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Jeff MeyerhoffJeff Meyerhoff ist ein unabhängiger Gelehrter, der Philosophie, Politik, Mystizismus und Psychologie studiert. Er benützt Achtsamkeit und Psychoanalyse zur Selbstentwicklung. Er arbeitet als Sozialarbeiter mit Geistigbehinderten, sucht jedoch nach neuen Möglichkeiten einer Karriere. Er ist der Autor von Unverhüllter Ehrgeiz: Eine Kritik von Ken Wilbers Theorie von Allem, veröffentlicht bei Integral World. Sein Weblog kann gefunden werden bei philosophyautobiography.blogspot.com. Email at [email protected].


INHALTSVERZEICHNIS

Westliche Historie

Unverhüllter Ehrgeiz, Kapitel 6:

Jeff Meyerhoff

Die zweite Hälfte von SES ist Wilbers Rekonstruktion der westlichen Historie gewidmet. Während Wilbers starker Hintergrund in Psychologie und Mystik seinen Ansichten in jenen Gebieten Autorität gibt, untergräbt das Fehlen des Hintergrundes in Geschichte seine Bemühung, eine überzeugende Historie des Westens zu erzählen. In SES konstruiert Wilber seine Historie der westlichen Zivilisation und seine konkretere Geschichte der westlichen Moderne auf die gleiche Weise. Er findet einen Autor, den er überwiegend benützt, er zieht aus dem komplexen und nuancierten Werk jenes Autors zwei entgegengesetzte Kräfte heraus, die die Historie antreiben, und dann verdinglicht er jene Dualität in zwei konfliktreiche ,,Lager", die in einem Vormachtskampf um Leben und Tod verwickelt sind. Die starke Dualität ist dann reif für Wilbers transzendierende Lösung.

Wilber benützt Arthur O. Lovejoy , um seine Geschichte der westlichen Historie als ein Ganzes für gültig zu erklären. Er gibt in einer Fußnote zu, dass Lovejoy, weil er ein Rationalist ohne Sympathie für die Mystik ist, nicht ,,eine Autorität ist, die empfänglich dafür ist, meine Position zu stützen."[1] Deshalb ist Lovejoy, weil er ein ,,feindlicher Zeuge" ist, Wilbers Position nicht günstig gesonnen und das verleiht Lovejoys Validierung für Wilbers Geschichte der Historie eine besondere Glaubwürdigkeit. Er hat Recht, dass Lovejoy keine Sympathie für Wilbers Kosmische Geschichte haben würde und das macht ihn wirklich zu einer besseren Quelle. Was Wilber jedoch vernachlässigt zu diskutieren, ist wie die Ausrichtungen seiner anderen Hauptquellen deren Geschichtsschreibung beeinflussen und sie dafür empfänglich macht, seine Position zu stützen. Charles Taylor, W.R. Inge und Paul Tillich teilen mit Wilber einen Glauben an die Wichtigkeit einer spirituellen Verbindung zum Endgültigen und eine Gelehrsamkeit, die durch diese Verbindung beeinträchtigt wird. Ihre besonderen Perspektiven helfen Wilber, eine Geschichte der Historie zu erzählen, die mit Wilbers Vision des Kosmos mithält.

Wilber bezieht sich überwiegend auf eine Quelle für das Lesen der westlichen Historie als ganzer, Arthur Lovejoys Die große Kette der Wesen.[2] Lovejoys Buch beschafft jedoch nicht genug Unterstützung für Wilbers pauschale historische Verallgemeinerungen. Wilbers erstes Kapitel über westliche Historie ist mit einem falschen Zitat überschrieben, dessen Besonderheit sein Gesamtziel offenlegt. Das Kapitel beginnt mit dem oft zitierten Ausspruch von Alfred North Whitehead, dass ,,die europäische philosophische Tradition... aus einer Folge von Fußnoten zu Platon besteht."[3] Ich habe gerade Whiteheads tatsächlichen Worte aus Prozess und Realität zitiert, wo sie zuerst erschienen. Andererseits zieht es Wilber vor, dieses Zitat auszuweiten, indem er den Ausdruck ,,die ganze westliche philosophische Tradition"[4] an die Stelle von dem mehr eingegrenzten ,,europäische philosophische Tradtion" einsetzt. Kurz danach bezieht er sich wieder auf das Zitat von Whitehead, und wieder weitet sich die Reichweite des Zitats aus, als er ,,unsere westliche Tradition"[5] für das engere ,,die ganze westliche philosophische Tradition" einsetzt. Drei Absätze später schließlich bläht sich die Reichweite des Zitats zu ihrer passenden Größe auf, als Wilber ,,unsere westliche Tradition" in die mächtig vergrößerte ,,westliche Zivilisation" umändert. Auf dem Raum einer Seite haben wir uns bewegt von ,,die europäische philosophische Tradition besteht aus einer Folge von Fußnoten zu Platon" [6] zu ,,die westliche Zivilisation ist eine Folge von Fußnoten zu Platon." Neben dem Aufzeigen einer schockierend armseligen Gelehrsamkeit lässt diese Verdrehung eine interessante Frage aufkommen: Weshalb verdreht Wilber Whiteheads Zitat gerade auf diese Weise?

Die Antwort ist, dass Wilber möchte, dass eine Dualität in Platons Denken die wesentliche Dualität ist, die die westliche Zivilisation vorantreibt: ,,Der Dualismus, von dem alle anderen westlichen Dualismen bloß eine nebensächliche Teilmenge sind." [7] Um das zu machen, muss Platons Einfluss aufgebläht werden, daher die Veränderungen in Whiteheads Aphorismus. Wilber behauptet, dass die zentrale, die westliche Zivilisation antreibende Dualität zwischen dem Pfad des Aufstiegs und dem Pfad des Abstiegs liege. Gemäß Wilber glauben Aufsteiger, dass das Wahre und das Gute jenseitige Phänomene seien und dass es das Ziel der Existenz sei, die irdische Welt zu transzendieren. Folgerichtig wird die Welt der materiellen Dinge und das Alltagsleben abgewertet und als Hindernis für das Lebensziel angesehen. Die Absteiger dagegen versetzen sich selbst in die Mannigfaltigkeit der irdischen Welt. Sie sehen die Aufsteiger als lebensverleugnend an und feiern die alltägliche Welt. Der Materialismus der Naturwissenschaften ist ein Beispiel für eine absteigende Philosophie.

