INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
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Die Dekonstruktion des Welthandelszentrums

Ein Datum, das in einer
gleitenden Kette von Signifikanten leben wird

[Lesen Sie bitte vorher "Einführung zur Dekonstruktion des Welthandelszentrums", auf der gleichen Webseite oder vieles, was folgt, wird keinen Sinn machen. Danke, KW.]

     

Zwei Wochen nach der Erweckung im Club Passim (bekannter alkoholfreier Folk-Club in Cambridge, MA; A.d.Ü.) haben Terroristen, die mit Usama bin Laden verbündet sind, vier amerikanische Verkehrsflugzeuge entführt und haben sie in einer Selbstmordaktion in das Welthandelszentrum und das Pentagon krachen lassen, dabei töteten sie Tausende von Zivilisten und schockierten die Welt. Auf Grund der modernen globalen Kommunikationsfähigkeiten und der alarmierenden Heftigkeit des Aktes hat niemals in der Geschichte ein Ereignis ein kollektives weltweites Bewusstwerden von solchem Ausmaß hervorgerufen. Von Manhattan bis Mozambique, von Indonesien bis Istanbul, von Lissabon bis zum Libanon, von Kenia bis Kiew waren 4 Milliarden Menschen vereint, wenn nicht in ihrer tatächlichen Meinung über diesen Akt, so doch in ihrem absoluten Schock. „Unglaublich, unglaublich, unglaublich!" stammelte ein verwirrter Yassar Arafat und sprach für die Welt.

     Auf eine mysteriöse Weise, die ich nicht erklären könnte, war ich sofort bei meinen Lehrern am Integralen Zentrum, als sie einige Tage nach dem Ereignis beim Mittagessen waren. Mark, Charles, Lesa, Carla, Derek, Margaret und die liebste Joan.

      Ich war gerade einundzwanzig geworden; die Nachklänge der eigenartigen Ereignisse im Club Passim hallten immer noch durch eine erschütterte Seele wider, die sich noch nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern konnte, die Daten und Bestimmungen der Alltagswirklichkeit waren meinem Gewahrsein allesamt entflohen, als Zeit und Raum ihre Dichte verloren und neigten dazu, sich zu verflüchtigen, wenn ich nicht sorgfältig achtgab. Und dennoch war ich unauslöschlich hier, mit Menschen, die über meinen Tod gewacht und mich wunderbarerweise zu einem Leben zurückgebracht hatten, das jenseits von Tod und Leben war. Dieser Zwanziger verdankte jenen Fünfzigern mehr als jemals ausgedrückt werden kann; bedeutungsvolle Worte entschwanden meinem Verständnis und fluteten in die kosmische Leere, in das Reich einer Dunkelheit, die eine ansprechende Offenbarung werden sollte.

Teil I: Ein Spektrum des Bewusstseins

„Ein paar Augenblicke der Stille, wenn wir es können," sagte Charles Morin. Die Luft war still mit einer Fülle, die nicht von dieser Welt war.

      „Die Frage ist natürlich hochgekommen: Sollte das Integrale Zentrum eine Art Stellungnahme in der Folge dieser fürchterlichen Tragödie abgeben ?", fragte Morin schließlich nach einigen Minuten einer unendlichen Stille. „Ich muss zugeben, dass ich darüber geteilter Meinung bin. Auf der einen Seite scheint die Antwort einfach zu sein: Da spielt sich eine Niederträchtigkeit ab. Auf der anderen Seite, wie ihr alle wisst, ist es viel, viel komplexer als das. Während deshalb eine Stellungnahme als zwingend erscheint, zögere ich sehr damit."

      „Ich bin überrascht", sagte Margaret Carlton, „über das Ausmaß, in dem die Welt – mehr oder weniger buchstäblich die gesamte Welt – auf diese Tragödie geantwortet hat. Ich muss zugeben, das ist sehr, sehr bewegend. Zuerst gehen natürlich eure Gebete an die Getöteten, und eure Herzen weinen für ihre Familien und Freunde. Oh, diese Traurigkeit, diese unaussprechliche Traurigkeit." Die durchscheinend, zerbrechlich, wie Porzellan wirkende Margaret Carlton blickte in diesem Augenblick wie eine dieser schönen Figuren der Heiligen Maria oder vielleicht von Kwan Yin (chines.Göttin der Barmherzigkeit; A.d.Ü.). Lesa schaute sie mit einer Zärtlichkeit an, wie Worte – jedenfalls meine Worte – sie gar nicht ausdrücken können.

      „Doch ich neige dazu, Charles zuzustimmen," fuhr sie fort. „Die aktuelle Situation ist so ausgesprochen komplex, dass eine kurze Stellungnahme überflüssig wäre. Die meisten Stellungnahmen, die ich gesehen habe"—Carltons Entschlossenheit ersetzte eine gewisse Weichheit –„sind alle, sagen wir mal, von einem Ein-Meme-Gefühl. Schwer vorstellbar, dabei zu bleiben, ohne irgend jemanden anzugreifen."

   „Ja, das ist ein Teil der Schwierigkeit", begann Derek Van Cleef, und man konnte fast seine intensive Schärfe spüren, die die Situation verätzte. Van Cleef war wie ein Hofnarr bei PCP: Er sah immer den Schatten, doch er drückte ihn immer durch seinen eigenen Zorn aus. „Die Menschen in diesem Land, die so emotional auf dieses Ereignis reagieren, sind nicht wirklich über den Verlust von menschlichem Leben erregt, oder sogar amerikanischem Leben. Schließlich werden jedes Jahr 50.000 Amerikaner in Verkehrsunfällen getötet, und ich sehe keinen dieser Menschen an den Straßenecken mit Schildern stehen, die sagen: ‚Stoppt das Blutbad!` Oder sogar noch schlimmer: die gleiche Anzahl an Menschen – 50.000 von ihnen, meistens Kinder – sterben jeden Tag auf der Welt durch Verhungern, und wo sind die weinenden Protestierer ? Sie sind nicht über menschliches Leben besorgt; nein, sie reagieren, weil ihr besonderer Wertekanon angegriffen und zutiefst bedroht wurde, und ihre Antworten hängen von dem Wertesystem ab, dem sie am stärksten anhängen: die Roten sehen eine Sache, die Blauen eine andere, die Orangen eine andere, die Grünen wieder eine andere. Doch als diese Flugzeuge in die Seite des WTC einbrachen, sind sie tatsächlich in die verschiedenen Glaubens- und Wertesysteme eingebrochen: die Terroristen haben nicht nur menschliches Leben bedroht, sondern die Wertvorstellung, mit der man sich am meisten identifiziert."

    „Nun, Derek, das ist sehr kalt ausgedrückt – und wer hätte das von dir gedacht ?" scherzte Jefferson. Alle lachten, mehr oder weniger herzlich, über Van Cleefs natürlichen Mangel an, sagen wir, Wärme; ich hätte beinahe „Blut" gesagt.

     „Doch ja, ich würde generell damit übereinstimmen", fuhr Jefferson fort. „Warum führst du es nicht etwas mehr aus ? Warum gibst du uns nicht einen schnellen Überblick darüber, wie jede Bewusstseinsebene oder jedes Meme im allgemeinen auf die Terrorattacke reagieren würde ?"

Rot: Wut und Rache

      Van Cleef legte seine Gabel hin und sprach bedachtsam. „Okay, ich werde jetzt gleich die verschiedenen Typen von Antworten auf die Attacke aufzählen – ich spreche NICHT über die verschiedenen Ursachen der Attacke, wie die Schuld entschieden und verteilt werden sollte usw. Ohne zu unterstellen, dass irgendeine dieser Antworten richtig oder falsch ist, ist völlig klar, dass jedes Meme, jede Stufe oder Welle des Bewusstseins verschieden darauf reagiert, wenn sie in dieser Weise angegriffen wird.

     „Ich fange mit Rot an, das am leichtesten zu verstehen ist. Hier kommt ein vorgetäuschter Dialog"—begann Van Cleef vergnügt lachend.

„Reporter: Herr Rot, ich frage mich, was Sie von der terroristischen Attacke auf das Welthandelszentrum und das Pentagon halten ?

 Rot: Aus dem Weg, Kleiner. Ich will mir was zu essen reinziehen. Gib mir was.   

 Reporter: Es dauert nicht lange.

 Rot: Heh, schluck.  

 Reporter: Die Attacke. Auf das Welthandelszentrum.

 Rot: Mach sie alle, sage ich.

 Reporter: Mach sie alle ? Wollen Sie das etwas näher ausführen, mein Herr ?

 Rot: Ähm. Mach sie knallhart alle.

 Reporter: Mach sie knallhart alle ? Gut, gut. Sagen Sie mir, weshalb haben sie es getan, was meinen Sie ? Die Terroristen ?

