INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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GEDANKEN ÜBER:
„WAS IST INTEGRAL ?“

Frank Visser

Die Webseite Integrales blank zeigt eine Zusammenfassung, genannt „Einführung in die integrale Theorie und Praxis: IOS Basic (grundlegendes integrales Betriebssystem) und die AQAL (Alle Quadranten, alle Ebenen)-Karte“, die allgemein bekannt ist als das „Was ist integral?“-Papier, gemäß dem Namen der Superverbindung, die zu ihm führt.[1] Sie diskutiert die Grundthesen dessen, was als Wilber-4 bekannt geworden ist: Quadranten, Ebenen, Linien, Zustände und Typen. Das integrale Modell bietet die umfassendste Karte menschlicher Erfahrung und Entwicklung an, aus der kollektiven Weisheit und dem kol-lektiven Wissen aus Ost und West zusammengesucht. Wenn man eine Metapher aus der Computerwissenschaft heranzieht, dann kann die integrale Karte oder das integrale Be-triebssystem (IOS) genutzt werden, um sicherzustellen, dass unsere Aktivitäten in Poli-tik, Management, Gesundheit und Spiritualität die vielen Dimensionen der menschlichen Existenz berücksichtigen und dabei werden sie konsequenterweise effektiver und erfolg-reicher sein.

Der Ausdruck „integral“ ist wirklich in Mode gekommen, seit Wilber um 1997 begonnen hat, ihn anzuwenden: The Eye of Spirit hatte den Untertitel „Eine integrale Vision für eine Welt, die leicht verrückt geworden ist“ und sein Vorwort von Jack Crittenden wurde „Was ist integral ?“ genannt. Der Ausdruck ist bedeutungsgleich mit „integrativ, inklusiv, voll-ständig, ausbalanciert“, und bedeutet ausdrücklich, dass die Welten der Wissenschaft und der Spiritualität einbezogen sind, um dazu zu führen, was Wilber als „spirituellen Libera-lismus“ oder „spirituellen Humanismus“ benannt hat. In der Praxis ist er angewandt wor-den, um integrative Modelle sowohl innerhalb als auch zwischen den unterschiedlichen Feldern der Wissenschaft zu verschaffen.

In diesem Papier würde ich gern einen laufenden Kommentar anbieten über dieses zu-kunftsträchtige Wilber-4 – Dokument aus einer Perspektive der immerwährenden Philo-sophie, und dabei mich größtenteils auf Wilbers Ansicht von den Bewusstseinszuständen beziehen. Das ist der Teil seines Systems, der ihn mit der immerwährenden Philosophie verbindet, wie sie von Wilbers „post-metaphysischem“ Ansatz rekonstruiert wurde. In einem unveröffentlichen Papier (Seitenanmerkung I) hat er sogar festgestellt:

„ Wenn wir am IC [Integralen Zentrum] uns auf die „immerwährende Philosophie“ beziehen und ich-ren „universellen“ Glauben an Körper, Geist, Seele und GEIST, meinen wir nicht vorgege-bene Ebenen, sondern bloß die drei (oder vier) natürlichen Zustände von Wachen, Träu-men, Schlafen und Nonduales – die tatsächlich universal sind und die jedem menschli-chen Wesen einen angeborenen Zugang zu den grobstofflichen, subtilen, kausalen und nichtdualen Reichen geben: nicht darüber sondern innerhalb und nicht als feste Ebenen und Stufen, sondern als Räume von möglicher Erfahrung, die schon in den Zuständen wie Wachen, Träumen und Schlafen aufgedeckt sind.“ [2]

Dann erfahren wir die Geistwelt, im traumlosen Schlaf berühren wir die Seelen„welt“ und im nondualen Zustand ist der GEIST in allem offenbart. „Welt“ wird hier von Wilber in ei-ner phänomenologischen, metaphorischen Weise gemeint, nicht in irgend einem ontologi-schen, wörtlichen Sinn.

