INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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Einige Bemerkungen
über Personalismus

Frank Visser

In seinen neuerlichen Online- und Offline-Schriften hat Wilber seine Aufmerksamkeit von den vier Quadranten auf die drei Personalpronomen, die in den meisten Sprachen üblich sind, gelenkt: Ich, Du und Er/Sie. Er hat oft ausgeführt, dass die Pronomen von den Quadranten abgeleitet werden können (oder tatsächlich den drei Segmenten Ich, Wir und Es, die die vier Quadranten zusammenfassen). Zum Beispiel schrieb er in einer KolumneBeliefnet:

Hier ist ein einfaches Beispiel. Bemerken Sie, dass alle ausgereiften Weltsprachen die Pronomen der ersten, zweiten und dritten Person enthalten. Erste Personbedeutet die Person, die spricht (ich, mich/mir, wir);zweite Person bedeutet die angesprochene Person (du, Sie); und dritte Person bedeutet die Person oder Sache, über die gesprochen wird (er, sie, es). Wenn Sie daher zu mir über Ihr neues Auto sprechen, sind Sie die erste Person, ich bin die zweite Person und das Auto ist die dritte Person.

Diese Pronomen repräsentieren tatsächlichdrei Perspektiven die menschliche Wesen einnehmen können, wenn sie über die Welt sprechen oder versuchen, die Welt zu kennen. Zum Beispiel habe ich meine Erst-Person-Eindrücke von meinem neuen Auto („Es gefällt mir!“) Ich kann Sie fragen, eine zweite Person, was Sie davon halten („Mir gefällt es auch!“). Sie und ich sind nun ein „wir“ (ein Erste-Person-Plural) und wir beide stimmen überein, dass das Auto („es“) großartig ist!

Obschon es offensichtlich unzählige Kombinationnen hier gibt, ist es manchmal nützlich, diese drei Hauptperspektiven als ich/mir/mich, du/wir und er/sie/es – oder einfach „ich“, „wir“ und „es“ zusammenzufassen. Na und? Nun, die Tatsache, dass jede Hauptsprache diese drei Arten von Pronomen enthält, bedeutet, dass wir hier einen Satz von „Meta-Universalien“ haben oder etwas, was wir in allen Hauptkulturen finden.

Viele Kritiker haben jedoch hervorgehoben, dass die Sequenz ich, wir, es(sie) überhaupt nicht der Sequenz ich, du, er/sie entspricht:

  • Zuerst passt die Du-Dimension nicht wirklich in die Wir-Kategorie. Wir, als erste Person Plural, ist nicht dasselbe wie die zweite Person (Singular oder Plural), wie immer Wilber auch argumentiert, dass man das Wir des gegenseitigen Verstehens benötigt, um zwischenpersönlichen Kontakt zwischen Ich und Du überhaupt zu Beginn zu haben.
  • Und zweitens reduziert die dritte Kategorie Es(Sie) problematischerweise die dritte Personen-Kategorie Er/Sie zu Objekten, eine Tatsache, die ebenso von vielen Kritikern hervorgehoben wurde (vergl. Mark Edwards Folgen über die Tiefe der Äußerlichkeitenauf dieser Webseite).

Dieser Essay untersucht frei einige Hypothesen hinter dem Modell der vier Quadranten und den drei in der Sprache üblichen Personalpronomen, die unsere Wahrnehmung formen und unsere Handlungen konditionieren mögen.

Hier, Nah und Fern

Die beiden Modelle haben eine Sache gemeinsam: beide betonen den Unterschied zwischen dem Singular und dem Plural, da gibt es hier nicht viel Uneinigkeit. Im Modell der vier Quadranten repräsentieren die oberen Quadranten den Singular (Ich und Es) und die unteren Quadranten repräsentieren den Plural (Wir und Sie). Im Schema der Personalpronomen repräsentiert die obere Reihe (Ich, Du, Er/Sie) den Singular und die untere Reihe (Wir, Ihr, Sie) repräsentiert den Plural.

  VIER
QUADRANTEN
PERSÖNLICHE
PRONOMEN
SINGULAR
I, It

Ich, Du, Er/Sie
PLURAL
Wir, Ihre

Wir, Ihr, Sie

Wie oben bemerkt, existieren die Hauptunterschiede in der anderen Dimension, die die Singular-/Plural-Dimension komplettiert. Im Modell der vier Quadranten werden die linken und rechten Sektionen als die inneren im Gegensatz zu den äußeren Dimensionen einer bestimmten „Gelegenheit“ definiert (lassen Sie uns aus Gründen der Einfachheit den menschlichen Organismus als Beispiel nehmen). Deshalb ist der obere linke Quadrant angefüllt mit Gedanken, Gefühlen, Stufen und Zuständen, wohingegen der obere rechte Quadrant das Feld der Gehirnprozesse und des beobachtbaren Verhaltens ist.

