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Jeff MeyerhoffJeff Meyerhoff ist ein unabhängiger Gelehrter, der Philosophie, Politik, Mystizismus und Psychologie studiert. Er benützt Achtsamkeit und Psychoanalyse für die Selbstentwicklung. Er arbeitet als Sozialarbeiter mit Geistigbehinderten, hält aber Ausschau nach Möglichkeiten einer Karriere. Sein Weblog kann gefunden werden beiphilosophyautobiography.blogspot.com. Email bei [email protected].


Fakten und
Beurteilungen

Mehr von einer dritten Erwiderung auf Ray Harris

Jeff Meyerhoff

In seiner,,Erwiderung auf Meyerhoff, Teil 2,"zeigt Ray Harris richtig, dass eine Zusammenfassung von Benny Morris' Arbeit, die ich benützte, nicht mehr aktuell war, da sie aus einer früheren Ausgabe von Morris' Buch über die palästinensischen Flüchtlinge stammt. Das ist die Weise des kritischen Kommentars, die nach meiner Einschätzung die Basis für unsere Diskussion sein sollte. Sie kommt ziemlich spät, doch es ist gut, sie zu sehen; ich erkenne jedoch nicht, dass sie Harris' Argument hilft.

Benny Morris mag wohl der bekannteste der israelischen neuen Historiker sein. Seine erschöpfend erforschten Studien über die Ursprünge Israels haben die Modalitäten der wissenschaftlichen Debatte verändert. Was besonders Morris betrifft, ist es jedoch wichtig, zwischen den von ihm angeführten Fakten und seinen ethischen und politischen Beurteilungen jener Fakten zu unterscheiden. Während Harris meine Quelle zu Recht hinterfragt, sollten wir vorsichtig sein, dass wir nicht Fakten und Beurteilungen verbinden. Zuerst die Fakten.

Erinnern wir uns, dass der Streitpunkt darum ging, weshalb die in Palästina lebenden palästinensischen Araber 1947 und 1948 ihre Wohnorte verließen. In welchem Grad wurde ihre Flucht von den Israelis verursacht, eher denn durch die arabischen Führer selbst. In Bezug auf die Gründe für die Flucht der Palästinenser und den Verlust des großen Anteils an ihrem Land während des Krieges von 1948 hatte Harris' behauptet, dass

es ebenso wahr ist zu sagen, dass die arabischen Hardliner mit der Furcht vor dem Zionismus spielten, um im Grunde den nicht-verbündeten Arabern (und Christen) eine Heidenangst einzujagen. Arabischen Dorfbewohnern wurde gesagt, dass die Juden ihre Frauen vergewaltigen und ihre Kinder töten würden. Während des Krieges von 1948 verließen Zehntausende von Arabern ihre Dörfer aus ,,Furcht'' vor einem derartigen Angriff, nicht weil sie ,,tatsächlich'' angegriffen wurden. Diese bildeten die Masse der Flüchtlinge.[1]

Harris hat Recht, dass das Zitat, das ich von einem französischen Journalisten gebracht habe, der Benny Morris' Forschung zusammengefasst hat, die die Flucht der Palästinenser betrifft und der sagte, dass Morris ,,nur sechs Fälle der Abwanderung gefunden hat, die durch die örtlichen arabischen Führer angeregt wurden'', während Harris uns jetzt informiert, dass Morris' neue Untersuchung zeigt, dass ,,viele, die ihre Dörfer verließen, taten das mit der Ermunterung durch die palästinensische Führerschaft selbst.'' Während Harris Recht hat, dass ich aus der revidierten Ausgabe von Morris' Studie The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisited, [Der Ursprung des palästinensischen Flüchtlingsproblems neu aufgelegt] hätte zitieren sollen, wenn ich sogar das getan hätte, hätte es immer noch den Beweis dafür geliefert, dass Harris' obige Behauptung falsch ist.

Vielleicht hat Harris es falsch gesagt, Morris beansprucht jedoch nicht, wie Harris das macht, dass der Exodus der ,,Masse der [palästinensischen] Flüchtlinge'' durch die Schauergeschichten von ,,arabischen Hardlinern'' verursacht wurde; in dem besagten Interview mit Benny Morris, das Harris für seinen Standpunkt benützt, bezieht sich Morris tatsächlich wiederholt auf die jüdische ,,Vertreibung'', ,,den Transfer'' und ,,die ethnische Säuberung'' der Palästinenser. Morris geht sogar so weit, dass er David Ben-Gurion, Israels ersten Premierminister, dafür rügt, dass er nur die meisten der palästinensischen Araber vertrieben hat und nicht alle der palästinensischen Araber. Daher hat Harris Recht, wenn er uns informiert, dass Morris seine Statistiken der ,,Araber, die aus arabischen Gründen weggezogen sind," das unterstützt aber nicht die von Harris vorgetragene Behauptung, der ich dann widersprochen habe.