Wie ich schon vorher festgestellt habe, gibt der Metaphernwechsel, den wir auf Wilbers Vorschlag durchführen sollten, wenn wir versuchen, die innere Dimension zu verstehen – „nicht darüber sondern innerhalb“ – einen psychologischen und modernen Geschmack an die ansonsten metaphysischen Begriffe von Geist, Seele und GEIST ab, die sie dem Ge-schmack der Moderne und Postmoderne annehmbarer macht, die aber die Tatsache ver-dunkelt, dass das Mysterium der Innerlichkeit oder der bewussten Erfahrung nicht löste. [3] Die „innere“ Welt ist gewiss nicht etwas, was „innerhalb“ unseres Schädels gefunden werden kann, wie jeder Gehirnchirurg es bestätigen kann, und deutet auf eine transzen-dente Dimension hin, im rechten Winkel zu der Welt der Flachland-Wissenschaft. Unsere innere Welt IST die höhere Welt, gemäß der immerwährenden Philosophie, oder zumin-dest unser nächster Zugang zu ihr. Sogar eine psychologisierte immerwährende Philoso-phie muss sich mit diesem Mysterium auf eine philosophische oder metaphysische Weise einigen. Was ist diese innere Dimension ? Deutet sie auf etwas hin, das die Vorfahren als eine höhere oder tiefere Wirklichkeit empfanden ? Sogar wenn die Psychologie ihre Arbeit ohne diese metaphysischen Fragen tun kann, die Philosophie kann es nicht, besonders wenn sie sich selbst integral oder „kosmisch“ nennt.

Auf der Seitenbemerkung I fuhr Wilber fort:

„Weil menschliche Wesen überall wachen, träumen und schlafen, sagen wir manchmal, dass menschliche Wesen überall Zugang zur immerwährenden Philosophie haben und ihrem Glauben an grobstoffliche Körper, subtilen Geist, kausale Seele und nondualen GEIST – jedoch nur in diesem extrem eingeschränkten Sinn von Zugang zu den natür-lichen Zuständen von Wachen, Träumen, Schlafen und Nondualem (eine strenge Be-schränkung, die die tatsächlich nicht Teil von irgend einer immerwährenden Philosophie wo auch immer ist.)“[4]

In der Tat kann diese „leichte“ Version der immerwährenden Philosophie eine immanen-te, psychologisierte Sicht der immerwährenden Philosophie genannt werden, wo alles, was über die immerwährenden Traditionen gesprochen wird, durch eine psychologische Linse gesehen wird. Sie beschränkt sich darauf, was hier und jetzt erfahren werden kann, in dieser Welt, von lebenden menschlichen Wesen, hinweg mit ihrer Immanenz – sie betritt nicht die transzendenten Wirklichkeiten wie die Geistwelt oder die Seelenwelt – die sehr wohl Teil der immerwährenden Philosophie sind. Sie belächelt sogar die Idee von höheren Wesen, die in höheren Welten leben[5].

Nach der Diskussion von Ebenen, Linien und Typen, die weniger problemtisch für moder-ne Menschen sind, kommt Wilber wieder zum Thema der Zustände zurück, indem er die Idee bringt, dass „jeder Geist seinen Körper hat“:

„Für jeden Bewusstseinszustand gibt es einen gefühlten energetischen Bestandteil, ein verkörpertes Gefühl, ein konkretes Fahrzeug, das die aktuelle Unterstützung für jeden Bewusstseinszustand verschafft.“[6]

Um die Idee der subtilen Körper für den modernen Geschmack annehmbar zu machen, fügt er hinzu:

„Für die Weisheitstraditionen bedeutet ein „Körper“ bloß ein Modus der Erfahrung oder ein energetisches Gefühl. Daher gibt es rauhe oder grobe Erfahrung, subtile oder verfei-nerte Erfahrung und sehr subtile oder kausale Erfahrung. Diese sind, was Philosophen „phänomenologische Realitäten“ nennen würden oder Wirklichkeiten, wie sie sich selbst unserem unmittelbaren Gewahrsein präsentieren.“[7]

Und das ist wiederum eine ziemlich psychologistische Interpretation vom Denken der im-merwährenden Philosophie. Feinstoffliche Körper werden tatsächlich von der Tradition als „Vehikel des Bewusstseins“ angesehen, die es uns ermöglichen, unser Bewusstsein in hö-heren Welten auszudrücken, so wie es unsere physischen Körper in der physischen Welt tun. Darüber hinaus haben hellseherische oder psychische Forschungen die objektive Na-tur dieser Körper aufgedeckt, so dass sie beschrieben werden können, wie sie solche Ei-genchaften wie Form und Farbe haben.[8] Typischerweise kann ein(e) Hellsichtige(r) nicht seine oder ihre eigenen feinstofflichen Körper sehen – sie sehen nur die feinstoff-lichen Körper von anderen Menschen als deren Aura. Diese Erfahrungen sind demnach nicht „phänomenologisch“, wie es unsere Gedanken und Träume sind. Wenn wir träumen, einen feinstofflichen Körper zu haben, dann ist das nicht dasselben, als hätten wir wirk-lich einen.