 Rot: Häh, was ?

 Reporter: Was meinen Sie, weshalb sie es getan haben ?

 Rot: Verdammte Wichser, kommunistische Mistkerle. Mach sie wirklich knallhart alle. Legen sich mit uns an, wir werden denen ihre verdammten Handtuchköpfe abreißen, stecken sie auf Spieße, das werden wir machen. Gib mir schon was zu essen.

 Reporter: Tatsächlich sind sie religiöse Fanatiker, mein Herr, keine Kommunisten. Das wussten Sie doch wohl ?

Rot (packt den Reporter am Kragen und hebt ihn vom Boden hoch): Was war das denn ? Soll ich vielleicht deinen Kopf in den Schwitzkasten nehmen und dir deine Augen aus den Höhlen quetschen. Was sagst du dazu, Herr Klugscheißer von Reporter ?

 Reporter: Kommunistische Mistkerle, mach sie knallhart alle, das sage ich !

   

Alle lächelten Van Cleef zu. „Ich übertreibe natürlich. Tatsächlich ist das gesunde Rot der Motor für soviel Veränderung. Es ist der Hinderniswegräumer par excellence; es lehnt Grenzen ab, zerschmettert Hindernisse. Es ist genau so: wenn Rot ein fantastischer Diener ist, ist es ein schrecklicher Herr. Es ist eine Sache, Rot zu deinen Diensten zu haben, und es ist eine andere Sache, nur Rot als dein Schwerkraftzentrum zu haben. Es ist auch eine andere Sache, Rot als eine verborgene Schwachstelle zu haben – wie es bei Boomeritis der Fall ist, zum Beispiel – wenn es dein Auto ohne dein Wissen antreibt, wenn es jede konventionelle Grenze in Sichtweite abbaut, wenn es deine Philosophie als Geisel nimmt, um seine egozentrischen Weisen zu unterstützen.

     „Doch die grundlegende rote Antwort ist tatsächlich Wut und Rache. Der Angriff der Terroristen wird, bewusst oder unbewusst, als eine Attacke gesehen – NICHT auf die Menschheit, nicht auf die Zivilisation, nicht auf mein Land oder meinen Gott, sondern als eine Attacke gegen MICH – und ich werde damit antworten, dass ich dir den Schädel einschlage. Mehr oder weniger." Van Cleef lachte weiter in sich hinein, dieses Mal jedoch in einer anscheinend echt gutmütigen Weise.

Blau: Gut gegen Böse

    „Wenn wir zu Blau gehen, beginnt eine verstandesmäßig komplexere Struktur, abgewogene Gründe für seine Handlungen zu geben; doch da es unfähig ist, Zugang zu den Nuancen multipler Perspektiven zu bekommen, siedelt es sich in autoritären und dogmatischen Absolutheiten an: Ich habe das Gute auf meiner Seite und deshalb ist die Attacke ein Fall des Bösen, klar und einfach. Allgemein gesprochen behauptet diese Welle, dass wir Amerikaner gute, anständige, freiheitsliebende, gottesfürchtige und Fairness liebende Menschen sind, und die Terroristen sind grundsätzlich satanisch, dämonisch, untermenschlich, böse. Wir haben Recht, sie haben Unrecht, und das ist es. Dies ist ein glatter Fall von Gut gegen Böse. Deshalb ist man für uns oder gegen uns auf diesem Kreuzzug, um die Welt von der Dunkelheit zu befreien. Wir müssen zusammenhalten auf die eine wahre Weise, um das zu sehen – vereint stehen wir, getrennt fallen wir – verbunden durch unseren Glauben, dass Amerika das großartigste Land auf der Erde ist und wir Gottes Kinder sind, und wir werden deshalb die Verantwortlichen zur Strecke bringen und sie töten, äh, ich meine, sie vor Gericht bringen." Van Cleef schaute hoch und lächelte mild, „So endet die Lesung aus der Schrift für heute." Er zwinkerte, jedoch auf eine noch freundliche Weise. „Nun, ihr wisst, was ich meine. Die gewöhnliche blaue-Meme-Antwort schließt die von William Bennett, Billy Graham und der meisten exoterischen religiösen Führer, hier und auswärts, vieler Konservativer und der Republikaner ein. Der Papst hielt eine unvorhergesehene päpstliche Audienz ab und sagte den Amerikanern, dass ‚das Böse nicht das letzte Wort haben wird'. Man sieht, dass Gott auf unserer Seite ist, nicht auf ihrer."

    Hazelton schaute leicht irritiert – was sie immer in Van Cleefs Nähe tat – und sprach: „Alles, was du sagst, ist wahr, Derek, doch ich muss euch sagen, ihr lieben Seelen, wie überrascht ich war, eine ganze Menge von Blau in mir widerhallen zu finden." Joan lächelte sanft. „Mir ging es sehr nah, als ich sah, dass Amerikaner Amerikaner lieben. Dann bin ich wirklich fast erstickt beim Lesen der Kondolenzen aus aller Welt. Eine Woche vorher war Amerika der einzige böse Bube in der ganzen Welt: wir waren entweder Kulturchauvinisten, die überall die lokalen Werte ruinierten, oder wir waren der Große Satan, oder wir waren der abgeschmackte globale Kapitalismus, der überall die Freiheit zerschmetterte – wir wurden für rassistische, imperialistische, dominierende Schweine gehalten." Sie begann zu lachen. „Ich sage nicht, dass da nicht etwas Wahrheit in diesen Anklagen ist, doch dass es von nun an unmöglich sein wird zu denken, dass Amerika einfach bloß der einzige böse Bube ist. Yassar Arafat, um Gottes willen, hat sein Blut gespendet, um ‚Solidarität mit Amerika' zu zeigen. Der Europakommissar Romano Prodi erklärte: 'In den dunkelsten Stunden der europäischen Geschichte stand Amerika dicht bei uns. Heute stehen wir bei Amerika."

     Plötzlich kamen Tränen in Joans Augen. Sie lächelte und wischte sie weg. „Seht ihr, was ich meine ? Doch es geht immer weiter. Frankreich, kein ausgesprochener Freund von uns, setzte französische Piloten in Mirage-Jets, bereit uns zu helfen; der französische Premierminister sagte: ‚Im Lichte des Geschehens fühlen wir uns wie ein Waisenkind' – das heißt, sogar Frankreich fühlt sich ohne Amerika wie ein Waisenkind. Russland überließ uns sein Nachrichtennetzwerk, um zu helfen. Britannien hatte einen Trauertag, und die Menschen sangen die amerikanische Hymne; weiße Lilien wurden an dem Zaun der amerikanischen Botschaft am Grosvenor Square befestigt. Wusstest ihr, dass tatsächlich die Königin – die Königin, um Himmels willen – Frau Warmherzigkeit – zum ersten Mal in der Geschichte die Nationalhymne eines anderen Landes in der Öffentlichkeit sang, und sie hatte sogar Tränen in den Augen ! In Kiew legten Menschen Blumen vor unsere Botschaft, eine Inschrift besagte: ‚Ganz Kiew ist gegen Terrorismus'. In Ländern rund um die Welt wehten Fahnen auf Halbmast. Ein kanadischer Leitartikel, vor Jahren geschrieben, wurde herausgekramt, neu aufgesetzt und weit verbreitet: ‚Als Kanadier denke ich, dass es an der Zeit ist, die Amerikaner als die großzügigsten und möglicherweise am wenigsten geschätzten Menschen auf der ganzen Erde zu bezeichnen. Ich kann 5000 Male nennen, wie Amerikaner herbeieilten, um anderen Menschen in Not zu helfen. Können Sie mir auch nur ein Mal nennen, dass irgendein anderer herbeieilte, um Amerikanern in Not zu helfen ? Unsere amerikanischen Nachbarn haben es allein durchgestanden, und ich bin ein Kanadier, der verdammt sauer darüber ist zu hören, dass sie herumgeschubst werden. Halte den Kopf hoch, Amerika !'" Sie blickte auf, immer noch mit Tränen in den Augen. „Ich frage euch, kommt das bei euch nicht an ?"

     „Natürlich, meine Liebe, natürlich," sagte Lesa. Alle nickten mit Sympathie. Ich schaute zu Van Cleef, dessen Ausdruck andererseits zu sagen schien: „Oh, leck mich, du Schlappschwanz," doch das war wahrscheinlich nur meine Vorstellung.

      „Seht mal," sagte Van Cleef schließlich, „die Sache ist doch so, wenn man Glück hat und eine Art von Zweitrang- -- geschweige denn Drittrang-Gewahrsein hat, kann und sollte man mit allen diesen Werteakkorden mitklingen, Blau eingeschlossen. Die Frage ist nun, ob man sich ausschließlich mit einem einzigen Erstrang-Meme und seiner Antwort identifiziert oder ob man das Spektrum umspannt. Und Joan, dich kenne ich. Du bist Türkis bis auf die Knochen. Teufel auch, Lesa denkt, du seist Koralle oder sogar eine Farbe, die wir noch gar nicht erfunden haben."

