagen, dass in dem gegenwärtigen intellektuellen Klima gerade der Begriff einer universellen, progressiven, kumulativen Entwicklung der Gesellschaft nicht sehr populär ist."[3]

Mit Bezug auf den Teil von Habermas' Werk, der am meisten von Wilber benützt wurde, bemerkt Thomas McCarthy, ein wohlwollender Interpret von Habermas' Werk und jemand, den Wilber respektiert und zitiert:

Die kritischen Fragen, zu denen Habermas' Konzeption der sozialen Evolution Anlass gibt, sind Legion. Sie beginnen mit Fragen, die den Status der ontogenetischen Theorien betreffen, auf die er zurückgreift, denn die Arbeit von Piaget, Kohlberg und anderen ist selbst beladen mit Schwierigkeiten, die sich auf die Grundkonzepte beziehen (zum Beispiel ,Stufe'), auf Grundannahmen (zum Beispiel, dass die Ontogenese einer Entwicklungslogik folgt) und auf methodologische Verfahren (zum Beispiel das Ausmaß, in dem diese Annäherungen eine reale, kulturell verwurzelte Ausrichtung verkörpern); und sie weiten sich aus zu Fragen, die sich auf die Anwendbarkeit von ontologischen Modellen auf soziale Systeme beziehen....[4]

Charles Tilly, der berühmte Soziolge und Historiker des modernen Europa, schließt Stufentheorien ein in ,,die vier schädlichen Forderungen", die vom Denken des 19. Jahrhunderts übrig geblieben sind. Seine Autopsie beschreibt ,,Das allgemeine Ablassen von optimistischen Entwicklungstheorien angesichts politischer Kritik, von empirischer Nichtbestätigung und von der Ausarbeitung von Gegentheorien, die Abhängigkeit und/oder weltwirtschaftliche Prozesse zeigen [alle von diesen haben] die Löschung der Stufentheorien beschleunigt."[5]

Wilber versäumt es auch, widersprechende Ansichten von Habermas' eigenen Kollegen zu erwähnen. William Outhwaite bemerkt ,,den Misserfolg von [Habermas'] Starnberger Kollegen....irgendetwas Nützliches aus der Gesetzesanalyse von Piaget zu gewinnen" [6] , die ein wichtiger Teil einer Theorie sein würde, die die parallele Entwicklung von Individuen und Gemeinschaften bestätigt. Wilber zitiert zustimmend Habermas' Beschreibung der Bewegung von magischen Stammes-Organisationen zu mythischen Organisationen und vermerkt seine Zusammenarbeit mit Klaus Eder. Zur Zeit von Wilbers Niederschreiben hatte Klaus Eder, auf dessen Arbeit sich Habermas bezieht, bereits Habermas' Behauptung einer automatischen Verbindung zwischen Lernprozessen und sozialer Evolution abgelehnt, um sich auf die empirische Realität historischer Individuen und Gruppen zu konzentrieren.[7]

Es gibt umfangreiches Beweismateriel für den höchst umstrittenen Charakter von Habermas' Arbeit, doch zu zeigen, dass Wilber nicht die orientierenden Verallgemeinerungen des Hochschulbetriebs benützt, ist jedoch nicht dasselbe wie zu zeigen, wie das was Wilber sagt, falsch ist. Ich werde deshalb die Gültigkeit seiner Konzeption der sozialen Entwicklung untersuchen.