Zusätzlich schrieb Harris, dass ,,Zehntausende von Arabern flohen aus ihren Dörfern'', Morris jedoch und die meisten Historiker zitieren routinemäßig die Anzahl der Palästinenser, die während dieser Zeit flohen, mit 700.000. Wie konnten denn ,,Zehntausende'' von fliehenden Arabern ,,die Masse der Flüchtlinge bilden'', wenn viele Hunderttausende flohen?

Schließlich hatten jene ,,arabischen Hardliner'' Recht, die, wie Harris sagt, ihren gemäßigteren arabischen Brüdern eine ,,Heidenangst'' einjagten, indem sie sagten, dass ,,die Juden ihre Frauen vergewaltigen und ihre Kinder töten würden'', wie Morris qualvoll dokumentiert. Morris dokumentiert tatsächlich mehr dieser Verbrechen in der revidierten Ausgabe, für die Harris mich rügt, dass ich sie vernachlässigt hätte.

Fakten, Beurteilungen und Vorurteile

Das von Harris zitierte Interview, in dem Morris seine Ansichten erklärt, ist tatsächlich eine überarbeitete Version. Würde der Leser auf das ganze Interview schauen müssen, dann glaube ich nicht, dass es die von Harris erwünschte Wirkung haben würde. [2] Morris moralische Gefühllosigkeit hat eine abschreckende Wirkung, wie er grob feststellt, was den palästinensischen Einheimischen angetan wurde und dass er es dann rechtfertigt, weil das errichtete Land sein Land war, Israel. Andere, die nicht so ethisch gestört sind, würden die Notwendigkeit spüren, etwas moralische Anständigkeit zu bewahren. Auf eine seltsame Weise bestärkt dieses Interview, was ich gesagt habe. Es gab schreckliche Aktionen, die von Einwanderern bei der Vertreibung einer einheimischen Bevölkerung begangen wurden und jetzt da die Nation, die von jenen Einwanderern selbst geschaffen wurde, Gelehrte hervorgebracht hat, die ihre Verbrechen aufgedeckt haben, ist der Rückgriff für diejenigen, die fortfahren müssen, ihre Nation zu rechtfertigen, so wie es Morris macht: ,,Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen. Man muss sich seine Hände schmutzig machen.'' Ich fühle mich bei dieser Art unmoralischer Realpolitik sehr unwohl.

Ich erwähnte einen ,,Dunsthauch von Vorurteil'' bei Harris' überzogenen negativen Verallgemeinerungen des Islam und der Araber, doch bei Benny Morris wird es ein Gestank. Er sagt:

wenn man mit einem Serienmörder fertig werden muss, ist es nicht so wichtig herauszufinden, weshalb er ein Serienmörder geworden ist. Was wichtig ist: den Mörder einzusperren oder ihn hinzurichten.

[Interviewender:] Erklären Sie mal das Bild: Wer ist der Serienmörder in dieser Analogie?

Die Barbaren, die uns das Leben nehmen wollten. Die Menschen, die die palästinensische Gesellschaft ausschickt, um die terroristischen Angriffe auszuführen, und in gewisser Weise ebenso die palästinensische Gesellschaft selbst. Im Augenblick ist jene Gesellschaft im Zustand eines Serienmörders. Es ist eine sehr kranke Gesellschaft. Sie sollte in der Weise behandelt werden, wie wir Individuen behandeln, die Serienmörder sind.''

Und Morris fährt fort:,,Bis die Medizin gefunden ist'' ,,die Palästinenser zu heilen'', ,,muss so etwas wie ein Käfig für sie gebaut werden. Ich weiß, dass das grausam klingt. Doch es gibt keine andere Wahl. Es gibt dort ein wildes Tier, das auf die eine oder andere Weise eingesperrt werden muss.''

Harris hat meinem Vergleich widersprochen zwischen den europäischen jüdischen Siedlern, die die einheimische arabische Bevölkerung vertrieben und den Puritanern aus England, die die einheimische amerikanische Bevölkerung vertrieben, aber Morris vergleicht sie ausdrücklich. ,,Sogar die große amerikanische Demokratie hätte nicht ohne die Vernichtung der Indianer geschaffen werden können. Es gibt Fälle, in denen das übergreifende endgültige Gute brutale und grausame Akte rechtfertigt, die im Lauf der Geschichte begangen wurden.'' Wie Morris anerkennt, haben die Amerikaner Völkermord begangen und die Israelis habennur ,,ethnische Säuberung'' betrieben, beide jedoch sind in seiner moralischen Welt gerechtfertigt. Ist das nicht die typisch grobe Entmenschlichung seines Feindes, die Gewalt verursacht und verewigt?

In Bezug auf das Thema, das anfangs Harris und ich unterteilt haben – ob der palästinensische und arabische Hass auf Israel ursprünglich religiösen Unterschieden oder politischen und ökonomischen Ungerechtigkeiten zugeschrieben werden muss – stimmen der Interviewende und Morris bei jüdischer Schuldhaftigkeit überein.

