INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



powered by TinyLetter
Today is:
Veröffentlichungstermine von Essays (Monat / Jahr) finden Sie unter "Essays".

Jeff MeyerhoffJeff Meyerhoff ist ein unabhängiger Gelehrter, der Philosophie, Politik, Mystizismus und Psychologie studiert. Er benützt Achtsamkeit und Psychoanalyse zur Selbstentwicklung. Er arbeitet als Sozialarbeiter mit Geistigbehinderten, sucht jedoch nach neuen Möglichkeiten einer Karriere. Er ist der Autor von Unverhüllter Ehrgeiz: Eine Kritik von Ken Wilbers Theorie von Allem, veröffentlicht bei Integral World. Sein Weblog kann gefunden werden bei philosophyautobiography.blogspot.com. Email at [email protected].


INHALTSVERZEICHNIS

Methodologie
und Philosophie

Unverhüllter Ehrgeiz: Kapitel 8

Jeff Meyerhoff

Orientierende Verallgemeinerungen

In Wilbers Diagnose des gegenwärtigen intellektuellen Lebens enthält die rationale Bewusstseinsebene der Moderne sowohl einen positiven Respekt vor anderen Perspektiven als auch eine negative postmoderne Relativität von Perspektiven. Dieses rationale Bewusstsein hat nicht die Fähigkeit, die multiplen Perspektiven unserer zunehmend vernetzten Welt zu transzendieren und zu integrieren. Eine intellektuelle und soziale Fragmentierung entsteht daraus und die Gefahr der Richtungslosigkeit und des Relativismus. Um diese Fragmentierung des Wissens und der Gesellschaft und den daraus resultierenden Relativismus der Postmoderne zu bekämpfen, schlägt Wilber eine Integration des Wissens vor, die das Allerlei der Perspektiven in den Natur-, Sozial- und Humanwissenschaften übersteigt und einschließt. Er anerkennt, dass die Wissenschaften eine unvereinbare Folge von spezialisierten Debatten zu sein scheinen, er behauptet jedoch, dass hinter den Nichtübereinstimmungen innerhalb diverser Wissensfelder das ist, was er als orientierende Verallgemeinerungen bezeichnet.[1]

Orientierende Verallgemeinerungen sind das ,,bereits vereinbarte"[2] Wissen, das die debattierenden Gelehrten garantiert für wahr halten, sowie sie die relevanten Themen in ihren Feldern debattieren. Zum Beispiel toben in der Entwicklungspsychologie Debatten herum über die Details der Entwicklungsstufen, durch die Menschen hindurchgehen, während sie zu Erwachsenen werden, doch die Tatsache, dass Menschen sich wirklich entwickeln und die allgemeinen Stufen, durch die sie hindurchgehen, ist weitgehend vereinbart, sagt Wilber. Er bringt vor, dass es einen großen Anteil dieses bereits vereinbarten Wissens gibt in den diversen Debatten innerhalb des Hochschulbetriebs. Er wird diese orientierenden Verallgemeinerungen oder Teilwahrheiten sammeln und sie zusammenweben, um aufzuzeigen, dass sie eine zusammenhängende entwicklungs-evolutionäre Geschichte des Kosmos schaffen. Er behauptet einschließend zu sein, aber auch kritisch, indem er sieht, dass jede Perspektive sowohl teilweise falsch als auch teilweise richtig ist. Die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen ist die wichtigste Weise, wie Wilber seine evolutionäre Theorie validieren wird und sie ist die zentrale methodologische Aussage, die er in seiner Einführung zu Sex, Ecology, Spirituality (SES).[3] macht.