Dennoch benützt Lovejoys Historie, die Wilber zur Rechtfertigung seiner Behauptung benützt, niemals diese Ausdrücke und ist viel umsichtiger mit ihren Argumenten. In Die große Kette der Wesen zeigt Lovejoy die Idee der Welt als ein harmonisch miteinander verbundenes Ganzes oder eine große Kette des Seins. Er beginnt mit Platon, indem er Whiteheads berühmten Aphorismus richtig zitiert. Lovejoy stimmt dem zu, dass Platon den größten Einfluss auf die europäische Tradition gehabt hat, er bringt jedoch vor, dass ein Aspekt von Platons Einfluss vernachlässigt worden ist. Die moderne Interpretation sieht Platons Philosophie als eine aufsteigende an, die mit den ewigen Ideen des Wahren, Guten und Schönen befasst ist, die die vergängliche irdische Welt transzendieren. Lovejoy bringt vor, dass es eine weitere Seite von Platon gibt. Platon hat ebenso versucht, den Ursprung der und den Grund für die irdische Welt zu erklären. Daher suchte Platon nicht nur die Beschaffenheit der ewigen Formen, die die Welt transzendieren zu erklären, er beschrieb ebenso, wie sie mit der immer-wechselnden oder herabgestiegenen Welt, in der wir leben, verwandt sind. Diese Interpretation fällt mit der Geschichte der Historie zusammen, die Wilber erzählen möchte, in der - um mit der platonischen Quelle zu beginnen - sowohl die aufsteigenden als auch die absteigenden historischen Kräfte vorhanden sind.

Wie gültig ist jedoch Lovejoys Interpretation von Platon? In einer Analyse von Lovejoys Historie in der großen Kette der Wesen schlussfolgert Edward P. Mahoney :,,Es gibt wenig Rechtfertigung für ein Umdrehen von Platons Form des Guten in einen Gott, von dem alle Dinge fließen, es sei denn, man möchte den Neo-Platonismus oder eine Variante davon wieder bestätigen. Lovejoys Lesart von Platons Republik und dem Timaeus ist einfach irrtümlich."[8] Diese Wiederbestätigung des Neo-Platonismus ist nicht zufällig ein Interesse sowohl von Wilber als auch von Lovejoy.

Wilber nimmt diese Dualität vom Aufsteigen und Absteigen und vergegenständlicht sie, indem er diesen Widerspruch von Ideen in eine Schlacht von historischen Schauspielern umwendet. Er schreibt: ,,Die Aufsteiger und die Absteiger, nach zweitausend Jahren sich immer noch gegenseitig an der Kehle packend - jeder behauptet, das Ganze zu sein, jeder beschuldigt den anderen, das Böse zu sein, jeder verübt den gleichen gespaltenen Irrsinn, den er im anderen verachtet.."[9] Stützt Lovejoys Text wirklich dieses übertreibende Historisieren? Lovejoy sagt wirklich, dass ,,die Spaltung....zwischen der Jenseitigkeit und der Dies-Weltlichkeit...die tiefste und weitreichendste Spaltung" ist, ,,die philosophische oder religiöse Systeme trennt," er ist jedoch viel subtiler als Wilber in seiner Bewertung der Wirkungen dieser Spaltung. Lovejoy bezieht sich auf die Jenseitigkeit als die

,offizielle Philosophie'....weil nichts, wie ich vermute, evidenter ist, als dass die meisten Menschen, wieviel sie auch immer bekannt haben, dass sie es akzeptieren und sogar in den Begründungen oder der Rethorik ihrer Kommentatoren eine geistesverwandte und bewegende Art von metaphysischem Pathos gefunden haben - das teilweise das Pathos des Unbeschreiblichen ist - es niemals ganz geglaubt haben, weil sie niemals in der Lage gewesen sind, den Dingen , die von den Sinnen enthüllt werden, eine echte und zwingende und höchst wichtige Art der Wirklichkeit zu verleugnen.[10]

Anstelle der ,,Aufsteiger und Absteiger...immer noch sich gegenseitig an die Gurgel gehend" schlägt Lovejoy vor, dass ,,die Jenseitigkeit" (oder Himmelfahrt) ,,niemals ganz geglaubt" wurde und als eine ,,offizielle Philosophie" gehandelt hat. Lovejoys nuanzierte und nüchterne Diskussion der Hauptspaltung in ,,philosophischen und religiösen Systemen"" wird von Wilber in die ,,königliche Schlacht" der westlichen Zivilisation umgeformt, in der

kriegführende Gegner....asketische und repressive und puritanische Aufsteiger auf der einen Seite, die geradezu ,diese Welt' (der Natur, des Körpers, der Sinne) zerstören werden zugunsten von etwas, das sie sich als eine ,andere Welt' vorstellen; und auf der anderen Seite die Schatten umarmenden Absteiger, Höhlenbewohner allemal, die an der Welt der Zeit herummachen und nach dem Zeitlosen Ausschau halten und die beim Versuch, das endliche Reich in einen unendlichen Wert umzuwenden, am Schluss ,diese Welt' genauso fürchterlich verdrehen wie es die Aufsteiger tun, weil sie genaugenommen von ,dieser Welt' etwas wollen - und erzwingen -, was sie niemals liefern kann: Erlösung.[11]

Diese Art überhitzter Rethorik würde den besonnenen Arthur Lovejoy zusammenfahren lassen.