Ein gefühlter Körper ist nicht ein beobachteter Körper; sie gehören ganz und gar zwei unterschiedlichen Quadranten an.

Wenn wir uns nun dem Thema der Quadranten selbst zuwenden, dann führt Wilber die-ses Thema ein, indem er auf die Universalität der Erfahrungen der ersten Person hin-weist (ich, mich, mein, wir, uns, unser), der zweiten Person (du und deine) und der drit-ten Person (er, ihn, sie, ihr,sie, es und seine). In Kurzform fasst er diese oft so zusam-men: ich, wir und es. Wenn man die Es-Dimension in Singular und Plural aufteilt, dann erscheinen die vier Quadranten.

Ich habe eine frühere Version der Idee von den vier Quadranten in Schumachers „Ein Führer für die Verwunderten“, (ein Buch, das von Wilber bei vielen Gelegenheiten als „die beste kurze Einführung“ zum Großen Nest des Seins empfohlen wird [9]), wo er von den „Vier Feldern des Wissens“ spricht (etwa die Hälfte dieses kleinen Buches ist diesem The-ma gewidmet, Schumacher widmet jedem von ihnen ein komplettes Kapitel). Er erörtert wie folgt:

  1. Wie fühle ich mich ?
  2. Wie fühlst du dich ?
  3. Wie sehe ich aus ?
  4. Wie siehst du aus ?

Dies kommt dem sehr nahe, was Wilber als die vier Quadranten vorschlägt:

  1. Oberer linker
  2. Untere linker
  3. Oberer rechter
  4. Unterer linker

Beachten Sie, dass es eine kleine Differenz bei Nr. 3 gibt: Für Schumacher bedeutet es Ihren eigenen äußeren Aspekt; für Wilber ist es der äußere Aspekt von jemand anderem (er, sie, es).

Schumacher beobachtet sehr schlicht:

„Der erste Punkt, den man zu diesen Vier Feldern des Wissens machen kann, ist, dass wir nur zu zweien von ihnen direkten Zugang haben – Feld 1 und Feld 4. Das heißt, ich kann direkt fühlen, wie ich mich fühle, und ich kann direkt sehen, wie du aussiehst, doch wie es sich anfühlt, du zu sein, das kann ich nicht direkt wissen; und wie ich in deinen Augen aussehe, kann ich auch nicht wissen.“[10]

Ich persönlich finde Schumachers Herleitung der vier Quadranten von jeder Erfahrung grafischer als die von Wilber. Er verdient gewiss Anerkennung für das Hindeuten auf die-se vier Dimensionen der Existenz (Schumachers Buch kam 1977 heraus, im selben Jahr wie Wilbers Spektrum des Bewusstseins, jedoch lange bevor Sex, Ecology, Spirituality 1995 veröffentlicht wurde).

Wilber versucht, die Idee der immerwährenden Philosophie von den subtilen Körpern den modernen Menschen annehmbarer zu machen, indem er darauf hinweist, dass diese als „phänomenologische Realitäten“ verstanden werden können, wie es vorher erwähnt wur-de. Indem er diese Idee mit den vier Quadranten verbindet, lokalisiert er diese gefühlten Körper/Energien ziemlich befremdend in dem oberen rechten Quadranten:

„Im oberen rechten dehnt sich die körperliche Energie phänomenologisch vom Grobstoff-lichen zum Subtilen zum Kausalen aus.“ [11]

Phänomenologische Realitäten gehören jedoch gewiss zum oberen linken Quadranten, denn sie sind gefühlte Realitäten, „ subtile...und sehr subtile Erfahrungen.“ Zum oberen rechten Quadranten gehören die subtilen Körper, wie sie von anderen von außen gese-hen werden.