In den vorhergehenden Kapiteln habe ich demonstriert, dass Wilber nicht das ,,einfache aber handfeste"[4] und das ,,bereits vereinbarte" Wissen der Natur-, Sozial- und spirituellen Wissenschaften in Anspruch nimmt. Er benützt nicht wirklich die orientierenden Verallgemeinerungen des Wissens und als eine Konsequenz resultiert eine ad hoc Methodologie. Anstelle der orientierenden Verallgemeinerungen wird dem Leser oft gesagt, was berühmte Schriftsteller sagen. Wilber stellt Tatsachen-Behauptungen auf und validiert sie, indem er sie einigen wenigen großen Denkern zuschreibt. Die Unterstellung ist, dass wenn ein großer und einflussreicher Denker etwas versichert, dann sollte es Autorität haben. Zum Beispiel nimmt Wilber Ferdinand de Saussures Unterscheidung zwischen Signifier und Signified in Anspruch, ohne irgendeine Erwähnung von Derridas Kritik dieser Unterscheidung, noch von anderen Annäherungen an die Bezeichnungen, die der von Saussure folgten. Die Unterstellung scheint zu sein: wenn ein großer Denker wie Saussure das sagt, dann ist es Validität genug. In einem anderen Beispiel braucht er eine ganze Seite, um uns von der Frühreife, der Brillianz und dem großen Einfluss des deutschen Philosophen Friedrich Schelling zu überzeugen, als wenn diese Eigenschaften irgendeine Auswirkung darauf hätten, ob das von ihm Gesagte richtig oder falsch war. Das gleiche geschieht bei Jürgen Habermas, A. O. Lovejoy und Charles Taylor. Es ist eine eigenartige vor-aufklärerische Weise der Gültigkeitserklärung von Aussagen durch Hinweis auf Autorität und das steht im Gegensatz zu Wilbers nach-aufklärerischem Wunsch, sich auf die Wissenschaft als Schiedsrichter der Wahrheit zu verlassen. Reputation ersetzt die orientierenden Verallgemeinerungen, weil die Methode nicht funktioniert.

Sich auf Autorität berufen ist nicht das einzige Problem bei Wilbers wissenschaftlicher Methode. Während er von anderen wegen vieler ausgelassener Auslassungszeichen und umgestalteten und nicht beigefügten Zitaten kritisiert wird, [5] liegt das größere Problem bei seiner üblichen Methode der Argumentation. Wer auch immer eine Menge an akademischen Schreiben liest, entwickelt ein Strohmann - Radar. Der Leser fühlt, sobald die Argumente, die dem Gegner des Autors zugeschrieben werden, allmählich schwach formuliert werden. Bei Wilber sind schwache Formulierungen der gegnerischen Ansichten üblich. Was er typischerweise in SES macht, ist: sich auf irgendeine allgemeine Gruppe von Autoren beziehen, etwa ,,die Ökophilosophen" oder ,,Multikulturellen", einen Teil ihrer Ansichten, die er nicht mag, karikieren und das ,,beweist" er wiederholt, dass sie bei dem karikierten Standpunkt falsch liegen. Beim Lesen dieser Seiten fragt sich der Leser, wer diese Leute sind und glauben sie tatsächlich solche vereinfachten Dinge? Meistens nach seitenlanger Debatte erfährt der Leser niemals die Namen von Wilbers Gegnern, die von ihnen geschriebenen Bücher, und er liest auch nicht deren eigene Worte.

Wenn Wilber orientierende Verallgemeinerungen nicht in Anspruch nimmt, wie determiniert er dann, was in seine Synthese übergehen wird und was nicht? Er muss die laufenden akademischen Debatten in unterschiedlichen Feldern in Anspruch nehmen, um zu entscheiden, was wahr ist. Es sind jedoch die Teilnehmenden innerhalb jener Debatten, die durch Debattieren versuchen zu entscheiden, was wahr ist. Indem er die Details der gegenwärtigen intellektuellen Debatten, von denen seine Synthese abhängt, nicht kennt, trampelt er gerade auf den Debatten herum, die die Wahrheiten determinieren, die er für die Konstruktion seiner Integration benötigt. Seine aktuelle Praxis ist es, in eine Debatte hineinzugreifen, die Arbeit eines Autors herauszuziehen, die er in Anspruch nehmen kann und dann das Gestrüpp der weiterlaufenden Argumente und Gegenargumente zu vernachlässigen, in denen die Wahrheiten, die er zum Aufbau seines Systems benötigt, ausgereizt werden. [6] Anstelle einer Integration des bereits vereinbarten Wissens in jedem Studienfeld endet er dabei, eine Seite einer laufenden Debatte aufzunehmen und daher baut er seine Synthese mit strittigem und debattiertem Wissen auf. Das Ergebnis ist, dass Wilbers Methode der Einschließung tatsächlich eine Praxis der Ausschließung ist; eine Ausschließung aller Perspektiven und Tatsachen, die nicht in seine Synthese hineinpassen.