Das zweite Zitat, das das Kapitel über Wilbers Historie der westlichen Zivilisation übertitelt, ist ebenfalls verdächtig. Es ist ein Zitat aus Platons siebter Epistel oder Brief, in dem Platon sagt, dass die Erkenntnis des Absoluten unbeschreiblich ist und daher ,,wird es keine Abhandlung von mir, die das betrifft, geben oder jemals existieren."[12] Wilber interpretiert, dass dieses Zitat bedeuten soll, dass Platons Botschaft eine wesentlich spirituelle sei. Er möchte, dass dieser Platon existiert, weil er möchte, dass die Historie der westlichen Zivilisation eine spirituelle Geschichte ist, in der zwei spirituelle Mächte um die Vorherrschaft kämpfen. Dieser Aspekt von Platons Denken ist wichtig, weil Wilber dem stark intellektuellen Platon widersprechen möchte, der die westliche Philosophie dominiert. Es ist ebenso eine Seite von Platon, die Arthur Lovejoy in seinem Buch Die große Kette der Wesen hervorhebt. Der tendenziöse Charakter der Zitate wird weiterhin durch seine zweifelhafte Authentizität bewiesen. In der neuesten Ausgabe von The Cambridge Dictionary of Philosophy[13] stellt Richard Kraut in seiner Einführung zu Platon fest, dass ,,die Authentizität des Siebten Briefes eine umstrittene Frage ist." [14]

Lovejoys Historie geht aus einer besonderen Perspektive hervor. In einer wohlwollenden Besprechung von ,,Lovejoys Die große Kette der Wesen nach fünfzig Jahren" anerkennt Daniel J. Wilson, indem er sich auf Lovejoys Kritiker bezieht:

Indem sie auf die Hervorhebung der Schöpfung und die ausschlaggebende Bedeutung der romantischen Periode auf Lovejoys eigenes Denken deuten, haben diese Kritiker die Quelle der Scheuklappen aufgedeckt, die Lovejoy trug, als er sich gewissen Texten näherte...Als Lovejoy Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin oder jemanden der anderen Denker, die er besprach, gelesen hat, war er darauf vorbereitet, in ihren Werken die ungelöste, weil unlösbare Unvereinbarkeit zwischen den beiden Konzeptionen von [einem jenseitigen und diesseitigen] Gott als Schöpfer zu finden. Wir sollten nicht überrascht sein, wenn ein so sorgfältiger Gelehrter wie Lovejoy fand, wonach er gesucht hatte.[15]

Während Lovejoys Text die Hauptlast der Arbeit beim Legitimieren von Wilbers Historie macht, lässt er manchmal Wilber im Stich. Lovejoy ,,geht über jene Systeme hinweg - so wie über das von Plotin,"[16] benützt Wilber deshalb einen Gelehrten, der Plotin genügend schätzt und er fährt fort, die Historie zu konstruieren, die zu seinem Modell passt. Wilber bezieht sich fast ausschließlich auf W. R. Inges Philosophie von Plotin[17], die 1918 veröffentlicht wurde, dabei beachtete sie nicht die 75 Jahre Plotin-Forschung, die schon veröffentlicht war. Adam Fox, anerkennt in seiner 1960 veröffentlichten Biografie von Inge: ,,In den letzten dreißig Jahren wurde mehr über die Philosophen des dritten Jahrhunderts bekannt, als Inge wissen konnte."[18] Wilber hat beschrieben, weshalb er Inges Übersetzung von Plotins Texten ausgewählt hat,[19] er informiert jedoch seine Leser nicht, dass Inge ein ungewöhnlicher Plotin-Gelehrter war. Er war ungewöhnlich dabei, dass er ein Mystiker und ein Schüler Plotins war.[20] Fox kommentiert ,,die Schülerschaft, die so offensichtlich ist in der Haltung des Autors zu Plotin dem Meister, wie es an vielen Stellen [in IngesThe Philosophy of Plotinus]ausgedrückt wurde..”[21] Natürlich ist es toll, Gelehrte auszuwählen, die für eine Gültigkeitserklärung der eigenen Perspektive empfänglich sind, doch wenn man hofft, eine aperspektivische Integration des Wissens zu schreiben, dann beeinträchtigt das unsere Ergebnisse, indem es sie nicht asperspektivisch sondern entschieden perspektivisch macht.

Wilber wendet drei Seiten auf für die Anstrengung, uns von Plotins Bedeutung zu überzeugen. Er ergießt sich: ,,Kein anderer mystischer Denker rückt gar näher an Plotin heran;”[22] ,,Sogar der Hl. Augustinus hielt sich in Ehrfurcht zurück;”[23] ,,der Superlativ ,am göttlichsten' war immer für Plotin reserviert.”[24] Jeder weiß doch, dass Plotin bedeutsam ist, weshalb strengt er sich daher an, den Leser zu überzeugen? Es ist, weil Plotins Charakter, seine Philosophie und seine spirituelle Verwirklichung Wilbers Ideal sind, und es genügt ihm nicht, dass Plotin jenes Ideal verkörpert; Wilbers benötigt Plotins Leben und Werk als Die Non-Duale Integration Der Dualität Der Westlichen Zivilisation. Wilbers Überlegung scheint zu sein: wenn Plotin der Bedeutendste ist, dann ist seine Leistung die bedeutendste. Wenn diese Leistung beschrieben werden kann als die Integration eines großartigen Dualismus in der westlichen Zivilisation, dann kann dieser Dualismus als der großartigste Dualismus in der westlichen Zivilisation betrachtet werden. Weil es eine größere Menge mehr an Dokumentation erfordern würde, um den Leser von seiner Interpretation der westlichen Historie zu überzeugen, nimmt Wilber Zuflucht beim Zitieren einiger ausgewählter Gelehrter, die sagen, dass Plotin außergewöhnlich war. Die Tatsache jedoch, dass Plotin großartig und dass sein Neo-Platonismus sehr einflussreich war, bedeutet nicht, dass die westliche Zivilisation im Wesentlichen ein Titanenkampf zwischen Aufsteigern und Absteigern ist.