Wilbers Charakterisierungen der magischen, mythischen und rationalen Stufen wechseln oft in Karikaturen hinüber. Weil er nämlich Fakten in eine besondere theoretische Gussform hineinpasst, um seine Theorie zu bewahren. Die theoretische Gussform erfordert, dass jede spätere Stufe zunehmend besser alle alle früheren Stufen sein muss. Als er zum Beispiel die Moral und die Wahrnehmung der mythischen Gesellschaft beschreibt, betont er den intolerantesten und aggressivsten Aspekt davon. Er stellt das dann der weltzentrischen Moral von der Toleranz der egoisch-rationalen Stufe gegenüber. Wilber schreibt, dass für mythische Mitglieder ,, andere ihnen nicht abzunehmen pflegten, dass ihr Gott ihnen Agonien von missionarischer Raserei durch ihre Seelen sendet; Ungläubige seien unerträglich , und können tatsächlich getötet werden, um sie zu retten.”[8] Dennoch beschafft die Geschichtsschreibung Beispiele von mythischen Gesellschaften, die nicht meinten, dass ,,Ungläubige unerträglich waren.” In Charles D. SmithsPalästina und der arabisch-israelische Konflikt erfahren wir, dass beginnend mit dem Jahr 638 Palästina unter ,,der muslimischen Herrschaft allgemein bescheiden war bis zu dem Standpunkt, dass die Errichtung von neuen Kirchen und Synagogen erlaubt war. Spannungen unter den religiösen Gemeinschaften und der offiziellen Billigung von Gewalt gegen die eine oder andere Gruppe waren selten ."[9] Daher war auch die nachfolgende ,,osmanische Gesellschaft pluralistisch, in ihrer Einschließung verschiedener Völker und Glaubensrichtungen ihren byzantischen und arabischen Vorläufern ähnlich, jedoch noch in einem weiteren Rahmen." [10] Smith zitiert Braude und Lewis' Christen und Juden im osmanischen Weltreich: Das Funktionieren einer pluralistischen Gesellschaft, worin die Autoren schreiben: ,,Bei all ihren Unzulänglichkeiten gestatteten plurale Gesellschaften wirklich verschiedenen Gruppen von Menschen, mit einem Minimum an Blutvergießen miteinander zu leben. Im Vergleich mit den Nationalstaaten, die ihnen folgten, ist ihre eine bemerkenswerte Bilanz."[11] Hier haben wir großangelegte mythische Kulturen, in denen die Gesellschaft religiös toleranter war als die angeblich fortgeschritteneren ,,Nationalstaaten, die auf sie folgten." Im Gegensatz zu Wilbers Behauptungen ist religiöse Intoleranz nicht notwendigerweise ein Merkmal mythischer Gesellschaften.

Der letzte Teil von Wilbers obigem Zitat sagt ,,Ungläubige sind unerträglich, und können tatsächlich getötet werden, um sie zu retten," erinnert an das berühmte Zitat eines amerikanischen Armeeoffiziers in Vietnam, der sagte, dass sie ,,jenes Dorf zerstören mussten, um es zu retten". Jener Krieg, durchgeführt von ,,den besten und klügsten" Mitgliedern der egoisch-rationalen Stufe, ist gerade ein Beispiel für die missionarische demokratische Raserei, die benützt wurde, um die grauenhaft zerstörerischen Angriffe durch Europäer und Amerikaner in der Dritten Welt im 19. und 20. Jahrhundert zu rechtfertigen. Und die Demokratie betreffend, hatten die vermeintlich moralisch primitiveren Stammesgesellschaften wirklich mehr Demokratie als unsere fortschrittlichen Industriegesellschaften, solange wir Demokratie als tatsächliche Teilhabe bei der Verteilung von Ressourcen und beim Herstellen von Gruppen-Entscheidungen definieren. Der Anthropologe John Bodley bemerkt: ,,Sobald das Ausmaß der menschlichen Gesellschaften zunimmt, geschehen wahrscheinlich wenigstens fünf Dinge", eines davon ist, dass ,,Die Demokratie abnimmt, weil das Entschlussfassen mühseliger und konzentrierter wird."[12]