Eine Illustration dessen, wie Wilbers scheinbar saubere Integration der gegenwärtigen intellektuellen Hauptperspektiven tatsächlich ein grundsätzlich problematisches Missachten der Integrität jeder Perspektive ist, geschieht in dem folgenden Abschnitt. Er beschreibt dort, wie unterschiedliche Annäherungen an das Wissen durch Kontextualisierung integriert werden können, eine innerhalb der anderen:

das autonome Ego der Aufklärung ist nicht so autonom, weil es tatsächlich in den Kontext seiner eigenen organischen Antriebe eingesetzt ist (die psychoanalytische Kritik der Aufklärung), und diese vorher unbewussten Antriebe müssen integriert werden, damit wahre Autonomie entstehen kann. Sogar die vollständig integrierte und autonome Person der Psychoanalyse ist nicht wirklich autonom, weil jenes Individuum tatsächlich in Kontexte von linguistischen Strukturen gesetzt wurde, die autonom die Bedeutung determinieren, ohne dass es das Individuum überhaupt einmal weiß (die von Strukturalismus und Archäologie vorgebrachte Kritik). Linguistische Strukturen sind wirklich nicht so autonom, weil sie bloß in Kontexten von vor-artikulierten Weltanschauungen existieren, die die Sprache in Anspruch nehmen, ohne dass die Sprache jemals die Tatsache registriert (die Kritik durch Heidegger, Gebser). Weiterhin jedoch sind Weltanschauungen bloß eine kleine Komponente von massiven Netzwerken und Kontexten von sozialen Praktiken (auf verschiedene Weisen, Marx, Habermas, der spätere Foucault). Und darüber hinaus pflegen Theoretiker von Kierkegaard bis Schelling bis Hegel darauf zu bestehen, dass jene sozialen Praktiken bloß innerhalb und wegen der weiteren Kontexte des Geistes existieren. [7]

Würde jedoch das autonome Ego der Aufklärung nicht seine Autonomie gegenüber dem psychoanalytischen Unbewussten verteidigen, indem es argumentiert, dass die Psychoanalyse unwissenschaftlich und unbewiesen ist? Und behauptet das integrierte Ego seine Autonomie nicht gegenüber den angeblich determinierenden linguistischen Strukturen, indem es ununterbrochen neuartige linguistische Strukturen erschafft? ,,Existieren linguistische Strukturen nur in Kontexten vor-artikulierter Weltanschauungen" oder erfordert die Idee von ,,vor-artikulierten Weltanschauungen" linguistische Strukturen sogar um zu existieren, weil eine Weltanschauung nicht vor linguistischen Strukturen existieren kann? Ist der Geist der ,,weitere Kontext" oder ein Epiphänomen einer wesentlich naturalistischen Welt? Und sind es nicht die zuerst erwähnten ,,organischen Antriebe", welche Evolutions-Psychologen für den ausschlaggebenden bestimmenden Kontext halten, der den Charakter des menschlichen individuellen und sozialen Lebens strukturiert? Jede Perspektive ist eine unterschiedliche Weltanschauung, die die Welt auf verschiedene Weisen konstruiert. Wilber vernachlässigt diese unterschiedlichen Perspektiven mit der Behauptung, es gebe eine Welt - die zufällig die eine ist, die er sieht - und dass sie alle unterschiedliche Aspekte von ihr beschreiben. Um sie jedoch ernst zu nehmen, die Tiefen ihres Denken auszuloten, sie möglichst mächtig zu formulieren und nicht ihre grundsätzlichen Unterschiede auszulöschen, müssen wir uns das Problem des Relativismus und des Perspektivalismus gegenwärtig vor Augen halten. Wilber meint, er erschaffe eine Integration, die aus unterschiedlichen Perspektiven das Wahre herauszieht, er missachtet jedoch tatsächlich die tiefen Unterschiede in radikal divergierenden Konstruktionen der ,,Wirklichkeit" und er vermeidet das große intellektuelle Problem unserer Zeit: Differenz.