Die von Wilber benützte Art der Konzepte von Aufsteigern und Absteigern schafft eine eigenartige Verdinglichung von Ideen, die in scharfem Kontrast zu einer Geschichtsschreibung stehen, die Individuen und soziale Gruppen als die historischen Akteure betrachtet. Die Verdinglichung von Ideen ist eines der Hauptsymptome der Betrachtung der Historie von oben und sie löscht die Leben der Menschen aus Fleisch und Blut aus zugunsten der blutleeren Interaktion von abgehobenen Ideen. Als Beispiel kann man das Aufsteigen von Vernunft und Naturwissenschaft in Opposition gegen die Dominanz der christlichen Religion und des Glaubens nehmen. Die Vernunft und Naturwissenschaft der Aufklärung sind Beispiele für absteigende Ansätze, während das Christentum ein aufsteigender Pfad ist; ein anscheinend klassisches Beispiel für Wilbers zentralen Dualismus. Ist jedoch die Art des Konflikts zwischen diesen beiden Seiten im wesentlichen eine Schlacht zwischen dem Aufsteigen und dem Absteigen mit allen weiteren Unterschieden eine ,,zufällige Teilmenge" dieser Hauptdualität? Waren der Machtkampf und die widerstreitenden Interessen zwischen unterschiedlichen polit-ökonomischen Gruppen eine zufällige Teilmenge der größeren Dualität? Was ist mit der Rolle von Bevölkerungsbewegungen vom Land in die Stadt? Oder technologische Veränderungen? So viel mehr ist in historischen Veränderungen enthalten als es aufgezählt werden kann unter dem Gesichtspunkt, ob Glaubenssysteme als irdisch oder jenseitig charakterisiert werden.

Der Unterschied zwischen dem Jenseits und dieser Welt oder dem Heiligen und dem Profanen oder Aufsteigern und Absteigern ist sicherlich eine brauchbare Weise, die Historie des westlichen Denkens zu interpretieren, Wilber jedoch muss sie haben als die Dualität der westlichen Zivilisation, damit er seine spirituelle Wiedererzählung der Historie rechtfertigen und eine Transzendenz vorwegnehmen kann, die die Aufsteiger und Absteiger integriert.

Mit dem Auftauchen der Vernunft und Naturwissenschaft der Aufklärung im 18. Jahrhundert gelangten die Absteiger über die Aufsteiger hinaus. Das Jenseitige, das Transzendente und Pfade jenseits dieser Welt wurden als Aberglauben, Mythen und Illusionen bezeichnet. Zwei absteigende Ansätze zum Selbst und zur Welt steigen auf und dominieren. Wilber benennt sie als ,,das Ego" und ,,das Öko". Das Ego bezieht sich auf jene Gedankenwege, die das Ego vom Rest der Welt abtrennen und dann dieses freigemachte Ego benützen, um auf die Welt mit einem objektiven, wissenschaftlichen Auge zu starren. Das wissenschaftliche Auge sieht die Welt als einen kausalen Mechanismus mit interagierenden Teilen. Die Welt ist durch rationale Mittel erklärbar und kontrollierbar. Das Ego ist eine freie, rationale Wesenheit, die in der Lage ist, ihr Schicksal zu kontrollieren inmitten der mechanischen Welt der Dinge, in der sie existiert. Die Beziehung zwischen diesem freien Ego und der festgelegten Welt verbleibt problematisch.

Im Gegensatz zum Ego kritisiert das Öko das Ego als zu sehr losgelöst. Das Öko sagt, dass das Ego die Natur auf ein mechanisches Ding reduziert und die Lebenskräfte des Gefühls und der Imagination unterdrückt, die sowohl durch die Natur als auch den Menschen branden. Die Ansicht des Egos unterdrückt das Gefühl im Namen der Vernunft und schneidet die europäische Menschheit ab von ihrem eigentlichen Platz innerhalb des Lebensflusses. Die historische Spaltung läuft sich heutzutage tot im Konflikt zwischen denen, die die instrumentelle Vernunft und Technologie verfechten und denen, die glauben, dass eine neue ökologisch vernetzte Perspektive gebraucht wird, um das Problem der Beziehung der Menschheit zur Natur zu lösen.

Wilbers Geschichte der modernen westlichen Historie ist weitgehend abgeleitet von Charles Taylors Quellen des Selbst[25] und dem ersten Kapitel von Taylors Hegel.[26] Im Verlauf seiner weiteren Studie bezieht sich Taylor wirklich auf das, was Wilber zur zentralen Dualität der Moderne macht. Obschon Wilber nicht die folgende Passage von Taylor zitiert, fasst sie Wilbers Argument ziemlich gut zusammen. Anstelle von Wilbers Neologismen Ego und Öko benützt Taylor die herkömmlichen Kategorien der instrumentellen Vernunft und beziehungsweise die Romantik. Er schreibt:

obschon die romantischen Naturreligionen ausgestorben sind, ist die Idee, dass wir offen sind zu der Natur in uns und außerhalb von uns, immer noch eine sehr mächtige. Die Schlacht zwischen der instrumentellen Vernunft und diesem Verständnis der Natur wütet noch heutzutage in den Auseinandersetzungen über ökologische Politik....Einer sieht die Würde des Menschen in seiner anmaßenden Kontrolle eines objektifizierten Universums durch die instrumentelle Vernunft....Der andere sieht in genau dieser Haltung zur Natur ein kurzsichtiges Verleugnen unseres Platzes in den Dingen....Die Schlacht zwischen diesen spirituellen Perspektiven, die im achtzehnten Jahrhundert begann, geht immer noch heutzutage weiter.”[27]