Das Ausmaß der Gewalt ist eine weitere Vergleichsweise für die relative Überlegenheit von unterschiedlichen Gesellschaftstypen. Vergleichende Studien der Kriegsführung in der menschlichen Geschichte lassen uns einige allgemeine Feststellungen über die Ebenen der Gewalt von unterschiedlichen historischen Epochen erklären. Weil das eine Debatte für sich selbst ist, werde ich eine Quelle aussuchen, die eher geeignet wäre, Wilbers Position zu unterstützen, dass die primitivere Gesellschaft die gewaltsamere ist. Patrick Frank fasst Lawrence Keeleys Forschung zusammen, indem er feststellt: ,,Es scheint nicht viel zu geben, um die Bereitschaft in den Krieg zu ziehen innerhalb der menschlichen Gesellschaft welcher Organisationsebene auch immer zu unterscheiden."[13] Keeley stellt in seinem Buch Krieg vor der Zivilisation fest, das präsentiert wurde als Entgegnung auf die vorherrschende ,,Beschwichtigung der Vergangenheit, die jetzt in der Anthropologie grassiert"[14] : ,,Das größere Muster von neunzig Gesellschaften...zeigte an, dass die Häufigkeit des Krieges sich etwas vermehrte mit größerer politischer Komplexität" und er beschließt diesen Vergleich durch die Feststellung: ,,Offensichtlich ist häufige, sogar andauernde Kriegsführung ebenso ein Charakteristikum von Stammesgesellschaften wie von Staaten."[15]

In SES hören wir so oft von der ,,warmen Umarmung", ,,den Verhältnissen der Selbstachtung", der allgemeinverbreitenden Toleranz der egoisch-rationalen Gesellschaften im Vergleich zu der Beherrschung und Unterdrückung von Andersdenkenden in den mythischen Kulturen. Umgekehrt pflegt jemand, der die entgegengesetzte These verteidigt, von der Stabilität, dem sozialen Zusammenhalt und dem Leben im kleinen Dorf der mythischen Gesellschaften zu sprechen und er konfrontiert das mit der Gier, der Entfremdung, dem Weltkrieg, dem Völkermord und der Umweltvernichtung der egoisch-rationalen Gesellschaften. Beim Bewerten solch ausgedehnter unterschiedlicher historischer Kategorien wie der mythischen und der egoisch-rationalen kann ein Schriftsteller die Natur machen lassen, was er oder sie benötigt, um es seinen oder ihren ideologischen Interessen anzupassen. Wilber möchte, dass es eine progressive soziale Entwicklung gibt und zu diesem Zweck werden angreifende Fakten ignoriert oder in einer solchen Weise ausgedrückt, dass ihr Sinn vermischt wird.

Wir sehen ein Beispiel davon, wie der Sinn angreifender Fakten vermischt wird, als er die Entwicklung von einer mythologischen zu einer rationalen Weltsicht beschreibt. Gemäß Wilber war die Errichtung des modernen Staates und der globalen Marktwirtschaft, während ,,sie auf universalistischen Motiven gegründet war" ,,anfänglich noch eingefärbt durch die Überbleibsel des Imperialismus, was nicht ein Übermaß an Vernunft sondern deren Mangel anzeigte." [16] Die Wörter ,,eingefärbt" und ,,anfänglich" werden gebraucht, um die imperialistischen Plünderungen der Dritten Welt zu bagatellisieren, die ein integraler Bestandteil des Bedeutungsanwachsens und der weltweiten Beherrschung der Mächte der Ersten Welt sind, die es ihnen gestatten, die Ressourcen herauszuziehen, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer hohen Lebensstandards benötigen. Der Ökonom Rajani Kannepalli Kanth rechnet die hohen Kosten für die Kolonisierten durch die ausbeutenden Praktiken der Kolonialmächte zusammen, gemäß Wilber deren moralisch Überlegene. [17] Die ausführliche Literatur über die Unterentwicklung der Dritten Welt demonstriert, dass der Aufstieg zur Macht der westlichen Industrieländer kausal verflochten war mit der Verarmung der Länder der Dritten Welt.[18] Der für die egoisch-rationalen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert charakteristische Kolonialismus und Imperialismus wird bequemerweise ignoriert, als Wilber das Mythische mit dem Egoisch-Rationalen vergleicht.