Sich hinter Wilbers Glauben verbergend, dass alle Teilwahrheiten zusammenpassen müssen, steht die strittige Mutmaßung, dass alle Teilwahrheiten mit einer wahren Welt korrespondieren. Wenn alle Wahrheiten von allen Wissenschaften ein zusammenhängendes Ganzes bilden können, ist das weil sie alle etwas gemeinsam haben. Diese gemeinsamen Dinge sind die Welt, die Wirklichkeit, die Weise, in der die Dinge sind. Dennoch hat der Philosoph Nelson Goodman eine starke Aussage gemacht, dass es widersprüchliche Wahrheiten gibt, die nicht in ein zusammenhängendes Bild der Welt eingefügt werden können. [8] Goodman benützt das Beispiel der Sonnenbewegung. Die Aussagen ,,die Sonne bewegt sich durch den Himmel" und ,,die Sonne steht fest" sind beide wahr. Die erste ist leicht zu beweisen durch unsere tägliche Beobachtung, während die zweite ein Eckpfeiler unseres heliozentrischen Verständnisses des Sonnensystems ist. Die schlaue Entgegnung, dass aus einer Perspektive die Sonne sich bewegt, aus einer anderen Perspektive jedoch stationär ist, scheint die Dinge zurechtzurücken. Goodman fragt dann aber: was ist die Sonnenbewegung abgesehen von allen Perspektiven? Wie ist ihre Bewegung in und für sie selbst? Der Verstand versagt. Es gibt keine Weise, auf die die Sonne unabhängig von allen Perspektiven ist , soweit wir das sagen können. Es gibt keine Welt, die den Zusammenhang aller wahren Versionen garantiert, wie Wilber es behauptet; oder wenn es die gibt, können wir es nicht demonstrieren, sobald wir mit ihr in Kontakt sind. Der Philosoph Andrew Blais hat Goodmans Arbeit sorgfältig ausgearbeitet und argumentiert, dass es eine Pluralität von tatsächlichen Welten gibt. [9] Das ist keine dominante Ansicht in der Philosophie, die Kraft dieser Art von Argumentation gibt uns jedoch einen Hinweis auf die Probleme bei den philosophischen Untermauerungen von Wilbers Projekt.

In diesem Buch habe ich durchgehend gezeigt, dass Wilber die orientierenden Verallgemeinerungen nicht in Anspruch nimmt. Hier argumentiere ich weiterhin, dass die Methodologie der orientierenden Verallgemeinerungen überhaupt nicht durchführbar ist. Die Methodologie ist nicht durchführbar, weil ,,einfaches und handfestes" Hintergrundwissen, das die Teilnehmenden in irgendeiner akademischen Debatte voraussetzen, ,,einfach und handfest" erscheint, nur weil die Teilnehmenden an jener Debatte zufällig nicht über die Gültigkeit jenes Hintergrundwissens debattieren. Weshalb debattieren sie nicht über dieses Wissen? Weil es nicht ihre Aufgabe ist, es ist die Aufgabe anderer Gelehrter in irgendwelchen anderen akademischen Disziplinen, darüber zu debattieren, was ihre Kollegen für wahr halten.