     „Nun, dieser Knochen ist gerade jetzt ein bisschen blau!" lachte sie.

   „Also, Derek, warum machst du mit deinem memetischen Durchlauf nicht weiter ?"

    „Gut, gut. Ja also, Blau – das liebe Blau im Rot-Weiß-Blau, ist ethnisches Zusammenhalten, aber nicht doch, da ist nichts falsch dabei. Es ist wunderbar, solange es nur ein Akkord in einer Sinfonie des vollen Spektrums ist, ja ?"

Orange: Ein Angriff auf die Zivilisation

    „Lasst uns jetzt kurz auf Orange schauen, oder was wir die Ayn Rand Antwort nennen könnten (Ayn Rand, 1905-1982, Begründerin des Objektivismus; A.d.Ü.): diese Bewusstseinswelle sieht die Attacke nicht als einen Angriff auf ein bestimmtes Volk, eine Nation oder Gottheit -- jene sind alle ethnozentrisch – sondern eher als eine weltzentrische Attacke auf Freiheit, Privilegien und Gerechtigkeit. Ganz zu schweigen von einem Angriff auf den Kapitalismus des freien Marktes, d i e positive Kraft in der heutigen Welt ! Orange würde sehr schnell darauf hindeuten, dass die Terroristen nicht eine Kirche oder sogar den Kongress angriffen: sie wählten den Wall Street Bezirk und das Welthandelszentrum aus. Dies würde mit anderen Worten von Orange nicht bloß als ein Angriff auf die Zivilisation selbst gesehen, ohne Bezug auf besondere Länder oder Gottheiten."

   „Beachtet, dass die orange Antwort, gemäß einer weiteren Steigerung in kognitiver Komplexität und Raffinesse, bereits von ethnozentrisch (oder mythischer Mitgliedschaft) zu weltzentrisch (oder universeller Formel) weitergegangen ist, in dem Sinne, dass es sich nicht auf ein bestimmtes Volk, eine Nation, Rasse, Gruppe oder Kultur bezieht. Es ist im folgenden Sinn postkonventionell: Der Angriff wird als eine Attacke auf Werte gesehen, die Menschen überall umfassen könnten, unabhängig von Religion, Rasse, Geschlecht oder Bekenntnis. Nicht jeder kann Amerikaner sein; doch jeder kann Geld verdienen, ein Kapitalist sein, nach diesem Typ von Freiheit streben, diesen Typ von Privilegien wertschätzen – und deshalb war dies ein Angriff nicht auf Amerika, sondern auf die Zivilisation. Wieder sage ich nicht, dass irgendetwas davon entweder richtig oder falsch ist; ich beschreibe nur einige übliche Weisen, wie die unterschiedlichen Wellen des Bewusstseins diesen terroristischen Angriff bewerten."

     „David Kelley, der Geschäftsführer des Objektivistischen Zentrums, gibt eine klassische und sehr gelehrte Antwort des orangen Memes: ‚In seltener Einigkeit haben Amerikaner begriffen, dass dies ein Angriff auf ihre Werte war, und dies war er auch. Doch die Werte sind nicht allein amerikanische noch ausschließlich westliche. Sie sind die Werte des zivilisierten Lebens überall. Dies war ein Angriff auf die Zivilisation als solche.' Doch mit ‚zivilisierten Werten' meint Kelley grundsätzlich Werte des orangen Memes; denn er gibt die folgenden als Beispiele: Individualismus; individuelle Privilegien und Freiheit; Kapitalismus als ein System des Handels, der Produktion, der Innovation und des Fortschritts; Säkularismus; Vernunft; freier Markt; Welthandel. Diese sind natürlich keine roten Werte, keine blauen Werte, keine grünen Werte, keine türkisen Werte usw.: sie sind orange Werte. Und so war ein Angriff auf das WTC ein Angriff auf jene Werte, die Kelley dann mit Zivilisation an sich identifiziert. Er schließt dann auch mit dem inbrünstigen Aufruf: ‚Wir haben es nicht mit zivilisierten Menschen zu tun. Wir müssen den Terroristen den Krieg erklären und alle uns möglichen Mittel gebrauchen, sie unfähig zu machen, weitere Bedrohungen aufzustellen. Wir drängen Präsident Bush und den Kongress, einen ähnlichen Feldzug gegen alle Terroristennester zu unternehmen, die sich selbst zu Feinden der Menschheit erklärt haben durch den Tod und die Zerstörung, die sie bewirkt haben. Wenn wir das tun, handeln wir in Selbstverteidigung, mit der moralischen Autorität derer, die angegriffen wurden. Doch wir sollten auch verstehen und der Welt erklären, dass wir handeln, um eine Weltordnung zu erhalten, von der zivilisierte Werte abhängen, und zivilisierte Menschen überall müssen sich dieser Sache anschließen.'"

     „Wisst ihr, was ich bei Gott am meisten liebe ?" unterbrach Margaret Carlton ganz abrupt Dereks Erzählung und schaute dann jeden mit einem verträumten Lächeln an, das andeutete, dass sie....irgendwo ...war.

     „Was, meine Liebe ?" antwortete Lesa.

     „Der GEIST manifestiert sich in diesem außerordentlichen Spektrum des Bewusstseins, ja ? Diese erstaunliche Entwicklungsspirale, die jeden wahrnehmbaren Bereich und Streifen und jede Farbe und Wellenlänge umspannt, und den ganzen Weg vom Staub bis zur Gottheit umfasst, vom Schmutz zur Gottheit. Und jede einzige Farbe hat ihren Platz, nicht wahr ? Jedes Meme, jede Welle, jeder Strudel und Wirbel, jede Wendung und Umdrehung – und sie alle haben etwas Wichtiges zu sagen, nicht wahr ? Nicht wahr ?"

    Jedermann nickte, offensichtlich unsicher, wohin das gehen sollte, jedoch durch Carltons zerbrechliche Anmut und Dankbarkeit gerührt. „Das ist alles. Ich wollte eigentlich nur das sagen. Ich weiß, dass Blau und Orange und Grün und alle von ihnen wirklich krank und tatsächlich verdreht und dumm werden können, doch in ihren gesunden Formen sind sie alle Teile dieses wunderschönen, wunderschönen, wunderschönen Bewusstseinsspektrums, nicht wahr ? Es ist doch so ?"

    „Du bist wunderschön, meine Liebe", sagte Lesa und drückte ihre Hand.

     „Richtig, richtig, du bist toll, Margaret", fertigte sie Van Cleef kurz ab. „Also, will sich noch jemand für die Wunder Gottes ins Zeug legen ? Nein ? Gut." Dann lächelte er ein echtes ‚Ich mache ja nur einen Scherz'-Lächeln.

Carla Fuentes sah zu ihm hin. „Derek, du bist der liebenswürdigste Mann in der Welt, unter all dem …nun, unter all dem Du."

Grün: Eine Umwertung der Werte

„Sehr witzig, Carla, sehr witzig. Schau mal, wie ich lache. Ha, ha. Gut, weiter, weiter...Wo war ich ? Rot, Blau, Orange, oh ja…"

   „Die grüne Antwort ist am schwierigsten aufzulisten, weil es die am meisten konfliktbeladene ist. Auf der einen Seite ist die Mehrheit der grünen Meme-Haltungen auf der ganzen Welt gerade jetzt mit dem gemeinen grünen Meme und Boomeritis infiziert und das kompliziert das Thema sehr, weil es die Wahrnehmung des gesunden Grün und die wundervollen Arten der Freundlichkeit, die es immer zur Situation beiträgt, sehr schwer macht. Die meisten Grünen – und ganz gewiss das MGM (gemeine grüne Meme) in seiner postmodernen Verkleidung – wollen Amerika für buchstäblich alle Probleme der Dritten Welt verantwortlich machen und oft auch für alle Weltprobleme, Punkt."

„Darüber hinaus haben während der letzten Jahrzehnte die verschiedenen Dritte-Welt-Gruppen, Fraktionen, Aufständischen und sogar Terroristen tatsächlich das postmoderne Kauderwelsch übernommen, das aus den amerikanischen Universitäten kam, um ihre Aktionen zu rechtfertigen. Der grüne Pluralismus behauptet in seinen extremen – und am häufigsten vorkommenden – Formen, dass es kulturell weder Gut noch Böse gibt, kein Besser und Schlechter: Es gebe keine universellen Standards, nach denen wir beurteilen könnten, ob eine Kultur besser oder schlechter als eine andere sei. Tatsächlich könnten wir über ein Anderes nichts sagen, was das Andere nicht über sich selbst sagen könnte. Punkt. Zu versuchen, über das Andere in anderen Worten zu sprechen als in denen des Anderen, wäre ein schreckliches Verbrechen zu begehen, das als ‚metanarrativ' bekannt ist. Alle kulturellen Werte seien vielmehr essentiell gleichwertig – dies nennt man ‚eine nicht reduzierbare Pluralität von höchsten Zielen' – und ein reiner Egalitarimus sei die einzig mögliche Antwort im Angesicht des Anderen."