INNERLICH AUSSERHALB

Ich

Es

Wir

Ihre

Im Schema der Personalpronomen wird eine unterschiedliche Metapher benützt, die derpsychologischen Distanz. Um drei Schlüsselwörter zu benützen, können wir sie definieren als:Hier, Nah und Fern (meine Ausdrücke). Das Ich ist die Person, die wir selbst sind, Hier. Das Du ist eine uns nahe Person, wir können mit ihm/ihr reden (oder näher zum Punkt: er/sie kann uns hören). Das Er/Sie ist eine Person, die in einer Entfernung lebt. Wir sprechen nicht mit ihm/ihr (in diesem Fall: er/sie kann uns nicht mehr hören). Daher ist das Kriterium, das die zweite von der dritten Person unterscheidet, ob die Person innerhalb der Reichweite des gesprochenen Wortes ist:

HIER NAH FERN

ICH

DU Er/Sie

Wir

Ihr Sie

Ein interessanter Unterschied zwischen dem Modell vier Quadranten und den Personalpronomen ist, dass das erstere die Gruppenmentalität zu betonen scheint (Wir sind es -- Ich und Wir -- gegen den Rest der Welt von Ihnen). Das letztere anerkennt dasMenschsein aller einbezogenen Parteien. Und alle drei haben eine äußere und innere Dimension. Sogar wenn Ich zu Dir spreche, aber nicht zu Ihm oder Ihrsind wir alle Personen.

Daher steht „Ich” für mein eigenes Sein, sowohl innerlich (mein Verstand) und äußerlich (mein Körper), „Du“ für Personen, mit denen ich kommunizieren kann (die ebenso einen innerlichen Verstand und einen äußerlichen Körper haben), und „Er/Sie” steht für Personen, mit denen ich nicht kommuniziere, die jedoch ebenso definitiv ihren eigenen innerlichen Verstand und äußerlichen Körper haben. [1]

Personalistische Philosophie

Ich begegnete ähnlichen Gedanken in dem niederländischen BuchDenken als Spel („Denken als Spiel") geschrieben in den Siebzigern von dem niederländischen homo universalis Henri van Praag (1916-1988), einem überaus produktiven Schriftsteller über Themen der Psychologie, Erziehung und Philosophie, sowohl im Osten als auch im Westen und unter anderem auch Mitbegründer der Anne-Frank-Stiftung.

Van Praag war besonders in der frühen deutschen psychologischen Literatur bewandert. Er schrieb eine zehnbändige Reihe über Parapsychologie und eine vierbändige Reihe über Futurismus, von der dieses Buch Teil 3 ist. Er war sowohl ein Mystiker wie auch ein Personalist.

Der Personalismus wurde von dem jüdischen Philosophen und Psychologen William Stern (1871-1938) begründet. Stern war der Erfinder des IQ-Konzepts (das später von Binet benützt wurde). Da er ein Jude war, flüchtete er 1933 in die USA und lehrte bis zu seinem Tod an der Duke-Universität.

Van Praag konnte mit Leichtigkeit von De Saussure, den Upanischaden und Chomsky in einem einzigen Abschnitt zitieren, obwohl seine Schriften skizzenhaft und in einem hastigen und wiederholenden Stil geschrieben waren -- und das ähnelte Wilber in vieler Hinsicht, er schuf sogar seine eigene Universität! (in Luxemburg, eine internationale, man würde jetzt integrale Akademie sagen), und er hatte seine eigene Version von der integralen Mathematik, als er den folgenden Scherz kommentierte:

Einst hielt ein Missionar eine Predigt in der einheimischen Sprache einer Gruppe von Indern und bekannte: „Wir alle haben gesündigt.“ Nach der Predigt sagten seine Zuhörer: „Das war wirklich ehrlich von dir, öffentlich zu bekennen, dass du und deine Freunde gesündigt haben, doch was hat das mit uns zu tun?“

Der Missionar hatte das falsche einheimische Wort für „wir” -- ich und meine Freunde – benützt anstelle der beabsichtigten Bedeutung: ich, meine Freunde und ihr Zuhörer.

Daraufhin kommentierte Van Praag: Ein Computer-Übersetzungs-Programm würde das „Wir” entschlüsseln müssen als: erste Person Singular + (zweite Person Plural + dritte Person Plural). Van Praag bearbeitete die Komplexitäten des Konzepts vom Wir sehr ausführlich. Nach seiner Meinung ist es ein Container-Konzept, das viele unterschiedliche Bedeutungen abdeckt, solche wie „ich und ihr“, „ich und ihr alle“, „ich und wir“, „ich und wir und ihr“, „ich und er“, etc. Wir kann jedoch niemals die zweite Person Du ersetzen oder enthalten, wie es Wilber vorschlägt.[2]

Er war besonders an den Schwierigkeiten der Sprache interessiert, um zu verstehen, wie wir automatische Übersetzungs-Software programmieren können. Er sah das nicht als ein durchführbares Projekt an, solange wir nicht den Computer zuerst über diese grammatischen Raffinessen instruieren.