Lassen Sie uns das wichtige Feld der Entwicklungspsychologie nehmen. Die Teinehmenden an der Debatte mutmaßen, dass es einen Entwicklungsprozess gibt und dass er identifizierbaren und relativ unveränderlichen Stufen folgt. Aber das geschieht bloß, weil sie im Moment zufällig nicht jene Mutmaßungen oder orientierenden Verallgemeinerungen debattieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht umstritten sind. In Werte-Voraussetzungen in Theorien der menschlichen Entwicklung,[10] debattieren einige der angesehensten Namen im Hochschulbetrieb - Jerome Kagan, Jerome Bruner, Carol Gilligan, Richard Bernstein und andere - über die Werte, die innerhalb Entwicklungs-Beschreibungen der Erkenntnis untergebracht sind und ob es valide ist, überhaupt von Stufen und Strukturen zu sprechen. Unnötig zu erwähnen: es wurde kein Konsens erreicht. Obschon die Teilnehmenden wirklich mutmaßen, als eine orientierende Verallgemeinerung, dass ihre Worte die Wirklichkeit repräsentieren. Ist das ein Stück der ,,einfachen und handfesten" Kenntnis? Nicht gemäß den gegenwärtigen Debatten in der Erkenntnistheorie, wo die darstellerische Theorie der Wahrheit sehr heftig kritisiert wird. Und es geht weiter; die orientierende Verallgemeinerung einer Person ist der Streitpunkt irgendeiner anderen Person.

Naturwissenschaftler können einwenden, dass das für die ,,weichen" Sozialwissenschaften wahr ist, jedoch nicht wahr für die ,,harten" Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaften haben definitiv mehr Übereinstimmung bei den Tatsachen, Erklärungen und Methoden. Wissenschaftler debattieren nicht darüber, ob die biologische Evolution vonstatten geht. Sie tut es; es ist eine Tatsache. Sie debattieren jedoch über die Details, wie das geschieht, doch wir können uns ausmalen, dass sie in der Zukunft zu einer Übereinstimmung kommen werden. Worüber sie nicht übereinstimmen werden, ist was es bedeutet, dass es geschieht. Und das ist eine solche Frage, die Wilber beantworten muss, wenn er die ungleichartigen Felder des Wissens zusammenweben und eine zusammenhängende Geschichte über die Evolution von Materie, Leben und Geist erzählen will. Deswegen nämlich, weil der Übergang vom Beschreiben der Fakten zum Erzählen einer Geschichte einen Übergang von den Tatsachen zu den Werten bedeutet.

Hayden White, zeigt in seinem Buch Der Inhalt der Form,[11] , dass das Erzählen einer Geschichte notwendigerweise eine Moral oder Werte enthalten muss. Ohne eine Moral sind unsere Tatsachen bloß eine Aufzählung; was Historiker die Chronologie von Ereignissen nennen. Deshalb können es Historiker nicht vermeiden, dass Werte ihre Historienschreibung durchdringen. Wilber möchte nicht bloß das menschliche Wissen katalogisieren und sagen, dass es hier Ähnlichkeit und dort Unähnlichkeit gibt, er möchte ,,eine kurze Historie des Kosmos, der Biosphäre, der Psyche, der Gottheit" erzählen [12] oder ,,eine Chronik dessen, was man getan hat, eine Erzählung dessen, was man gesehen hat, ein Maß dessen, was wir alle werden könnten."" [13] Es ist natürlich toll, eine Geschichte zu erzählen, doch wenn wir möchten, dass unsere Geschichte durch die orientierenden Verallgemeinerungen der Naturwissenschaften sanktioniert wird, werden wir ein Problem bekommen, weil die von der Wissenschaft beschafften Tatsachen und Erklärungen uns nicht erzählen, wie man diese Tatsachen in eine zusammenhängende Erzählung zusammenfügen kann. Wie White aufzeigt, benötigt man dafür Werte, eine Moral. Und wie die Tausenden von Seiten über Moralphilosophie bezeugen, wird ein Konsens über Moral nicht in nächster Zeit kommen. Deshalb behaupte ich, dass es keine naturwissenschaftlichen orientierende Verallgemeinerungen gibt, die uns erzählen, was sein sollte.