    „Außer dass das Andere dein Land auf die höchst scheußliche Weise zerbombt, die man sich vorstellen kann." Van Cleef sah jeden Anwesenden an, sein Gesicht hatte eine ätzende Schärfe angenommen. „Das warf Grün im allgemeinen in eine innere Lähmung und einen schmerzlichen Wertekrampf. Es erschien Grün sicherlich, dass diese brutale Attacke, sagen wir, ziemlich böse war, es sei denn, dass angenommen wurde, dass es überhaupt nichts Böses gab. Und nun wird plötzlich die westliche Kultur heimtückisch angegriffen von etwas, das verdächtig BÖSE aussieht. Aber es gibt vermutlich nur ‚eine Pluralität von authentischen höchsten Zielen', mit keinem von ihnen als angestammt überragend (außer all denen, die nicht-westlich sind—uupps; also kann ich wohl sagen, dass der postmoderne Pluralismus gerade wirklich die ursprüngliche Harmonie, die in allen vormodernen Stämmen anwesend ist, wieder einsetzt – außer in einem vormodernen Stamm, der gerade das Welthandelszentrum zerstört hat, und der kann nicht gut sein, nicht wahr ? – außer dass ich meinen Besitztitel bekam durch das Schreiben von zwei Büchern und 15 Artikeln über das Verbrechen der Aufklärung und ihren hegemonialen, patriarchalen, kapitalistischen, kolonialistischen, imperialistischen Anspruch gegenüber den paradiesischen, nichtdissoziierten, freiheitsliebenden Völkern der vormodernen Welt , so dass ich nicht gut meine Meinung öffentlich ändern kann, oder ? – außer dass...?"

„Gut, ihr habt genau den Punkt erfasst. Ich bin hier etwas leichtfertig, und das sollte ich nicht sein, weil dies eine wahrhaft quälende innere Spannung für viele Grüne war. Nietzsche pflegte von der ‚Umwertung aller Werte' zu sprechen, wo das einstige Böse jetzt als Gut angesehen wird, und was als Gut erschien, jetzt als Böse erscheint. Nun, als diese Flugzeuge in das WTC krachten, erlitten viele Grün-Memer eine schmerzhafte Umwertung der Werte: die westliche Zivilisation wurde als etwas gesehen, das sich einem Opfer annähert, und die nichtwestlichen Werte und sogar die Stammesmentalität – die als das angesehen wurde, das alles Gute beinhaltete, vom edlen Wilden zu dem alter Ego einer repressiven Zivilisation – wurde plötzlich als etwas verdammt nahe am Bösen angesehen. Dies nennt man Excedrin Kopfschmerz Nummer 7 ."

    Lächelnd fügte Jefferson hinzu: „Ja, ich meine, dass du im allgemeinen Recht hast. Und du hast definitiv Recht bei den akademischen Rechtfertigungen für terroristische Akte –äh, ich meine bei dem ‚wurzelhaften Widerstand gegen die Machtstrukturen der repressiven Zivilisation': während der vergangenen drei Jahrzehnte haben das Aufständische und der ‚zerstörende Terrorismus' auf der ganzen Welt das postmoderne Kauderwelsch übernommen, das aus den amerikanischen Universitäten kommt, um damit ihre Aktionen zu rechtfertigen. Es war so, dass die Aufständischen den marxistischen Fachjargon im Munde führten, oder das anti-kapitalistische Kauderwelsch, oder manchmal benutzten sie einen verdrehten religiösen Fachjargon – und sie benutzen all das bei Gelegenheit. Doch die eloquentesten –die Michel de Certeaus (Philosoph,A.d.Ü.) und Edward Saids (Literaturwissenschaftler, A.d.Ü.) und Slavoj Zizeks (Philosoph, A.d.Ü.) von dieser Welt – berufen sich stark auf die Sprache des postmodernen Poststrukturalismus, die Sprache des pluralistischen Relativismus – d.h. die Sprache von Boomeritis."

     „Das ist ziemlich ähnlich dem Protest der Studenten von Berkeley in den Sechzigern, von dem Carla in ihren Vorlesungen spricht, wo eine Menge von wahrhaft postkonventionellen Idealen von Banden von präkonventionellen, egozentrischen Terroristen missbraucht wurden, um alles Konventionelle in aggressiver Weise niederzumachen. Es ist die Prä/trans-Verwechslung in einem weltweiten Ausmaß – und ja, es ist Boomeritis bis zum Innersten."

     Jefferson blickte in die Tischrunde. „Hier ist die traurige Wahrheit unserer Zeit: Boomeritis ist die Sprache des Terrorimus geworden." Er wartete etwas und schüttelte den Kopf. „Wenn ihr diese Sprache zur Sprache des religiösen Fanatismus hinzufügt, habt ihr eine explosive Mischung, der nichts in der Geschichte gleichkommt."

„Das ist für mich als Afro-Amerikaner immer besonders schmerzhaft gewesen. Wir kennen alle die Entstehungsgeschichte des postmodernen Pluralismus – seine vielen Stärken, seine vielen Schwächen. Doch als das grüne Meme, der pluralistische Relativismus, der postmoderne Poststrukturalismus – nennt sie, wie ihr wollt – in die akademische Welt eindrang und die Humanwissenschaften zu dominieren begann, war es nur eine Frage der Zeit, bis diese ‚bestallten Radikalen' – manchmal unschuldig und unabsichtlich, manchmal offen und absichtlich – die Sprache schmiedeten, die benutzt werden sollte, um die terroristischen ‚Aufstände' und die ‚Wurzelwiderstandskraft' und die ‚zerstörerische Destabilisation' überall zu rechtfertigen. Als diese akademische Rechtfertigung für diese Akte – eine von dem grünen Meme (und Boomeritis) in Amerika stammende Rechtfertigung – zu den tatsächlich in der Welt handelnden rote-Meme-Terroristen hinzugefügt wurde, war das Ergebnis eine Atmosphäre, in der die westliche kulturelle Elite nicht mehr entschieden irgendeine Art von zerstörendem Aufstand verurteilen konnte, eine ideologische Öffnung , die gegenüber den Aufständischen und Terroristen selbst wirkungsvoll war, die immer die so genannte ‚Sensibilität' mit Schwäche gleichgesetzt haben. Alles was sie für ihren eigenen Verstand brauchten, um das Pulverfass hochgehen zu lassen, war ein gleichermaßen fehlgeleiteter Grund für Angriff und Zerstörung, der durch eine verdrehte blaue Meme genährt wird: in diesem Fall religiöser Fanatismus.

     „Es gibt hier ebenso eine psychologische strukturelle Verbindung", fuhr Jefferson fort. Kim sagte mir, dass Jefferson einen IQ von 160 habe; es hörte sich immer so an, als wäre dies die Geschwindigkeit seines Intellekts, wie er auf der Autobahn dahinrauschte. Ich fühlte mich immer etwas schwindlig, wenn ich seine Ebenholzhaut sah, die das Gehirn beherbergte, das in so entnervender Geschwindigkeit die Straße hinunterbrauste. Ich wünschte, Kim wäre hier, um mir alles zu erklären.

   „Psychologisch gesehen, ist Boomeritis das grüne Meme mit einer Wiederbelebung von rotem Narzissmus infiziert. So werden die vererbten subjektiven Tendenzen von Grün – Graves bezieht sich manchmal auf Grün als ‚relativistisch, pluralistisch, subjektivistisch', einfach weil seine Rechtfertigungen für die Wahrheit grundlegend subjektiv, relativ, vielfältig sind: mit anderen Worten: postmodern – wie auch immer, die subjektiven Tendenzen von Grün werden zu einem Magneten, einer Heimat, einem Hafen für die Wiederbelebung von roten, egozentrischen, narzisstischen Impulsen. Pluralismus wird zu einem Supermagneten für Narzissmus – und diese Kombination von hoch entwickeltem Grün mit ziemlich niedrigem Rot ist die explosive Mischung, die als Boomeritis bekannt ist, weil in meiner eigenen Psyche die grünen Ideale das Sprachrohr für roten Terrorismus werden."