Taylors Sources of the Self ist ein brilliantes historisches Werk, gepriesen von Säkularisten wie Quentin Skinner und Richard Rorty. Die allgemeine Ansicht, dass die moderne Welt durch einen Verlust an Religiosität, wenn nicht sogar Spiritualität, charaktisiert wird, scheint unbestreitbar zu sein. Weshalb ist daher Wilbers Erzählen der modernen Historie problematisch, wenn er sich auf Taylor bezieht? Weil nämlich Wilber Taylor zu benützen wünscht, mehr zu sagen, als Taylors Arbeit es gestattet. Probleme geschehen, wenn Wilber über Taylors bescheidenere Erklärungen hinausgeht und versucht, Taylor zu benützen, um seine Version der modernen westlichen Historie zu validieren. Es gibt drei Hauptprobleme. Erstens zieht Wilber diese eine Dualität zwischen Aufklärung und Romantik heraus und befördert sie zu dem großen Dualismus der modernen westlichen Welt. Diese bereits weiten Kategorien werden innerhalb der sogar weiteren Kategorien vom Ego beziehungsweise dem Öko zusammengezählt. Seine überhitzte Rethorik wendet sie um in die sich bekämpfenden Titanen der Moderne. ,,Sie sind tatsächlich in einer königlichen Schlacht eingeschlossen, die auf viele Arten eine Erzschlacht war und sie bleibt die Erzschlacht der Moderne und Postmoderne.”[28] ,,Diese beiden Lager waren mit anderen Worten vollständig inkompatibel (das anerkannten sie beide fröhlich - und aggressiv).”[29] ,,Die Ego-Lager und die Öko-Lager stellten sich als Todfeinde auf, jeder beschuldigte wieder einmal den anderen, die Essenz des Bösen zu sein.”[30] Dieser Versuch, eine dramatische Antithese zwischen den ,,beiden Lagern" zu schaffen, kontrastiert scharf mit der Wissenschaft, die die Unterteilung zwischen Aufklärung und Romantik hinterfragt und die Idee von einer monolithischen Romantik. Der Historiker Crane Brinton , der in der The Enzyklopädie der Philosophie[31] über ,,Romantik" schreibt, sagt:

sowohl die Aufklärung als auch die Romantik hatten viel gemeinsam - einen Glauben an Fortschritt, Wechsel, wenn nicht tatsächlich Fortschritt, einen Glauben an die Möglichkeiten der Manipulation der Umwelt, in der Tat transzendierte ein fundamentaler und sehr moderner Relativismus niemals wirklich bei der Suche nach ewigen Wahrheiten. Beide, was immer ihre metaphysische Position beim Problem des Determinismus war, zeigten in der Praxis eine feste Überzeugung, dass sich Dinge nicht nur verändern, sondern dass sie durch menschliche Bemühung verändert werden können. Bei vielen spezifischen Disziplinen - zum Beispiel Primitivismus oder Individualismus bei Moral und Politik - ist es schwierig zu entscheiden, ob sie charakteristischer für aufklärerisches oder romantisches Denken sind.[32]

Bei der Politik schreibt Brinton: ,,Wahrscheinlich hat bei dem Gleichgewicht, auf das die Romantik zugearbeitet hat....viel....das seinen Start von den Rationalisten der Aufklärung bekam."[33] Vor kurzem schreibt Aidan Day in seiner Einführung zu Romantik[34], dass ,,viele der mit der Romantik verbundenen vorherrschenden Gedanken - eine Wahrnehmung des blamierenden Effekts einer nichtbedachten Nachahmung der Überlieferung, der Nachdruck auf die politischen Rechte und die psychologischen Fähigkeiten des Individuums, die Betonung, nicht auf den Ausschluss der Vernunft sondern auch ebenso auf sie zu fühlen, der Nachdruck auf primitive Einfachheit und Natürlichkeit, auf die Bedeutung der Natur selbst - waren grundsätzlich vorherrschende Gedanken der Aufklärung."[35] Day zitiert ebenso zustimmend Wilbers behauptete Quelle für seine Historie der Aufsteiger und Absteiger, Arthur O. Lovejoy, der in seinem Artikel ,,Über die Diskriminierung der Romantik" der Idee einer monolithischen Romantik widerspricht, als er schreibt: ,,dass jeder Versuch zu einer generellen Bewertung sogar einer einzigen chronologisch bestimmten Romantik - und noch mehr von ,,Romantik" als einem Ganzen - eine Albernheit ist.'[36]

Das zweite Problem mit Wilbers Ego/Öko-Dualität ist seine Vergegenständlichung dieser abstrakten Kategorien. Nachdem er sie als sich gegenseitig ausschließende Konzepte aufgestellt hat, nehmen sie dann die Charakteristiken von lebenden Wesen an. Wir erfahren, dass ,,das Ego und das Öko um das gute Leben kämpfen, so wie sie zur gegenseitigen Abneigung verdammt sind"[27]; so dass es ,,nicht verwunderlich ist, dass sowohl die Ansicht des Egos von der Natur als die fundamental widergespiegelte Realität als auch der Versuch von Öko, die Natur als Geist zu glorifizieren, sich beide in einer absoluten Besessenheit mit Sexualität zu treffen pflegen,"[38] dass ,,das Ego und das Öko....für immer der große Teufel in den Augen des anderen bleiben werden;"[39] und ,,wie sehr sie sich jedoch gegenseitig an die Gurgel gingen, haben sie doch noch über das gleiche blutleere Gebiet gekämpft, das Gebiet, das sie beide ,Natur' nannten."[40] Während sogar eine weite begriffliche Kategorie wie die Romantik, die eine Teilmenge von Öko ist, viele sich bekämpfende Tendenzen enthält, wie kann man dann von etwas sprechen wie Ego und Öko, als hätten sie irgendeine Art von vereinigter Motivation oder abgestimmter Handlungsweise? Es ist eine merkwürdige, grandiose Vermenschlichung von begrifflichen Kategorien.