In der Einführung zu SES benennt Wilber die orientierenden Verallgemeinerungen ,,Perlen des Wissens". [14] Alles was wir tun müssen, ist sie zusammenzufädeln, um eine großartige synthetisierende Halskette zu erhalten. Nettes Bild, doch woher bekommen wir den Faden? In welcher Reihenfolge sollen die Perlen angeordnet werden? Weshalb eine Halskette und nicht ein Perlenvorhang? Im Gegensatz zu der populären Maxime sprechen die Fakten nicht für sich selbst. In gleicher Weise sprechen orientierende Verallgemeinerungen nicht für sich selbst; wir müssen interpretieren, was sie sagen.

Ich meine, Wilber spürte diese Schwierigkeiten, weil er in seiner Einführung zu SES sagt: ,,Zusätzlich dazu, dass es aus breiten orientierenden Verallgemeinerungen zusammengesetzt ist, möchte ich mal sagen: das ist ein Buch der tausend Hypothesen"[15] Jedoch anstatt den Leser zu informieren, welche Teile die ,,einfachen und handfesten" orientierenden Verallgemeinerungen sind und welche Teile die ,,tausend Hypothesen" ausmachen, sagt er dann: ,,Ich werde die Geschichte erzählen, als wäre sie einfach der Fall (weil sie auf diese Weise erzählt sich besser lesen lässt)." [16] Lässt sich viel besser lesen, doch es ist viel schlechtere Gelehrsamkeit; denn wie soll der Leser erkennen, welche Teile das ,,einfache doch handfeste" Wissen und welche Teile die ,,Hypothesen" sind?

Relativismus

Die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen ist Wilbers Weise des Erwerbs von validem Wissen, um dem zu begegnen, was er als einen wild wuchernden Relativismus ansieht. Ebenso begegnet er dem Relativismus direkt in mehreren unterschiedlichen Kontexten, sein Argument dagegen ist jedoch ziemlich schwach. Das schuldet teilweise seiner groben Formulierung der relativistischen Position. Nach Wilbers Meinung machen Relativisten eine absolute Aussage, indem sie sagen, dass es nichts Absolutes gibt, alles ist relativ. Wilber stellt dann immer wieder herablassend fest - manchmal dreimal innerhalb derselben Diskussion - dass dies ein Widerspruch sei, weil die Feststellung des Relativisten, dass ,,alles relativ ist" absolut ausgedrückt wird und auf diese Weise selbst-widersprüchlich ist. In Erwiderung auf derartige allzu simple Formulierungen des Relativismus, stellt Richard Rorty fest, dass ,,niemand seine Ansicht teilt. Außer bei dem gelegentlich kooperativen Neuling kann man niemanden finden, der sagt, dass zwei inkompatible Meinungen über einen wichtigen Gesichtspunkt gleich gut sind."[17] Deshalb zitiert Wilber niemals irgendeinen seiner so genannten relativistischen Gegner, der tatsächlich diese Ansicht vertritt. Während Wilber nie damit aufhört, am Zusammenhacken seiner Strohmann-Relativisten Vergnügen zu empfinden, wird der Leser langsam frustriert, weil er solch ein sich selbst dienendes Schauspiel durchsitzen muss. Wie Rorty sagt, ist das Problem, dass ,,solche niedlichen kleinen Strategien nur gegenüber leicht skizzierten literarischen Figuren funktionieren."[18] Ich bezog mich auf diese Schwäche der Argumentation als ein Problem, es ist jedoch bloß ein Problem für diejenigen, die es mit der Argumentation ernst meinen. Für Wilber ist es nicht problematisch, sondern funktional. Indem er sein Argument des Selbstwiderspruchs einsetzt, kann er die wirklichen Schwierigkeiten vermeiden, die ernsthafte Gelehrte für seinen Standpunkt darstellen.