„Unter diesen Umständen degenerieren grüne Ideale von Kontextualismus, Konstruktivismus und Pluralismus – die in ihrer besten Erscheinung darauf bestehen, dass alle Perspektiven fair und unparteiisch behandelt werden, ohne jede unziemliche Marginalisierung – in ranzigen und sogar pathologischen Pluralismus: alle Ansichten müssen fair behandelt werden, nicht weil sie alle eine faire Anhörung verdienen, sondern weil keine Sichtweise besser ist als die andere, Punkt. Narzissmus und seine ständige Forderung ‚Niemand sagt mir, was ich zu tun habe!' findet so ein glückliches Zuhause im postmodernen pluralistischen Flachland. Weil keine Sichtweisen besser oder schlechter als alle anderen sind, können meine narzisstischen Absichten sich frei und wild gebärden, hier im freien Hafen, der durch den pathologischen Pluralismus geschaffen wurde. In meiner eigenen Psyche wird das Grün von dem terroristischen Rot als Geisel genommen. In meiner eigenen Psyche werden postkonventionelle Ideale der Fachjargon von präkonventionellen Antrieben. In meiner eigenen Psyche wird das Welthandelszentrum meiner höheren Antriebe durch meine eigenen niedrigsten und barbarischsten Neigungen dekonstruiert."

    „Das ist die boomeritische Postmoderne – eine heimliche Liebesaffäre zwischen Grün und Rot – und sie wird auf der historischen Weltbühne in einer speziellen Weise aufgeführt: postmoderne grüne Akademiker, die entzündete prämoderne rote Impulse in ihrer eigenen Psyche reaktiviert und beheimatet haben, sind in prämoderne Kulturen überall vernarrt: in der Vergangenheit – die großen Paradiese von Eden, die fürchterlich durch patriarchale westliche Unterdrückung kontaminiert wurden – und in der Gegenwart – bei all den Anderen der Aufklärung, die verzweifelt darum kämpfen, sich von der repressiven Decke der Zivilisation zu befreien. Viele der Seminarfolgen, die wir gerade beendet haben, waren einer extensiven Untersuchung genau dieses Themenbereichs gewidmet. Und ich will dabei nicht sagen, dass die Aufklärung nicht ohne ihre eigenen ernsthaften Probleme war. Ich sage nur, dass grüne Akademiker für ein Lobpreisen roter Kulturen in höchst übertreibender und unrealistischer Weise anfällig waren, einfach weil sie auf die nichtintegrierten Impulse ihres eigenen Wesens fixiert und von ihnen hypnotisiert waren. Der sich brüstende Narzissmus der Nachkriegsgeneration kam auf die peinlichste Weise zurück und hinterließ eine Spur von Unfallopfern der rot/grünen Boomeritis in all den akademischen Hallen."

"Und deshalb wurde Boomeritis die Sprache der Dekonstruktion, des Niederreißens und des Terrorismus allenthalben. Es konnte keine überzeugende Unterscheidung beibringen zwischen einem fortschrittlichen Niederreißen und einem Niederreißen, das bloß regressiv war - und in dieser traurigen und trägen Unentschiedenheit lag einer der vielen Wege zum 11.September."

Am Tisch war es einige Minuten sehr still. "Ja, leider, leider", bemerkte Carla Fuentes sanft. "Von diesem besonderen Blickwinkel hast du natürlich ganz Recht: Boomeritis war tief in die Dekonstruktion des Welthandelszentrums verstrickt." Fuentes sah uns alle an, einen nach dem anderen. Ihre verdrehten Worte wurden mit einer schwermütigen, nicht ärgerlichen, fast zarten Stimme geäußert.

"Hat nicht sogar Foucault Derrida einen Terroristen genannt ? Wenn das Endergebnis deiner akademischen Betrachtung zu dem Schluss kommt: es gibt keine universellen Standards, nach denen eine Kultur geringer beurteilt werden kann als eine andere; dann ist der Westen unter dem Einfluss der Aufklärung bloß eine hegemoniale, imperialistische Aufbürdung von universellen absolutistischen Standards auf eine unschuldige Welt; deshalb ist alles Westliche böse, alles Nicht-Westliche gut; deshalb ist die Dekonstruktion des Westens und der Aufklärung eine noble Sache - nun, wenn deine Gedanken mit Prä/trans-Verwechslungen solchen Ausmaßes durchschossen sind, wenn so eine intellektuelle Atmosphäre geschaffen wird, in der dekonstruktiver Terrorismus überall stillschweigend beklatscht wird; wenn ein berühmter postmoderner Pluralist schreit: ‚Wenn du nicht weiß bist, dann entferne dich so weit wie möglich von jeder westlichen Kultur !' - ich frage mich, ob Afghanistan für diesen Herrn weit genug entfernt ist - nun, dann ist diese ganze akademische Atmosphäre an diesen terroristischen Akten zutiefst mitschuldig. Die extremen Postmodernen sind nicht die aktuelle Ursache für irgendeines dieser Verbrechen, doch sie sind mitschuldig, zutiefst mitschuldig." Carla Fuentes schüttelte den Kopf.

Van Cleefs zackige Art durchschnitt die Luft; er sah wütender als üblich aus. "Die Liste der Mitschuldigen ist endlos - d.h. die Liste der boomeritischen Gelehrten mit philosophischem Blut an den Händen ist wirklich endlos: fangen wir mit Heidegger an - und sollen wir seine jetzt infame, unbereute Komplizenschaft mit den Nazis vermerken ? - und seine philosophischen Kameraden, der frühe Foucault, das meiste von Derrida, der späte Wittgenstein, die Epigonen und Möchtegerne - Michel de Certeau, Richard Rorty, Edward Said, François Lyotard, Jean Baudrillard, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Slavoj Zizek, Antonio Negri und Michael Hardt, die französische Galerie und ihre lauen, weniger talentierten Sprachrohre in Amerika - Stanley Fish, Susan Sontag, Stanley Aronowitz, und der ganze Weg zu den alternativen Bewegungen, von JTPs ‚Neue Geburt in Freiheit', bis zu Revisionen der Transpersonalen Psychologie, bis zu Boomeritis-Spiritualität und das MGM (gemeine grüne Meme; A.d.Ü.) in seinem ganzen Glanz, zu nicht-bewertenden Scheinheiligkeiten, die die Luft mit dem Gestank sich selbst gratulierender Selbstgefälligkeit erfüllen, zur neusten Avantgarde von Möchtegern-Philosophen, die alle pluralistische Pappkartonslogans im Mund führen." Van Cleef spie die Worte in einem atemlosen Schwall heraus; seine Kollegen missbilligten es zwar nicht, doch sie sahen unangenehm berührt aus, besonders Joan.

"Ich bin mehr als froh, wiederholen zu können", sagte er, "dass in den meisten dieser Fälle sehr wichtige Wahrheiten in Hülle und Fülle vorkommen - wir benutzen oft viele von ihnen hier am IZ - und in den meisten dieser Fälle sind die Absichten so warm, so echt, so nobel gemeint. Doch wir alle wissen, welcher Weg wohin mit guten Absichten gepflastert ist. In der karmischen Buchhaltung des Kosmos wird der Regen der Verantwortlichkeit diese akademischen Köpfe gründlich durchnässen."

"Warm und vornehm gesagt, wie üblich", lächelte Fuentes. "Doch ich stimme im allgemeinen zu. Ihr auch ?" Die Köpfe um den Tisch nickten.

"Das wirkliche Problem, wie ich es sehe, ist dass ihre Gefühle, in Philosophie gekleidet, in die Welt hinaus gegangen sind in einer entscheidenden Weise, wie sie es sogar selbst stolz ankündigen. Der Hauptpunkt hier ist, dass Boomeritis die Fähigkeit der Intellektuellen ausgeweidet hat, eine zusammenhängende Verurteilung einer solchen Attacke zu formulieren, abgesehen von der lahmen Antwort, dass niemand das Recht hat, einen anderen körperlich anzugreifen - offensichtlich ist ihre Antwort, dass es nicht freundlich und einfühlend ist, jemanden total fertigzumachen." Fuentes lachte auf ihre boshaft warme Weise. "Doch darüber hinaus in der Frage, weshalb die Anderen angesichts der repressiven Barbarei, d.h. der westlich-aufgeklärten Kultur, nicht zurückschlagen sollten: nun, da sind Boomeritis und das MGM eigenartig still, oder nicht ? Das einzige, was ihr philosophisches Schweigen kurzgeschlossen hat, war die massiv übermäßige Brutalität dieses besonderen Akts."

Morin sprang ein. "Ja, ich meine, Carla hat Recht. Wenn irgendeine Bande von Terroristen ein kleineres Ziel ausgewählt und nur militärische oder Regierungsbeamte getroffen hätte, gefolgt von einer Stellungnahme über Freiheit und Gleichheit aller Kulturen, die von der herzlosen kapitalistischen Maschine niedergetrampelt wurden, würde die Mehrheit der grünen Memes in diesem Land schnell zustimmen - oder sie würden sich wenigstens weigern, absolut weigern, jene Terroristen als absolut SCHLECHT zu verurteilen. Doch die äußerste Rauheit und Barbarei der Attacke auf das Welthandelszentrum schob diese Ideen in ihren Hals zurück auf eine Weise, die unmöglich mit pluralistischen Platitüden zu verbergen und zu entschuldigen ist." Morin schüttelte den Kopf.