Das dritte Problem bei Wilbers Historie ist seine Ent-Spiritualisierung der Romantik. Er möchte die Aufklärung und die Romantik als absteigende Philosophien sehen, die jeden aufsteigenden oder übersteigenden Pfad verlassen haben. Ihr Verlassen des Aufstiegs lässt sie bei ,,Flachland-Ontologien" zurück, d.h. keine Konzeption von Transzendenz. Während es wahr zu sein scheint, dass die Romantiker Wilbers Version von Spiritualität nicht hatten, in der wir uns durch Bewusstseinsebenen entwickeln und schließlich das Ganze umarmen, ist das die einzige Spiritualität, die ihres Namens wert ist? Richard Tarnas , der in seinem Die Passion des westlichen Geistes schreibt, stellt fest, dass

Religion selbst ein zentrales und bleibendes Element im romantischen Geist war, ob sie nun die Form des transzendentalen Idealismus , Neoplatonismus, Gnostizismus, Pantheismus, Mysterien-Religion, Naturanbetung, christlicher Mystik, hindu-buddhistischer Mystik, Swedenborgianismus, Theosophie, Esoterik, religiösem Existenzialismus, Neu-Heidentum, Schamanismus, Anbetung der Muttergottheit, evolutionärer menschlicher Vergöttlichung oder einiger Synkretismen davon annahm. Hier blieb das ,Heilige' eine gangbare Kategorie, wohingegen es in der Naturwissenschaft längst verschwunden war. Gott wurde in der Romantik wiederentdeckt - nicht der Gott der Orthodoxie oder des Gottesglaubens, sondern der Mystik, des Pantheismus und als immanenter, kosmischer Prozess. [41]

Tarnas sagt, dass die Romantik genau die gleichen Arten von Spiritualität einbezog, die Wilber betrachtet, wie sie der Flachland-Ontologie entgegnen.

Bernard M.G. Reardon fasst seine Studie von Religion im Zeitalter der Romantik zusammen, indem er feststellt,

dass die Essenz der Romantik - wenn die Bestimmung ihrer ,Essenz' überhaupt möglich sein sollte - in dem unüberwindbaren Gefühl liege, dass das Letzte nicht selbsterklärend und selbstrechtfertigend ist, sondern dass hinter ihm und innerhalb seiner - sozusagen strahlend durch es - es immer ein unendliches ,Jenseits' gibt und dass derjenige, der einmal die Unendlichkeit flüchtig erschaut hat, die sowohl alles Endliche durchdringt und übersteigt, sich niemals zufrieden geben kann mit dem schäbigen dies und jenem, den rationalisierten Einfachheiten des Alltagslebens. Wie es William Blake ausgedrückt hat:
Die Welt sehen in einem Korn von Sand,
   und den Himmel in einer Wildblume,
die Unendlichkeit halten in der Fläche deiner Hand,
    und die Ewigkeit in einer Stunde.

Immer wieder treffen wir im romantischen Denken dieses Gefühl der Koinzedenz des Endlichen und des Unendlichen. In allen endlichen Dingen ist das Unendliche präsent, latent und der Teil ist bedeutungslos ohne das Ganze.[42]

Während sie vielleicht nicht die transzendenten Höhen erreicht, die Wilber von ihr abverlangt, demonstriert Reardons Studie, wie integral eine aufsteigende Spiritualität oder Jenseitigkeit für das größte Interesse der Romatik an der Natur und der Diesweltlichkeit der Geschichte war. Das widerspricht direkt Wilbers Charakterisierung von ihr als in ,,Flachland-Ontologie" stecken geblieben.

Wilbers Notwendigkeit, die modernen Absteiger zu entspiritualisieren, veranlasst ihn, Äußerungen zu bringen, die den zentralen Argumenten seiner Hauptquelle widersprechen. Während Wilber vorbringt, dass die ,,holistische Flachlandwelt..." der modernen Absteiger...,,keinen Einfügungspunkt für das Subjekt mit Tiefe übrigließ (kein Raum für Innerlichkeiten, für Ich oder Wir, für echte Tiefe in jedem Holon allenthalben, Tier, Mensch, Gottheit oder sonstwie)" [43] zeichnet Charles Taylor das historische Wachsen der individuellen Innerlichkeit und die großartige Selbsterforschung und Entdeckung von Tiefe auf, die das Ausfalten unserer modernen Historie gestattet hat. Taylor schreibt, dass ,,wir nur mit der [romantisch-]expressivistischen Idee des Ausdrückens unserer inneren Natur wirklich die Anlagen für die Konstruktion dieser innerenDomäne sehen, wie sie Tiefe hat, das heißt eine Domäne, die tiefer reicht, als wir es jemals ausdrücken können, die sich noch jenseits unseres weitesten Punktes von klarem Ausdruck erstreckt." [44] Weil diese innere Tiefe und Selbsterforschung nicht direkt gegen die einzige Spiritualität, die den Namen wert ist, gerichtet ist, werden die ganzen Tiefen des Selbst, die Taylor so geduldig aufzeichnet und die in dem modernen romantisch-expressiven Selbst ihren Höhepunkt haben, von Wilber als bloße Flachland-Ontologie, keine Tiefe, abgelehnt.

Während Wilbers Quelle mit ihm bei dem vorherigen Punkt nicht übereinstimmt, teilen Wilber und Taylor eine Affinität der Perspektiven, die der Historiker Quentin Skinner beschreibt. Indem er einige von Taylors weltlichen Lösungen für unsere modernen Erkrankungen auflistet wie etwa ,,die Werte des Alltagslebens wieder bestätigen", ,,die ,wie göttliche Erscheinungen anmutende' Mächte von Kunst und Literatur" und ,,unsere Hingabe an ein Leben öffentlicher und politischer Aktivität", schreibt Skinner:

Taylors Diagnose unserer Erkrankungen befähigt ihn jedoch, darauf zu bestehen, dass nichts von denen genug sein wird. Solange wir uns selbst auf Werte und Projekte dieses Charakters begrenzen, werden wir gänzlich innerhalb des Rahmenwerks ,einer entkleideten weltlichen Perspektive' handeln (S.520). Das wird uns davon abhalten zu sehen, dass das Leben eine Suche ist und wonach wir auf der Suche sind, als Teil ,unseres Telos als menschliche Wesen', ist eine Skala von Werten, die ,unsere Ehrfurcht abverlangen' werden, nicht bloß unsere Bewunderung oder unseren Respekt (p.20). Wie es Taylor wiederholt ausdrückt, ist das wonach wir suchen etwas ,unvergleichlich Höheres', als dass wir hoffen können, es in irgendeiner unserer individuellen oder sogar unserer kommunalen Unternehmungen zu finden. [45]