Ein weiteres Beispiel für das Vermischen von angreifenden Fakten geschieht, als Wilber anerkennt, was die Menschheit über die Jahrhunderte verloren hat. Er anerkennt: ,,Mythische Mitgliedschaft verschafft wirklich, oder kann verschaffen, eine intensiv zusammenhaltende Sozialordnung”, wir erkennen jedoch, dass das ,,grundsätzlich so ist, weil es Unordnung ausgeben und Ungläubige exkommunizieren kann.”[19] Obschon es daher ,,so scheint, als wäre das Auftauchen der Rationalität irgendwie ein masiver Verlust an kultureller Bedeutung und sozialer Integration," ... ,,ist das nur wahr von einer ethnozentrischen (oder mythischen Mitgleidschafts-) Ausrichtung aus gesehen."[20] Eine Ausrichtung, so mögen wir vermuten, der Wilber - versteckt in einer rational-egoischen Gesellschaft - nicht unterliegt.

Ausrichtungen sind schwer auszumachen, um so mehr für diejenigen, die sie haben. Wilbers weltzentrische (rationale Mitgliedschaft) Ausrichtung blendet jeden, der aus ihr heraustreten kann. Wenige Beispiele demonstrieren seinen verblüffenden Mangel an politischem Gewahrsein und manifestieren die weitere Moral und die theoretischen Glaubensüberzeugungen, die Wilbers Sicht der sozialen Evolution verdrehen. Indem er über die gegenwärtige Gesellschaft schreibt, stellt Wilber fest:

Die Transformation von der mythischen Mitgliedschaft zur egoischen Rationalität (und ihren Gefahren) ist bereits offen für China, Kuba, Lybien, Irak, Nordkorea, Serbien und jedes andere soziale Holon, das seine mythische ,Überlegenheit' aufzugeben und sich der Gemeinschaft der Nationen anzuschließen wünscht, die durch internationales Recht und gegenseitige Anerkennung regiert werden, und das wünscht, die Dissoziation und die Abspaltung von dem freien Austausch von planetarischem Bewusstsein zu beenden, und das wünscht, sich wieder in einen gemeinsamen Weltgeist und in einen kollektiven Austausch von Vernunft und Kommunikation und Vision zu integrieren. [21]

Ist es ein Zusammentreffen von Umständen, dass jedes dieser Länder - zur Zeit von Wilbers Niederschrift - ein inoffizieller Feind der USA war und von den USA als ein gesetzloser oder ,,Schurken -" Staat dämonisiert wurde? Eine andere Sichtweise, nicht so leichtgläubig, sobald es zu der Information kommt, die aus unserem ,,freien Austausch" von Ideen gewonnen wird, versteht, dass vom Standpunkt der internationalen Gemeinschaft mächtige Militärnationen wie die USA, Israel und andere diejenigen in der Welt sind, die sich über internationales Recht hinwegsetzen. Zum Beispiel ist Kuba, während es intern politisch repressiv war, ein Führer der Nationen der Dritten Welt über Jahrzehnte gewesen, währenddessen es die Hauptlast des internationales Recht verachtenden Terrorismus der USA gegen sich ertrug.[22]

Natürlich gibt Wilber als ein guter Liberaler zu, dass ,,die USA, Japan und eine unheilvoll auftauchende ,Festung Europa' [?]... immer noch übernationale Austauschungen zugunsten ihrer eigenen besonderen Interessen verdrehen" und dass diese Verdrehungen ,,sie nicht davon abhalten oder sie entlasten, weiterhin nach vernünftigeren und gerechteren Austauschungen mit der Weltgemeinschaft zu suchen.”[23]