"Es ist definitiv ein Thema, das von tiefer Verwirrung durchsetzt ist," sagte Jefferson nachdenklich. "Sehr ähnlich dem, als der Unabomber ( der amerikanische Öko-Terrorist Theodore Kaczynski; A.d.Ü.) Dutzende von unschuldigen Menschen verstümmelte und tötete im Namen von Ökologie gegen Zivilisation - eine weitere völlig falsche Dichotomie - und Kirkpatrick Sale (amerikan. Journalist, zeigt die dunklen Seiten des ‚American dream' auf; A.d.Ü.) - unter der gleichen Prä/post-Verwechslung und der gleichen Boomeritis - ging sofort online zur Verteidigung der Philosophie des Unabombers, während er gleichzeitig wenig überzeugend darauf bestand, dass dies nicht bedeutete, dass er die gleiche Handlungsweise befürwortete."

Margaret Carlton, ein zerbrechlicher Rahmen, von Überzeugung aufrechterhalten, bemerkte: "Ja, ja, ja, doch für zumindest ein Jahrzehnt haben verantwortliche Gelehrte darauf hingewiesen, dass extremer Pluralismus wirklich die Glorifizierung von buchstäblich jeder anderen Kultur als der westlichen geradezu erlaubt, wenn nicht ermutigt - blaue Andere, rote Andere, purpurne Andere, beige Andere. Diese Boomeritis-Haltung hat tatsächlich den alten Impuls des edlen Wilden wiederbelebt - die Nachkriegsgeneration hat das Romantische mit Steroiden hochgepäppelt !", sie lachte liebenswürdig.

"Als nur eines von zahlreichen Beispielen....Ich habe es hier irgendwo...." Van Cleef wühlte in seiner Aktenmappe herum. "Okay, Keith Windschuttle (amerikan. Historiker und Publizist; A.d.Ü.): ‚Kultureller Relativismus begann als eine intellektuelle Kritik des westlichen Denkens, ist jedoch jetzt eine einflussreiche Rechtfertigung für eine der potentesten Kräfte der Gegenwart geworden. Dies ist die Wiederbelebung von Tribalismus in Denken und Politik. Die Forderung der Repräsentanten von Stammeskulturen nach alleiniger Regelung ihrer Angelegenheiten ist wahrscheinlich die einzige Ursache für Blutvergießen in der heutigen Welt. Sie hat die Leichenhaus-Politik von Nordirland, Sri Lanka, dem Sudan, Zentralafrika, dem Mittleren Osten und dem Balkan verursacht. Die Postmoderne und der kulturelle Relativismus sind mitschuldig daran - beide mit ihrem Beharren auf der Integrität aller Stammeskulturen, unabhängig von den von ihnen verfolgten Praktiken und Werten, und bei ihrer Denunziation jeder ‚westlichen Zivilisation'. Weniger als ein Fortschritt bei politischer Konzeptentwicklung, sollte die Politik des Relativismus jedoch einfach als ein Spiegelbild der rassistischen Ideologien angesehen werden, die den westlichen Imperialismus in der Kolonialzeit begleiteten und rechtfertigten.' Ganz recht: sie sind beide ethnozentrisch bis in den Kern - beide preisen ethnozentrischen Pluralismus anstelle von universellem Pluralismus - oder pathologischen Pluralismus anstelle von genealogischem Pluralismus - alle sind von einer Boomeritis angesteckt, die gierig nach Herrschaft ist."

Van Cleef holte tief Luft und drehte die Akte um. "Eine Glorifizierung der präkonventionellen Stammesmentalität: die beliebte romantische Leidenschaft von Grün, die purpurnen und roten Stämme. Die Taliban sind eine Stammesgruppe im nördlichen Afghanistan, die ländlich leben, mit Stammesältesten und einem Stammesrat, wunderbar frei von aufgeklärten Werten und völlig frei von dem fürchterlichen Newtonschen-Kartesianischen Paradigma: edle Wilde durch und durch, frei im Wind flatternde rote Wellen.

"Gut", tönte er, "eine rote Welle krachte in das Welthandelszentrum, und Grün musste tatsächlich die wahren Konturen dessen sehen, was es seit den originalen Romantikern immer gepriesen hat. Edle Wilde dekonstruierten die Zivilisation: schöne Aussichten, nicht wahr ?" und er ließ seine Faust auf den Tisch niederkrachen und ein scharfes erschreckendes "Rumms" ertönen.

"Okay, Derek, okay. Das geht etwas zu weit," sagte Morin.

"Das meine ich nicht", Van Cleefs Intensivität versengte die Atmosphäre. "Wenn wir so weit gehen, ‚keinen Unterschied zu machen zwischen den Terroristen und jenen, die sie schützen', dann können wir philosophisch solche Unterscheidungen auch nicht treffen."

"Er hat einen Punkt gemacht", stimmte Jefferson bei.

"Doch diesen Punkt haben wir schon gemacht. Da gibt es gar keinen Zweifel daran, dass diese Gelehrten mitschuldig sind, indem sie eine Atmosphäre unterstützten, die sich sträubte, irgendwelche Anderen negativ zu beurteilen und die gleicherweise zögerte, irgendetwas Positives über die westliche Kultur zu sagen. Lassen wir sie auf ihre eigenen Handlungen antworten, lassen wir sie für ihre eigenen Worte verantwortlich sein. Nichts was wir tun können, wird dies ändern."

Das gesunde Grün: Jetzt mehr denn je zuvor

"In Ordnung, wir sind weit weg vom Thema!" intervenierte Lesa Powell. "Wir sollten doch die Reaktionen auf den Angriff diskutieren und nicht die Ursachen der Attacke und wer dafür verantwortlich zu machen ist."

"Richtig, richtig; tut mir leid, wir hatten eine kleine Testosteron-Vergiftung." Jefferson lachte.

"Klar," nickte Van Cleef. "Seht mal, ich mache nicht die extremen Postmodernen für diese Attacke verantwortlich, ich habe nur die Schwierigkeiten ausgeführt, die sie in ihr Wertesystem geworfen hat. Ich sage, dass ihre Antworten auf den Angriff - und die Hauptantwort des grünen Meme selbst - eine Umwertung der Werte erlitten hat, weil das kulturell Andere - das für GUT gehalten wurde - jetzt als total beschissen BÖSE erscheint, und die westliche Kultur der Aufklärung - die für BÖSE gehalten wurde - jetzt als OPFER erscheint. Und in der Sprache der Boomeritis sind alle Opfer nobel, unschuldig und gut. Plötzlich hat sich der Westen selbst den begehrten Status des Opfers gesichert, und das verzerrte das MGM Wertesystem so übel, dass ihre Antworten immer noch benommen, verwirrt, abschweifend, fast unzusammenhängend sind."

"Nun, sie gehen im allgemeinen auf etwas hinaus wie: ‚Ja, die Terroristen haben eine böse Sache gemacht. Doch wir sollten nicht zurückschlagen; stattdessen sollten wir die Gelegenheit nutzen, darüber nachzudenken, wie sehr wir doch alle Terroristen sind, wenn wir anderen gegenüber unfreundlich sind; wir sollten dies als eine Zeit der Heilung, der Fürsorge und des Einfühlens in unseren Schmerz nutzen. Wir sollten über die gemeinsame Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit der Menschheit nachdenken und täglich miteinander Liebe praktizieren. Lasst uns ab und zu den Fernseher ausschalten und uns sagen, wie sehr wir uns um einander kümmern. Senden wir Licht und Liebe zu allen Opfern allenthalben, nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt."

"Gesundes Grün ist eine anständige und noble Antwort", fügte Joan hinzu. "Ich hoffe, du machst keinen Scherz mit dieser Haltung, Derek. Denkt dran: Boomeritis ist das pathologische Grün, nicht das gesunde Grün. Ich hoffe, in mir eine große Menge an gesundem Grün zu finden, denn jetzt brauchen wir es mehr denn je zuvor."

"Sehr wahr", pflichtete Jefferson bei. "Sehr wahr. Das gesunde Grün ist das letzte der Memes des ersten Rangs, weil es die Sensibilisierung der gesamten Spirale bewirkt, indem es sie mit Mitgefühl infiziert, könnte man sagen, und so bereitet es den Sprung in den zweiten Rang vor. Ich stimme Joan zu; jetzt oder nie wird Grün benötigt."