Wenn man sich mehr auf diesen oberen rechten Quadranten konzentriert, dann scheint es, dass der eine weitere Klärung benötigt. Normalerweise lokalisiert Wilber das Gehirn und die Neurologie in diesem Quadranten – die Es-Dimension – obgleich er das oft aus-weitet, um Verhalten einzubeziehen. Bei seltenen Gelegenheiten fügt er die subtile Ener-gie diesem Quadranten hinzu [12], und in dem aktuellen Papier haben wir „gefühlte Energien“. Dies lässt bei einem einzigen Quadranten gewiss viele Fragen offen!

Trotzdem hängt alles davon ab, wie wir diesen oberen rechten Quadranten definieren. Wenn er damit beschäftigt ist, was wir mit unseren physischen Sinnen von anderen Men-schen sehen können, dann sollte er mit Materie allein gefüllt werden (wie Gehirnprozes-se). Wenn wir ihn jedoch dadurch definieren, was wir beim Handeln anderer Menschen beobachten können, dann sollte Verhalten einbezogen werden – was sicherlich nicht eine eindimensionale Flachland-Sache ist, wie Mark Edwards etliche Male argumentiert hat [13]. Wenn wir weiterhin unseren Gesichtskreis erweitern auf das, was Mediale von an-deren Menschen sehen können (wie ihre subtilen Körper oder Auren), dann schließt er angemessenerweise diese subtilen Körper mit ein. Doch es sieht nicht so aus, als sei er gut geeignet, „phänomenologische Realitäten“ zu unterstützen.

Huston Smith beschreibt die wichtige Unterscheidung zwischen Tradition und Moderne als ontologisch [14]. Die traditionelle Hierarchie der Existenz schließt die Ebenen von Selbst und Welt, Wissen und Sein mit ein, was eine Symmetrie von der niedersten zur höchsten Ebene bewahrt. Z.B. besitzen wir menschlichen Wesen nicht nur einen Geist, sondern dieser Geist gehört einer Geistwelt an (und existiert tatsächlich in ihr). Wilber hat die Idee von Ebenen des Selbst übernommen (doch hat er sie als Ebenen der Komplexität neu interpretiert) und er hat, ontologisch verstanden, in seiner aktuellen „post-metaphy-sischen“ Phase (Wilber-5) die Idee von den Ebenen der Realität zurückgewiesen. Seit die Psychologie selbst post-metaphysisch geworden ist, hat sie die Philosphie zurückgelas-sen, integrale Philosophie, die beansprucht, eine Philosophie des Kosmos zu sein, kann es sich nicht leisten, diese grundlegenden ontologischen Themen zu vermeiden. Als solche werden sie in den fünf in dem Katalog Wilber-4 aufgezählten Elementen nicht dargestellt: Zustände, Ebenen, Linien, Typen und Quadranten.

ANMERKUNGEN

[1] http://www.integralnaked.org/ (members only)

[2] Sidebar I: Kosmic Karma: The Inheritence of the Past, p. 40 of manuscript.

[3] Frank Visser, Reflections on “Subtle Energy”, under “A Mere Change of Metaphor”.

[4] Sidebar I: Kosmic Karma: The Inheritence of the Past, p. 40 of manuscript.

[5] Wilber neigt dazu, Ausdrücke wie „Dampfwelten“ zu benützen, wenn er sich auf die transzendenteren Aspekte der immerwährenden Philosophie bezieht, doch nach meiner Meinung kann eine wahrhaft kosmische Sicht der Realität es nicht vermeiden, diese höheren Realitäten zu bedenken.

[6] What is Integral?, p. 20.

[7] What is Integral?, p. 20.

[8] C.W. Leadbeater, Man: Visible and Invisible, 1902.

[9] Integral Psychology, p. 5.

[10] E.F. Schumacher, A Guide to the Perplexed, p. 63

[11] What is Integral?, p. 29.

[12] Towards a Comprehensive Theory of Subtle Energies, Excerpt G.

[13] Mark Edwards, The Depth of the Exteriors, part I, II, III.

[14] Huston Smith, Forgotten Truth: The Primordial Tradition, p. 3.