,,Weiterhin zu suchen?” Ist es das, was die mächtigsten Nationen der Welt immer getan haben? Es ist, wie wenn man die Welt mit einer Ausrichtung der Ersten Welt sieht. Die Dritte Welt versteht, dass die mächtigsten Nationen Austauschungen haben möchten, die sie bevorteilen und das Ausmaß, zu dem sie die bekommen, ist eine Maßeinheit ihrer Macht. Wenn die USA etwas nicht mag, was die UN oder der Weltgerichtshof entscheiden, dann ignorieren sie es. Weshalb? Weil sie die Macht dazu haben. Jenseits der Mythen des Weltzentrismus ist es so, wie die wirkliche Welt funktioniert. Und sind es ,,gerechte Austauschungen", die die USA immer durch den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank sucht? Der frühere Vizepräsident der Weltbank und Ökonom, der den Nobelpreis erhielt, Joseph Stiglitz, deckte die destruktive Politik auf, die der Dritten Welt von den Ländern der Ersten Welt zugunsten der wohlhabenderen Länder auferlegt wird.[24]

Sogar wenn der Leser mit meiner alternativen Einstellung gegenüber internationalen Beziehungen nicht übereinstimmt, ist es offensichtlich, dass es eine unterschiedliche Sicht gibt und dass die eigene Sicht von unseren Werten oder Ausrichtungen abhängt. Ein weiteres Beispiel demonstriert noch aufschreckender Wilbers Ausrichtung, weil sie so sehr in das Gesicht seines humanitären Antriebs fliegt. Er versucht zu zeigen, dass ,,in der Noosphäre Recht Macht verursacht" und sagt: ,,Ein Krieg, der teilweise aus Motiven gegen die Sklaverei gekämpft wurde [d.h. der Bürgerkrieg] pflegt ebenso viele Männer in einer einzigen Schlacht auszuradieren, wie im ganzen Vietnam verloren wurden: 51,000 wurden in drei Tagen in Gettysburg allein getötet."[25] Das stimmt, außer bei der kleinen Angelegenheit der 1,5 Millionen Südost-Asiaten, die getötet wurden durch die,,Recht verursacht Macht" - Hauptstadt der Welt, die USA. Wilber fährt fort, uns zu informieren, dass Gettysburg ,,gekämpft wurde, weil die Nation ,ihrer These fest zugeordnet war, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden,'". ,,Alle Menschen" außer diejenigen ,,Schlitzaugen", die in ihren eigenen Ländern getötet werden konnten und nicht als Teil der ,,Menschen" gezählt wurden, die im ,,ganzen Vietnam" gestorben sind. Es ist ein Beleg der politischen Ausrichtung, die in dem doktrinellen System der USA eingebettet ist, dass ein guter Kerl wie Ken Wilber nicht einmal als Ausrichtung in diesen Beispielen zu sehen pflegt.

Zu guter Letzt benützt Wilber das Beispiel von Haiwaii, um zu demonstrieren, wie Entwicklung geschieht, bei der Ganzheiten Teile werden innerhalb weiterer Ganzheiten, während sie ihre Grundintegrität beibehalten. Ehe es ein Staat und ein Teil der USA wurde, war es eine Ganzheit für sich selbst mit allen Vorrechten der Eigenständigkeit. Nach der Staatlichkeit war es keine eigenständige Nation mehr, es war jedoch erhalten geblieben innerhalb der weiteren Eigenständigkeit der Vereinigten Staaten. Zum Glück, wie Wilber feststellt, wurden alle seine ,,Grundstrukturen in der neuen Union beibehalten; keine von ihnen wurde zerstört oder zumindest verletzt."[26] Und dies ist sicherlich wahr, solange wir Wilbers große Sicht der Historie aufrechterhalten. Leider mögen jene naiven Hawaiianer, die die militärische Besatzung, die Kolonisierung, die ökonomische Ausbeutung und die tatsächliche Zweiklassen-Bürgerschaft erleiden mussten, nicht die erforderliche Bewusstseinsebene besitzen, um das große Bild genauso gut zu verstehen, wie Wilber es kann. [27]