Jefferson rieb seine Augen. "Doch was mich noch beunruhigt ist, dass wenn Grün auf seine, sagen wir mal, Platitüdenseite rutscht" -

"Wie eine duck-billed platitude ( eigentlich:....platypus ...dt.: Schnabeltier; ansonsten nicht übersetzbares Wortspiel; A.d.Ü.) ?" grinste Fuentes.

"Oh, ich verstehe, Humor. Nein, Carla, die hypersensitive, übermäßige Seite des Kümmerns, eine Antwort, die schon Martin Luther Kings Aussage zirkulieren lässt: ‚Die letzte Schwäche der Gewalt ist, dass sie eine absteigende Spirale ist, die das hervorbringt, was sie zu zerstören sucht. Anstatt das Böse zu vermindern, multipliziert sie es. Tatsächlich verstärkt die Gewalt bloß den Hass. Mit Gewalt auf Gewalt zu antworten, vervielfältigt die Gewalt. Hass kann Hass nicht austreiben; nur Liebe kann das tun.'"

"Doch, wie ihr seht", fuhr Jefferson fort, "ist diese Aussage in fast jeder Hinsicht falsch. Als ein Schwarzer, der außerhalb Harlems aufgewachsen ist, brauche ich euch nicht zu sagen, dass Pastor King meine Erlösung als Junge war. Ja, er und Charlie Parker (1920-1955, Jazzlegende; A.d.Ü.), doch das ist eine andere Geschichte. In diesem Fall glaube ich jedoch, hatte sein Herz seinen Kopf umnebelt. Wirkliche Gewalt wird fast immer durch stärkere Gewalt in gesunden Händen beendet. Wenn man einem Hitler in dieser Welt begegnet, dann ist die korrekte, noble, ethische, spirituelle Antwort: nimm ein Gewehr und puste ihm das Gehirn weg. Wir haben Auschwitz nicht mit Liebe, einem sorgenden Dialog, mit Sensibilitätstraining und sanften Gedanken beendet, sondern mit überlegener Feuerkraft, Punkt. So verhält es sich mit wirklicher Gewalt in der wirklichen Welt - das meiste davon kommt von Rot, und Rot kann nur gewaltsam im Zaum gehalten werden, bis es seine interne blaue Zurückhaltung entwickelt. In ihrem überwiegenden Anteil produziert Zivilisation keine Barbarei sondern bändigt sie."

"Das Grundproblem von Grün ist, dass die Injunktion, dass man keine Gewalt in seinem Herzen haben soll, davon verwirrt ist, dass man Gewalt nicht in der wirklichen Welt anwenden sollte - an diesem Punkt beginnt Grün, zum Problem und nicht zur Lösung beizutragen. Das ist noch eine andere Variation der traurigen Tatsache, dass Grün - und ohne Zweifel das MGM und Boomeritis - an dem Aufkommen der aufrührerischen Gewalt rund um die Erde mitschuldig ist. Natürlich sollten wir keinen Hass in unserem Herzen wohnen lassen; und natürlich, wenn man Nazis trifft - um Van Cleefs Zeile auszuborgen - sollte man sie wirklich knallhart allemachen." Ein Lachen tauchte aus dem tiefen Ernst in Jeffersons Gesicht auf.

"Wenn Grün eine spirituelle Bestätigung dafür haben möchte, dann sollte man in der Baghavad Gita nachlesen. Der Krieger Arjuna ist dabei, in die Schlacht zu ziehen; an das Töten denkend, betet er zum Gott Krishna, er möge ihm bei der Entscheidung helfen, was zu tun sei. Krishna, der so schlimm post-grün ist, sagt ihm zwei Sachen: du musst in der wirklichen Welt deine Pflicht erfüllen, und deshalb musst du kämpfen und möglicherweise auch töten, weil dies der Lauf der Welt zu dieser Zeit ist; doch bei der Pflichterfüllung halte deinen Geist im GEIST, nicht als eine Weise zur Rechtfertigung des Tötens, sondern um sich darüber zu erheben. ‚Denk an mich und kämpfe', das sagt Krishna dem Arjuna. Er sagt ihm nicht, dass er das Kämpfen vermeiden soll (typisch Grün), NOCH sagt er ihm, dass er im Namen Gottes kämpfen soll (typisch Blau). Er sagt ihm, dass er kämpfen und an Gott denken soll, denn nur dort liegt deine Erlösung in der wirklichen Welt des unvermeidbaren Karmas."

"Natürlich gibt es einige wenige Situationen -- wirklich wenige Situationen - in denen Gewaltlosigkeit hilft: nämlich in jeder Kultur, die westliche Aufklärungswerte besitzt (so wie Amerika oder Britannien - die einzigen beiden Kulturen, in denen Gewaltlosigkeit als Strategie tatsächlich geholfen hat). In jeder anderen Kultur, die von prä-orangen, vormodernen, vor-aufklärerischen Werten durchsetzt ist, wenn du dich da vor die nahenden Truppen legst, nee, Dankeschön ! Es ist dann leichter, dir den Hintern einzutreten, und es erspart uns eine Tonne Kugeln. Versuch mal Gewaltlosigkeit bei den Nazis, dem Ku-Klux-Klan, den Sargons und Ramses und Pol Pots dieser Welt, und schau, wohin dich das bringt. Zum Tod wird es dich bringen. Und indem du dadurch ein größeres Böses gedeihen lässt, bringt dir dein Tod nicht einmal gutes Karma, nur das Karma eines Feiglings: hör lieber auf Krishna und erfülle deine Pflicht, was mehr Mut erfordert als vor deiner Pflicht zu fliehen in einer sich selbst bebauchklatschenden Haltung des grünen Meme."

"Ihr seht, dass Gewalt (oder die Androhung von Gewalt) bei prä-orangen Memes fast die einzige Weise ist, mit der man Gewalt beenden kann. Bei Orange verschiebt sich der physische Krieg zum ökonomischen Krieg, und das Schlachtfeld verschiebt sich zum Sitzungszimmer - der gleiche Krieg, verschiedene Mittel. Doch erst bei Grün hören Menschen wirklich auf, kämpfen zu wollen, und erst bei Gelb beginnen sie wirklich damit, Gewalt anzuwenden, um Gewalt strategisch zu beenden. Doch die prä-orangen Memes wenden lediglich Gewalt an, und das ist das Problem. Die andere Wange hinzuhalten, ist genau das, was man bei prä-orangen Memes nicht tun möchte. Noch einmal: in deinem Herzen keine Gewalt; in der Welt erfülle deine Pflicht."

"Richtig, Mark, richtig," warf Joan ein, "doch ich möchte noch einmal hinzufügen: die gesunde grüne Haltung ist ein Pflichtteil von jeder Antwort des zweiten Rangs. Überwinde und schließe ein !"

"Zugestimmt. Wir wollen Grün einschließen. Es aber auch transzendieren. Wir sollten es nicht durcheinanderbringen: keine Gewalt im Herzen und keine Gewalt in der wirklichen Welt zu haben, wenn es erforderlich ist. Unsere Pflicht mag Gewalt einbeziehen oder auch nicht, doch lasst uns nicht vergessen, dass es wirklich Gelegenheiten gibt, wo Gewalt Gewalt beendet - oder sollte ich sagen, indem man die Unordnung und die mikroskopisch zunehmende Natur von Eros bedenkt: es gibt Gelegenheiten, bei denen Gewalt eine gröbere Gewalt durch eine subtilere Gewalt ersetzt, einen geringeren Teufel auf dem Weg zu einem kaum größeren Guten."

"Der von Zen inspirierte Wahlspruch des Samurai-Kriegers ist ein genauso guter Führer wie jeder andere: der beste Kampf ist, nicht zu kämpfen; das wirkliche Schwert ist kein Schwert - doch wenn man denkt, das bedeute, dass ein Samurai-Krieger niemals sein Schwert gebraucht, dann ist man eine naive Kaulquappe, fürchte ich."

Gelb: um das Ganze in die Balance zu bringen

"Lasst uns zur gelben Antwort auf die Terroristenangriffe weitergehen - die Anworten der ersten wirklichen Welle des zweiten Rangs," schlug Morin vor. "Derek ?"

"Gut," antwortete Van Cleef, "wir können nicht wirklich über die gelbe Antwort sprechen, ohne darüber zu reden, was eine wahrhaft integrale Annäherung an den Terrorismus wäre. Lesa, das ist dein Spezialgebiet..."

"Schauen wir mal," antwortete Powell, "die gelben und türkisen Antworten zusammenzufassen, ist eine hohe Aufgabe, denn wenn sie ihre Antworten in den von uns benutzten theoretischen Formulierungen aussprechen, dann sind ihre Antworten in der Tat integral: sie neigen dazu, das große Bild zu sehen (wenigstens so groß, wie es die heutige Welt ermöglicht), und sie antworten im gleichen Sinn zu dem Ganzen, wie es sich fließend ausfaltet und entwickelt. Am IZ versuchen wir, das sich ausfaltende Ganze zu artikulieren, und das nimmt einige Minuten in Anspruch!" lachte sie.