Taylors spirituelle Bestrebungen lassen seine Erzählung der Historie nicht unbeeinflusst, ,,er verkörpert die Notwendigkeit einer solchen theistischen Lösung in seiner Weise, unsere Zivilisation und deren Unbehagen zu beschreiben."[46] Skinner schreibt, dass ,,es manchmal schwierig ist, dem Verdacht zu widerstehen, dass Taylor seine führenden Charaktere auffordert, die Zeilen zu sprechen, die der Druck seiner Erzählung auf sie ausübt."[47] Weil Taylor denkt, dass eine ,,theistische Lösung" für unsere gegenwärtige Gesellschaft notwendig sei, säkularisiert er gemäß Skinner Locke und Rousseau, zwei der Haupturheber der Perspektiven der abgestiegenen Ego und Öko, um den Kontrast zwischen einer säkularen Vergangenheit und ihren Wirkungen auf die Gegenwart zu dramatisieren und unsere Notwendigkeit für Taylors ,,theistische Lösung". Indem er Taylors Säkularisierung von Locke und Rousseau korrigiert, schreibt Skinner:

Wie Locke zu Beginn der Zwei Verträge erklärt, seine eigene Ansicht davon, wie wir unsere moralischen Pflichten erlernen, ist dass wir das tun, indem wir das Naturgesetz befragen, die normative Kraft, von der gesagt wird, dass sie sich von der Tatsache ableitet, dass sie ebenso der Wille Gottes ist. Bedenken Sie in ähnlicher Weise Taylors Behandlung von Rousseau, den er als den führenden Vorboten der romantischen Ansicht präsentiert, dass ,die innere Stimme meiner wahren Gefühle definiert, was das Gute ist' (S.362). Rousseau wäre sicherlich nicht weniger entsetzt gewesen durch eine solche Interpretation, besonders da der savoyische Vikar [,Das Glaubensbekenntnis eines savoyischen Vikars' aus Rousseaus Bildungsroman Emile, 1762, führte wegen seiner Religionskritik zu entrüstetem Protest, woraufhin Rousseau aus Genf fliehen musste; d. Übs.] so viel Beredsamkeit ausbreitete beim Versuch, uns zu überzeugen, dass es der einzige Grund ist, weshalb die Stimme des Gefühls hoffen kann, uns zu führen, dass sie gleichzeitig die Stimme der Natur und Gottes ist.[48]

Skinner beschreibt ebenso Taylors ,,Darstellung des sich entwickelnden Bewusstseins"[49], in welcher der Historie

,,Erzählung eine des ,erkenntnistheoretischen Zuwachsens' ist ' (S.313). Als ein erklärter Gegner des Relativismus geht [Taylor] so weit in die entgegengesetzte Richtung, dass er insistiert, dass die geeignete Haltung, die angesichts unserer eigenen moralischen Evolution anzunehmen ist, eine stark bestätigende sein muss. Trotz der Barbarei unseres gegenwärtigen Jahrhunderts sollten wir erkennen, dass wir ,höhere Standards' in ,die moralische Kultur unserer Zivilisation' eingebaut haben als jemals zuvor (S.397).[50]

Genau wie Taylor glaubt, dass ,,die vollständigste ,Bestätigung des Humanen' nur mit Hilfe des Göttlichen erreicht werden kann," glaubt Wilber, dass es der Verlust jedweder Verbindung zum Göttlichen oder des Aufstiegs ist, der verursacht, dass die Lager des Ego und des Öko in ihrer ,,Flachland-Ontologie" steckengeblieben sind, die lediglich die absteigende Vielheit des Irdischen anbietet ohne die aufsteigende Einsheit des Jenseits. Und Wilber glaubt wie Taylor, dass es Teil unseres ,,Telos als menschliche Wesen" sei, ,,Leben als Suche" nach spiritueller Verwirklichung anzusehen. Wilber beschreibt die Evolution des Bewusstseins und ist ein Gegner des Relativismus, der Kohlberg und Habermas benützt, um eine ,,stark bestätigende" Vision der westlichen moralischen Kultur zu bestätigen. Diese Ähnlichkeiten der Perspektive bedeuten, dass Wilber bei Taylor, wie bei Lovejoy in einer anderen Weise, die Historie finden wird, nach der er sucht.

Diese perspektivische Ausrichtung nach einer progressiven Historie, die Wilber und Taylor gemeinsam haben, resultiert in einem Verlust des Verlustes. Wilbers Historien-Erzählung ist stark bestätigend, während sie nicht deterministisch ist. Die egoisch-rationale Kultur des Westens ist trotz ihrer Fehler die moralisch höchste Entwicklung der menschlichen Kultur. Sie ist eine Übersteigung und Einschließung der wesentlichen Sozialstrukturen der Vergangenheit. In Wilbers Historie hat man nicht den Eindruck, dass etwas Wesentliches verloren wurde. Sie ist eine sehr untragische Sicht der Historie und reflektiert Wilbers Abneigung gegenüber Negativität und Verlust im Allgemeinen. Charles Taylor teilt ähnliche historische Vermutungen. Quentin Skinner stellt Taylors Weise der intellektuellen Historie einer unterschiedlichen Weise von Historie gegenüber, die ,,die kausale Geschichte" erzählt. Die kausale Geschichte beschreibt, weshalb besondere Konzeptionen vom Selbst und der Moral gegenüber anderen Konzeptionen verlieren, nicht wegen einer progressiven Entwicklungslogik, sondern weil es in den Interessen gewisser sozialer Akteure stand, dass sie das tun. Skinner benützt das Beispiel des ,,Triumphs der ,alltäglichen' Werte, die sich auf das Familienleben und die Arbeitsethik zentrieren"[51], die Taylor beschreibt. Skinner beschreibt, wie dieser Interessens- und Werte-Schub auf die private Sphäre des Heims und der Familie es absolutistischen Herrschern gestattete, mehr öffentliche Macht in weniger Händen zu konzentrieren. Bei dieser Ansicht gewinnen neue moralische Werte nicht, weil sie besser sind, sondern weil sie den Interessen jener entsprechen, die die Macht haben, ihnen ihren Platz zuzuweisen. Die gesamte ,,Clausewitz'sche Konfliktgeschichte"[52] ist in Taylors Geschichtserzählung verloren, und Wilbers Gebrauch davon erlaubt es ihm, die westliche Historie als eine Übersteigung und Einschließung alles dessen darzustellen, was vorher kam. Skinner schlussfolgert, dass die kausale Geschichte der Historie