In allen diesen Beispielen sind es die gelben, braunen und schwarzen Menschen der Dritten Welt, die vergessen worden sind; und das von einem nicht rassistischen Mann mit guten Absichten. Diese Ausrichtung bestimmt den Inhalt von Wilbers Entwicklungsgeschichte. Solange es so aussieht, als ob die Bewegung von archaisch zu magisch zu mythisch zu egoisch-rational ein Entwicklungsfortschritt ist, ist das nur wahr, wenn man bereits entschieden hat, dass die egoisch-rationale Stufe der Zielpunkt sein sollte. Wilbers Analyse ist so gemacht, um wie eine neutrale Beschreibung dieser Züge zu klingen, die diese verschiedenen Bewusstseinstypen und damit verbundenen moralischen Grundsätze zur Schau stellen, sie ist jedoch, sobald sie ihrer falschen Wertneutralität beraubt ist, eine Analyse, die die Frage stellt: Auf welche Arten sind frühere Weltsichten jedoch nicht so wie unsere? Oder um es anders auszudrücken, vorausgesetzt, dass wir moralisch und kognitiv überlegen sind, was fehlt ihnen und welche Arten von Veränderungen sind für sie erforderlich, um schließlich so wie wir zu werden?

References

[1]Wilber, Eye to Eye, (Garden City: Anchor Books, 1983), p. 275.

[2] SES, p. 165.

[3] Haaften, Wouter van, et al editors, Philosophy of Development, (Boston: Kluwer Academic Publishers, 1997), p.163. Eine Ausnahme zu dem überwältigenden Trend ist Michael Horace Barnes' Stages of Thought, (New York: Oxford University Press, 2000).

[4] McCarthy, Thomas, The Critical Theory of Jurgen Habermas, (Cambridge: MIT Press, 1985), p. 261.

[5] Tilly, Charles, Big Structures, Large Processes, Huge Comparisons, (New York: Russell Sage Foundation, 1984), p.41.

[6] Outhwaite, William, Habermas: A Critical Introduction, (Stanford, Calif.: Stanford University Press, 1994), p.62.

[7] Outhwaite, Habermas, p.62.

[8] SES, p. 243.

[9] Smith, Charles D., Palestine and the Arab-Israeli Conflict, (Boston: Bedford/St. Martin's, 2001), p. 9.

[10] Smith, Palestine and the Arab-Israeli Conflict, p. 10.

[11] Smith, Palestine and the Arab-Israeli Conflict, p. 10.

[12] Bodley, John H., The Power of Scale, (Armonk, New York: M.E. Sharpe, Inc., 2003), p. 66.

[13] Frank, Patrick, “Whence the 'Noble Savage,'” Skeptic, vol. 9, no. 1, p.55.

[14] Keeley, Lawrence, War Before Civilization, (New York: Oxford University Press, 1996), p. 23.

[15] Keeley, War Before Civilization, pp. 32, 33.

[16] SES, p. 178.

[17] Kanth, Rajani, Breaking with the Enlightenment, (Atlantic Highlands, N.J.: Humanities Press, 1997), pp.2-3.

[18] Siehe klassische Artikel von Paul Baran und Andre Gunder Frank in Kanth, Rajani, Herausgeber, Paradigms in Economic Development, (Armonk, N.Y.: M.E. Sharpe, 1994).

[19] SES, p. 242.

[ SES, p. 242.

[21] SES, p. 204.

[22] See Noam Chomsky's Rogue States, (Boston: South End Press, 2000), besonders das Kapitel mit dem Titel “Cuba and the US Government: David vs. Goliath.”

[23] SES, p. 204.

[24] Stiglitz, Joseph, Globalization and Its Discontents, (New York: W.W. Norton, 2002).

[25] SES, p. 389.

[26] SES, p. 52.

[27] Laenui, Poka, “Colonization in Hawaii,” Fourth World Bulletin, Vol. 2, No. 3, July 1993

© Jeff Meyerhoff, 2003, updated 2006