Der Philosoph Michael Krausz hat zwei gut beachtete Texte über Relativismus geschrieben und mit Rom Harre herausgegeben, Spielarten des Relativismus.[19] Harre und Krausz begutachten die gesamte philosophische Debatte zwischen Absolutismus und Relativismus und stellen fest: ,,In keinem Fall denken wir wirklich, dass wir Argumente von überwältigender Stärke auf irgendeiner Seite der Debatte gefunden haben. Vielleicht gibt es keine endgültige Lösung in vernünftigen Ausdrücken von diesem großen Schisma in den Grundeinstellungen der Menschen zu Existenz, Wissen, Bedeutung und Werten."[20] Dennoch löst Wilber das ,,große Schisma" mit einem einfachen Streich. Im Gegensatz zu Wilbers leichter Absetzung des Relativismus schreiben Krausz und Harre, dass die

Unterschiedlichkeit [des Realtivimus] einerseits dazu dient, jeden von der Idee zu heilen, dass Relativismus leicht verteidigt oder kurz und bündig angegriffen werden kann oder auf einer Grundlage allein, und andererseits die vollständige Infragestellung zu definieren, um eine angemessene Exegese und Kommentierung zu verschaffen auf der Skala der philosophischen Überlegungen, die angeführt wurden oder könnten bei der Verteidigung oder dem Angriff gegen diese oder jene Variante des Relativismus.[21]

Spielarten des Relativismus ist ein zusammengefasster Katalog der weiten Vielfalt von Relativismen und ihrer komplizierten Argumente mit einer weiten Vielfalt an begegnenden Absolutismen.

Wilber behauptet, dass der postmoderne Relativismus aus der nützlichen postmodernen Erkenntnis stamme, dass alle Kontexte innerhalb von Kontexten sind. Es gibt keinen autonomen Gott, kein autonomes Ego, keine autonome Wissensbasis, nichts ohne einen Kontext. Die Postmodernen tragen das allerdings zu weit in den Relativismus. Wilbers Lösung ist die Anerkennung, dass alles kontextualisiert ist, jedoch nicht auf irgendeine alte Weise. ,,Dass alles relativ ist, bedeutet mithin nicht, dass nichts besser ist; es bedeutet tatsächlich, dass einige Sachen relativ besser sind als andere, und zwar immer."[22] Doch das ist irrtümlich. Wenn etwas ,,relativ besser" ist, heißt das, es kann ebenso relativ schlechter sein. Wenn man behaupten möchte, dass das relativ Bessere nicht von einer anderen Perspektive als relativ schlechter angesehen werden kann, dann würde man zeigen müssen, wie es immer relativ besser ist; wenn es jedoch immer relativ besser ist, dann ist es absolut besser. Die ganze Sache beim Qualifizieren von ,,besser" mit dem Wort ,,relativ" ist nämlich, weil es nicht ,,absolut besser" ist. Die unbeholfene Einschließung von ,,die ganze Zeit" am Ende des vorhergehenden Zitats lässt die Notwendigkeit vermuten, den problematischen Punkt auszubessern. Wenn es ,,alle Zeit" relativ besser ist, dann ist es absolut besser, nicht relativ besser.

Wilber bietet ein Beispiel an, um den von mir gerade zitierten Standpunkt zu stützen, er illustriert jedoch stattdessen das von mir beschriebene Problem. Er schreibt: ,,Weder Atome noch Moleküle sind die letzten oder endgültigen Bestandteile des Universums; nichtsdestoweniger enthalten Moleküle wo auch immer sie erscheinen immer Atome in einer tieferen Umfassung."[23] Diese Tatsache beweist jedoch nicht, dass Moleküle ,,besser" als Atome sind. ,,Besser" ist ein Werturteil und nicht eine Tatsachen-Feststellung. Wir haben gesehen, dass Wilber wirklich einen Grund hat, Moleküle als besser zu bezeichnen - größere Tiefe und Einschließung - dieses Wertesystem steht jedoch nicht auf einer festen Grundlage.

Ich meine, Wilber versteht unbewusst, dass er die relativistische Bedrohung nicht unterdrückt hat. Denn das ganze Getöse, mit dem er zuversichtlich seinen Selbst - Widerspruchs - Gegenschlag vorträgt, die Tatsache, dass er ihn wieder und wieder vorträgt, obschon der Standpunkt im Übermaß klar ist, deutet darauf hin, dass er an seinem eigenen Argument Zweifel hegt.