uns bewusst macht, wieviel im Lauf dieses Prozesses selbst gerade verloren als auch gewonnen wurde. Weit davon entfernt, ,eindeutig' und ,unabhängig' auf die von Taylor gepflegte Weise zu sein, tendiert die kausale Geschichte dazu, gerade die Moral zu untergraben, die er aus seiner eigenen Darstellung des sich entwickelnden Bewusstseins zu ziehen wünscht. [53]

Die Historie der westlichen Zivilisation zu erzählen, ist eine beängstigende Aufgabe, sogar für ein Team von Historikern; daher ist es nicht überraschend, dass Wilbers Darstellung problematisch sein sollte. Während die Unterteilung in die irdische Welt und die jenseitige Welt oder das Heilige und das Profane eine nützliche Dualität für das Charakterisieren von sich bekämpfenden Mächten in der Historie ist - und noch üblicher in der Anthropologie - bleibt die von Wilber verschaffte Dokumentation weit dabei zurück, seinen Einzelfall zu beweisen, dass der Konflikt zwischen aufsteigenden und absteigenden Kräften ,,der Dualismus ist, von dem alle anderen westlichen Dualismen bloß eine zufällige Teilmenge sind." Zusätzlich wird der Zweifel des Lesers verstärkt durch die Vergegenständlichung dieser Dualität in merkwürdige personifizierte Kräfte, die angeblich ,,eine königliche Schlacht" um die Vorherrschaft ,,kämpfen". Wilbers Hoffnung auf eine geerdete Spiritualität, die aufsteigende und absteigende Ansätze integriert, ist attraktiv, er hat jedoch nicht demonstriert, dass die westliche Zivilisation von jenen Kräften angetrieben wird und auf jene Lösung hinsteuert.

Literaturhinweise

[1] SES, p. 628, n.1.

[2] Lovejoy, A., The Great Chain of Being, (Cambridge: Harvard University Press), 1964.

[3] Whitehead, Alfred North, Process and Reality, (New York: Macmillan Press, 1929), p.63.

[4] SES, p. 319. Obschon es wahr ist, dass viele Whitehead auf diese Weise falsch zitieren.

[5] SES, p. 319.

[6] SES, p. 320. Diese Falschzitierungen sind in der zweiten Ausgabe vonSES beibehalten.

[7] SES, p. 321.

[8] Mahoney, Edward P., “Lovejoy and the Hierarchy of Being,” Journal of the History of Ideas, vol. 48, issue 2 (Apr. - Jun., 1987), p.229

[9] SES, p. 521.

[10] Lovejoy, Great Chain of Being, p. 26-27.

[11] SES, pp. 320-321.

[12] SES, p. 319.

[13] Audi, Robert ed., The Cambridge Dictionary of Philosophy, (Cambridge: Cambridge University Press), 1996.

[14] In Audi, Cambridge Dictionary, p. 624.

[15] Wilson, Daniel J., “Lovejoy's The Great Chain of Being after Fifty Years,” Journal of the History of Ideas, vol. 48, issue 2 (Apr. - Jun., 1987), pp. 195-196.

[16] SES, p. 628.

[17] Inge, William Ralph, Philosophy of Plotinus, 3rd ed., (London: Longmans, Green and Co., 1929).

[18] Fox, Adam, Dean Inge, (London: J. Murray, 1960), p. 137.

[ Wilber, Ken, The Eye of Spirit, (Boston: Shambhala Publications, 1998), pp. 355-358.

[20] Inge, Plotinus, Vol. II, p.219.

[21] Fox, Dean Inge, p.135.

[22] Inge quoted by Wilber in SES, p. 331.

[23] SES, p. 331.

[24] SES, p. 331.

[ Taylor, Charles, Sources of the Self, (Cambridge: Harvard University Press, 1989).

[26] Taylor, Charles, Hegel, (Cambridge: Cambridge University Press, 1975).

[27] Taylor, Sources of the Self, p.384.

[28] SES, p. 433.

[29] SES, p. 432.

[30] SES, p. 432.

[31] Edwards, Paul ed., The Encyclopedia of Philosophy, (New York: Macmillan Publishing Co., Inc., 1972).

[32] Brinton, Crane, “Romanticism,” in Edwards, Paul ed., The Encyclopedia of Philosophy, Vol. VII, p. 207.

[33] Brinton, “Romanticism,” p. 208.

[34] Day, Aiden, Romanticism, (New York: Routledge, 1996).

[35] Day, Romanticism, p. 76.

[36] Lovejoy, Arthur O., Essays in the History of Ideas, (Baltimore: John Hopkins Press, 1948), p. 252.

[37] SES, p. 433.

[38] SES, p. 472.

[39] SES, p. 472.

[40] SES, p. 468.

[41] Tarnas, Richard, The Passion of the Western Mind, (New York: Ballantine, 1993), p. 372-373.

[42] Reardon, Bernard M.G., Religion in the Age of Romanticism, (New York: Cambridge U. Press, 1985), p.3.

[43] SES, p. 431.

[44] Taylor, Sources of the Self, p.389.

[45] Skinner, Quentin, “Who Are 'We'? Ambiguities of the Modern Self,” Inquiry, 34, p. 146.

[46] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 146.

[47] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 136.

[48] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 136.

[49] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 143.

[50] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 143.

[51] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 144.

[52] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 142.

[53] Skinner, “Who Are 'We'?,” p. 145.



© Jeff Meyerhoff 2006