Allgemeine Spracheigenschaften

In Denken als Spiel untersucht Van Praag die allgemeingültigen Dimensionen von Symbolismus, Logik, Mathematik, Denken und Sprache innerhalb von Kultur und Geschichte. Er begann damit zu bemerken, dass wir zuerst über eine Menge von Sachen übereinstimmen müssen, um eine gute Debatte zu führen: die von uns benützten Ausdrücke, die benützte Logik und die von uns akzeptierten existierenden Tatsachen.

Er sagt uns, dass Sprachphilosophen zwischen den unterschiedlichen Welten, in denen wir leben, auf unterschiedliche Weise unterscheiden. Gemäß Plato, leben wir in der wirklichen Welt und in der Welt der Ideen. Gemäß Kant leben wir in der Welt von Tatsachen, Normen und Erwartungen. Gemäß William Stern hat sich Sprache entwickelt als Artikulation von Urraum (Primordial Space), Nahraum (Near Space) and Fernraum (Far Space). Ein weiterer deutscher Psychologe Karl Bühler erwähnte drei fundamentale Funktionen der Sprache: Ausdruck, Ansprache und Diskussion oder beziehungsweise den Sprecher, den Angesprochenen und das Gesprochene.

Sprache reflektiert diese unterschiedlichen Räume, wie die spanische Sprache deutlich in den Worten zeigt este (dieses), ese (jenes) und aquel (jenes dort drüben). Oder im Französischen: cette chaise-ci und cette chaise-là (dieser Stuhl hier und jener Stuhl dort).

Gemäß Van Praag kann die gleiche dreifache Klassifikation sogar benützt werden, um die unterschiedlichen Sätze zu einer Gruppe zu machen, die in den verschiedenen Sprachen benützt werden:

HIER NAH FERN

NOMINATIV

VOKATIV AKKUSATIV

KONJUNKTIV

IMPERATIV INDIKATIV

Um es abzuschließen: einige Sprachen unterscheiden zwischen männlichen und weiblichen Wörtern. Van Praag argumentiert, dass männliche Wörter zur Hier-Kategorie gehören („der Sprechende”), weibliche Wörter zu der Nah-Kategorie („die Angesprochene”) und sächliche Wörter zu der Fern-Kategorie („das worüber gesprochen wird”). Wenn eine (männliche oder weibliche) Person tot ist, wird sie so betrachtet, dass sie ein Neutrum geworden ist -- ein Es.

HIER NAH FERN

männlich

weiblich sächlich

Daher ist „Entfernung” -- physisch oder psychologisch -- hier die wichtige Variable, von Null (ich) zum erreichbaren (du) zum außerhalb der Reichweite (er/sie).

Nachträglicher Einfall

Als letzter Gedanke dieses Jahres, indem man auf das turbulente Jahr 2006 zurückblickt, fragt man sich, wie viel von Wilbers Verhalten gegenüber seinen Kritikern wohl von dem Modell der vier Quadranten (zusammengefasst durch Ich, Wir und Es) geformt wurde -- daher kann auf alles, was nicht im Ich und im Wir eingeschlossen ist, mit Verachtung herabgeblickt werden[3] -- wo doch eine personalistischere Annäherung uns hätte gelehrt haben sollen, dass zuerst und vor allem wir alle Personen sind, denen Respekt zusteht, sogar wenn wir uns weigern, miteinander zu sprechen -- mit weitgehend unterschiedlichen Meinungen sicherlich, doch schließlich verbunden bei unserer Suche nach Wahrheit.

BEMERKUNGEN

[1] Vergleiche ebenso: Mark Edwards, Eine andere Art es darzustellen: Meine besondere Interpretation von den vier Quadranten, Holons und dergleichen", http://www.integralworld.net/edwards23.html.

[2] In Integrale Spiritualität Wilber führt aus:

“Wir” ist technisch erste Person Plural, wenn Sie und ich aber kommunizieren, dann sind Ihre zweite Person und meine erste Person Teil dieses außergewöhnlichen „Wir“. Deshalb wird die zweite Person manchmal als „du/wir“ angezeigt oder „Sie/wir“ oder manchmal nur „wir“. (p. 19)

Denken Sie daran, dass ein „Wir” im allgemeinen geformt wird, wenn eine erste Person Singular („ich“) zu einer ersten Person Plural („wir“) durch den Einschluss einer zweiten Person („du“) umgewandelt wird. Das heißt ich + du = wir. (Deshalb führt AQAL oft die zweite Person als „du/wir“ auf.) (S.156)

Die oben erwähnte personalistische Analyse offenbart die Oberflächlichkeit von Wilbers Behandlung der Du/Ihr-Dimension. Man fragt sich übrigens ebenso, was sonst sind diese Grübeleien über Personalpronomen anderes als „technisch”?

[3] Es gibt ein Gerücht, dass das erste für das AQAL-Modell ausgewählte Kurzwort FQAL war ("Four Quadrants, All Levels"; „Vier Quadranten, alle Ebenen”), was aber ausgesprochen werden könnte als: Fuck You All...[Ihr könnt mich alle mal…]. Es wurde niemals benützt, doch es vermittelt leider ziemlich gut den Geist von Wilbers Haltung gegenüber seinen Kritikern.