[Interviewender:] Ich möchte auf meinem Standpunkt beharren: Ein großer Teil der Verantwortung für den Hass der Palästinenser verbleibt bei uns. Immerhin haben Sie uns selbst aufgezeigt, dass die Palästinenser eine historische Katastrophe erlitten haben.

[Morris:] ,,Das ist wahr."

Doch Morris fährt fort, eine sehr enthüllende Analogie zu bilden, die gegen seinen eigenen Standpunkt argumentiert. Zusätzlich zur jüdischen Schuldhaftigkeit an der palästinensischen Katastrophe sagt er ebenso, dass es da etwas mehr gäbe beim Hass der Palästinenser gegenüber den Juden und Israel. Er sagt:

Ich habe die palästinensische Geschichte erforscht. Ich verstehe die Gründe für den Hass sehr gut. Die Palästinenser schlagen nicht nur wegen der gestrigen Schließung zurück, sondern für die Nakba [die Katastrophe von 1948] ebenso. Doch das ist keine ausreichende Erklärung. Die Völker Afrikas wurden von den europäischen Mächten nicht weniger unterdrückt als die Palästinenser von uns, doch nichtsdestoweniger sehe ich keinen afrikanischen Terrorismus in London, Paris oder Brüssel. Die Deutschen töteten weit mehr von uns als wir Palästinenser töteten, doch wir jagen keine Busse in München oder Nürnberg in die Luft. Hier gibt es etwas Anderes, etwas Tieferes, das mit dem Islam und der arabischen Kultur zusammenhängt.

Die Unangemessenheit dieser Analogie ist eklatant. Sie argumentiert tatsächlich für das Gegenteil von Morris' Standpunkt. Die beiden von ihm zitierten Beispiele – von Afrikanern, die von Europäern und von Juden, die von Deutschen unterdrückt wurden – sind mittlerweile gelöst. Die Unterdrückung hat aufgehört, anders als bei den Palästinensern durch die Juden. Deshalb begehen die Unterdrückten in den beiden Beispielen keinen Terrorismus. Die Logik der Analogie lässt vermuten, dass bei einer ebensolchen Lösung der israelisch-palästinensischen Situation der Terrorismus aufhören würde. Und ich habe bereits den internationalen Konsens für eine Lösung der Situation beschrieben und die amerikanische und israelische Zurückweisung von jenem Konsens.

Wie der Interviewende, Avi Shavit, müssen wir zwei Benny Morris' unterscheiden, ,,den Bürger Morris und den Historiker Morris''. ,,Der Historiker Morris'' verschafft die Beweise, aus denen ich meinen kritischen, Mythen zerschmetternden Fall ableite; ,,der Bürger Morris'' akzeptiert die Tatsachen, die ,,der Historiker Morris'' berichtet, er beurteilt jedoch die Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten, die bei der Gründung und Behauptung des Staates Israel begangen wurden, als notwendig und gut.

Harris' Zitieren des ,,Bürgers Morris'' als Beweis für die Gültigkeit seiner Ansichten schafft das aber nicht. Jene politischen Meinungen selbst müssen durch die dokumentarische Aufzeichnung nachgewiesen werden. Ich könnte alle Behauptungen von Morris durchgehen und beschreiben, weshalb ich zustimme und widerspreche, doch ich meine, das Ergebnis wäre dasselbe wie das, über das ich mich in meinem früheren Stück beschwert habe. Behauptungen werden gemacht, ich begegne ihnen mit Zitaten aus der Wissenschaft, und Harris macht noch mehr undokumentierte Behauptungen. Dies ist eine nutzlose Debatte. [3]


REFERENZEN

[1] Harris, Ray, ,,Erwiderung auf Meyerhoff," im Abschnitt mit dem Titel ,,Land und Immigration" at http://www.integralworld.net/harris31.html

[2] Shavit, Ari und Morris, Benny, ,,Das Überleben der Tüchtigsten, ein Interview mit Benny Morris," at http://www.palestineremembered.com/Acre/Articles/Story1117.html

[3] Ich rügte Harris für das Verteidigen überalteter israelischer Mythen und zeigte, dass die Debatte fortgesetzt wurde durch das Zitieren von Teilnehmern an der Debatte, die den Mythen widersprachen, die er immer noch anführte. Als eine Erwiderung sagt er, dass ich in der Vergangenheit gefangen sei, weil ich immer noch Simha Flapan zitiere, der 1987 starb. Man beachte hier den Unterschied. Ich begegne Harris' Behauptungen mit Argumenten, er konzentriert sich auf Personen – Flapan, Chomsky, Finkelstein – wie er es mit seiner Konzentrierung auf ,,kontroverse'' Gelehrte macht. Die Frage ist nicht, wann Flapan das geschrieben hat, es ist die Tatsache, dass seine Erklärungen bestätigt wurden.



© Jeff Meyerhoff 2007