"Okay, du hast zwei Minuten," grinste Morin.

"Toll." Lesa lächelte und rollte mit den Augen. "Okay, fangen wir an mit dem Betrachten der möglichen Ursachen dieses Terrorismus, denn eine Antwort des zweiten Rangs ist nicht von einem intuitiven Verstehen des dynamisch geformten und fluktuierenden Ganzen getrennt - das bedeutet, dass eure Antwort und euer Verständnis der Ursachen alle aus einem Guss sind. Lasst uns deshalb dort beginnen."

"Wir alle wissen, dass wenn jemand mit Historiografie beginnt [für einen Überblick der integralen Historiografie, siehe Spalte A: ‚Wer fraß Captain Cook ? - integrale Historiografie im Zeitalter der Postmoderne' (in Vorbereitung)], bemerken wir, dass es nicht einfach EINEN KORREKTEN WEG gibt, die Dinge zu sehen, außer bei verschiedenen sensomotorischen Tatsachen. Doch sogar diese Tatsachen - so wie in diesem Fall: am 11. September 2001 krachten zwei von Nichtamerikanern entführte Flugzeuge in das Welthandelszentrum in Manhattan, zerstörten das Gebäude völlig und töteten über 5000 Menschen; während ein weiteres entführtes Flugzeug in das Pentagon schmetterte und einige Hunderte tötete - diese Grundtatsachen sind unbestritten, doch diese Tatsachen können nicht verstanden werden, im Gegensatz zu beschrieben, ohne ein intensives System von kulturellen Werten im Hintergrund (weil alle Holons einen linken unteren Quadranten haben). So weit klingt das wie ein typischer pluralistischer postmoderner Beitrag, außer wenn wir über den pluralistischen Relativismus hinausgehen - der abstreitet, dass irgendeine dieser kulturellen Interpretationen intrinsisch höher ist als eine andere - wenn wir genealogischen Pluralismus befürworten oder das entwicklungsbedingte Ausfalten, das auf der Basis extensiver Forschung vorschlägt, dass einige dieser Werte höher, besser und einschließender sind als andere: weltzentrisch ist besser als ethnozentrisch, was besser als egozentrisch ist. Jedes mag unter gewissen Umständen angemessen sein, doch es besteht keine Frage bezüglich der hierarchischen Rangfolge von wachsender Fähigkeit für Bewusstsein, Fürsorge und Mitgefühl."

[Für eine Übersicht über entwicklungsbedingten oder genealogischen Pluralismus im Gegensatz zu relativistischem Pluralismus - als allgemeinen Ausweg aus dem pathologischen Pluralismus - siehe Spalte A (in Vorbereitung)]

"Mein Standpunkt ist jedoch: Jede dieser Wertmemes oder allgemeinen Wellen der Entwicklung hat uns etwas Wichtiges darüber zu sagen, wie wir die Frage nach Ursachen und Schuld bei diesem besonderen Ereignis interpretieren können und sollten. Sogar wenn jedes höhere, einschließendere Meme eine adäquatere Sicht der Situation hat und dafür genauer ist (ohne jemals total genau zu sein: so etwas gibt es nicht), sagt uns nichtsdestoweniger jedes Meme etwas darüber aus, wie die anderen -- und das Andere -die Welt unter dem Aspekt sehen, wem die Schuld zuzuteilen ist. Dies ist die allgemeine Antwort des zweiten Rangs: wir sollten intuitiv fühlen, was alle der verschiedenen Antworten uns über die ganze Wirklicheit und alle menschlichen Wesen in ihr zu sagen haben. Die Antwort des zweiten Rangs versteht jedoch auch, dass das Gewicht, das diesen Antworten und Interpretationen gegeben werden sollte, besser von Türkis beurteilt werden sollte, weil dies die höchste durchschnittliche Entwicklungswelle des Bewusstseins ist, die in allen Quadranten zur Zeit eine sichtbare Form angenommen hat; und, ich füge schnell hinzu, damit Türkis wirklich angemessen sein soll, muss es durch eine Einsicht des dritten Rangs informiert werden (wenigstens als ein Zustand, wenn nicht als eine Stufe)."

"Lesa, kannst du das etwas mehr ausführen ? Es ist zu dicht," sagte Hazelton.

"Ich werde es gleich versuchen, Joan. Doch lass mich erst einmal versuchen, das Spektrum nach aktuellen Ursachen der Terroristenattacke durchzugehen, wie es von einer Analyse aller Memes vermutet wird. Zuerst und vor allem liegt der Löwenanteil der Schuld bei den Terroristen, klar und einfach. Sie repräsentieren sogar nicht rote Werte, sondern pathologische rote Werte oder extremistische rote Werte. Sogar ‚gesunde' Terroristen, wenn ich mal so sagen darf, haben sofort ihre Aktionen verurteilt. Yassar Arafat: ‚Unglaublich! Unglaublich! Unglaublich!' Dieser Teil ist hirnlos. Ob man sagen will, dass das ein Angriff auf Gut von Böse war, oder ein Angriff auf die Zivilisation durch die Barbarei oder ein Angriff auf menschliche Bindungen durch wirklich unsensible Leute, das spielt keine Rolle. Ganz oben auf der Liste der Schuldigen sind im Großen gesehen die Terroristen selbst - ihre Führer, ihre Kohorten, ihre Komplizen." Lesa schaute auf und lächelte. "Sie sind wie ‚sehr total schlecht'", und jeder lachte -ein Insiderwitz am IZ.

"Was könnte zu solchen Akten motivieren ? Denkt daran, dass buchstäblich alle Memes, Rot bis Türkis, darin übereinstimmen, dass diese Akte, wie immer man sie auch benennt, krank waren (unabhängig davon, welche mildernden Umstände dabeigewesen sein mögen, was wir später diskutieren werden). Deshalb sind wir berechtigt zu fragen, welche Art Krankheit oder Missbildung es genau ist. Welche sind ihre wirklichen Konturen ? Es muss eine ‚alle Quadranten, alle Ebenen, alle Linien'-Analyse erfolgen (ein integrales Psychogramm)-und ich habe kaum genug Informationen, um das angemessen zu machen - doch einige einfache Aspekte bieten sich selbst an: im unteren rechten Quadranten gab es und gibt es ernsthafte wirtschaftliche Not (was fairerweise der Globalisation und dem westlichen Handelskapitalismus zugeschrieben werden könnte oder nicht könnte: dies ist ein separates Thema, das dem wesentlichen Inhalt nach entschieden werden muss - mehr darüber später); im linken unteren Quadranten scheint es eine Art kultureller Verhärtung angesichts der Modernität zu geben; dies scheint eine pathologische blaue oder mythische Mitgliedschaft zu sein, die so verdreht ist, dass sie ihren Mythos einzig durch die Zerstörung eines Anderen definiert: das Andere ist in diesem Fall der Westen (wieder, ob der Westen Mitschuld trägt, ist ein separates Thema; Tatsache ist jetzt: dies scheint phänomenologisch der linke untere Quadrant in diesen Terroristen zu sein); im oberen rechten Quadranten, Dopamin hoch, Serotonin niedrig (oder alles Mögliche); im oberen linken Quadranten eine Pathologie des roten Meme, gefüttert von einer verdrehten blauen Superego-Bildung; noch genauer: die kognitive Linie bei Orange; die Ego-Linie bei Rot mit pathologischer Dissoziation und eine Drehpunkt 3 /Unterphase b- Missbildung; das Superego im dreigeteilten Ego ist eine grausame, internalisierte, deformierte Ideologie des blauen Meme."

Lesa machte eine Pause. "Nun, habe ich genügend Metanarratives gegeben, um das durchschnittliche MGM total verrückt zu machen?" Jeder nickte lächelnd. "Oh, lasst mich noch hinzufügen: es war eine taktisch brillante Attacke, absolut brillant, mit wildem Mut durchgeführt. Doch wir befassen uns jetzt direkt mit der kranken Seite..".

"Kurz gesagt, es scheint vernünftig anzunehmen, dass die Terroristen pathologisch rot waren, angesteckt von einer entstellten blauen Ideologie - sicherlich eine explosive Mischung. Keines der uns bekannten gesunden Wertesysteme kann diese Handlungen dulden. Dann erhebt sich jedoch die Frage, in welchem Ausmaß können diese Pathologien in den vier Quadranten anderen zugeschrieben werden, etwa dem globalen westlichen Kapitalismus ? Wir ihr euch vorstellen könnt, wird die Situation hier etwas verzwickter."




TEIL II