Wilbers Standpunkt und die Validität des Systems

Wilbers oft wiederholtes Herausstellen des angeblichen Selbst-Widerspruchs des Relativisten lässt eine problematische Frage entstehen: Wie gedenkt Wilber dem Relativismus zu entfliehen? Wie validiert er absolut oder objektiv seine intellektuellen Grundlagen, indem er die Vernunft in Anspruch nimmt? Wo steht Wilber intellektuell, um uns eine weite Orientierungskarte der Existenz zu geben und wahr von falsch zu unterscheiden?

Es gibt zwei Straßen zur Wahrheit, die in Wilbers Werk behauptet werden: eine pragmatische Straße, die auf der Zustimmung der Gemeinschaft der Experten basiert und eine realistische Straße, die Wahrheit durch den Kontakt mit ,,der vorgegebenen" Wirklichkeit rechtfertigt oder mit der Welt, wie sie in sich selbst ist. Nichts von diesen wird ausführlich begründet, noch verschaffen sie die philosophische Grundlage, die Wilbers System validieren würde. Die pragmatische Straße wird in Wilbers drei Strängen des Wissens beschrieben: zuerst die Verfügung oder die Anweisungen für den Wissenserwerb; zweitens die persönliche Wahrnehmung oder das Sehen, indem man die Verfügung benützt; und drittens die kommunale Bestätigung oder die Validierung des Wissens durch die Mitglieder der relevanten Gemeinschaft.[24] Das dominante Kriterium der Validierung ist für Wilber der Grad an Zustimmung unter den Experten. Wir schauen auf das bereits vereinbarte Wissen der Gemeinschaft der Forscher und entnehmen, wem sie zustimmen.

Sogar die spirituellen Wissenschaften nehmen diesen Ansatz in Anspruch. Ein Mystiker hat eine überwältigende Erkenntnis von der Wahrheit, doch das ist gerade der zweite oder wahrnehmende Strang der determinierenden Validität. Die Wahrnehmung muss von der relevanten Gemeinschaft für gültig erklärt werden. Während die relevante Gemeinschaft des Mystikers dem zustimmen mag, dass der Mystiker wirklich das Absolute erfahren hat, mögen allerdings andere Gemeinschaften, die sich ebenfalls mit der Wirklichkeit befassen - sagen wir mal Philosophen - nicht zustimmen. Wilber pflegt zu sagen, dass sie nicht den Verfügungen gefolgt sind und die Wahrnehmung hatten; sie pflegen jedoch diese Verfügungen und ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung kritisch zu hinterfragen. Die Gemeinschaft der Philosophen hat einen unterschiedlichen Modus, die Wirklichkeit zu untersuchen und daher hat sie unterschiedliche von ihr angewandte Kriterien. Sie pflegt die Kriterien der vernünftigen Vereinbarkeit, der Logik und der Beweise zu benützen. Was ist, wenn zwei Gemeinschaften nicht übereinstimmen? Wer entscheidet? Die Kriterien welcher Gemeinschaft werden überwiegen? Wilber könnte versuchen zu argumentieren, dass eine umfassende Zustimmung unter den mystischen Hauptgemeinschaften die Bestätigung der Validität der mystischen Erkenntnis eines Individuums sei, doch dann müsste er diejenigen mit einspannen, die nicht zustimmen, dass es eine derartige umfassende Zustimmung gibt. Ich zeige in Kapitel 7 auf, wie seine Argumente gegen die Konstruktivisten misslingen - die argumentieren, dass es eine Nichtübereinstimmung bei unterschiedlichen mystischen Traditionen gibt.

Orientierende Verallgemeinerungen pflegen das Wissen zu sein, das von den relevanten sachkundigen Gemeinschaften bestätigt wird. Diese pragmatische Straße, akzeptabel für Richard Rorty und ähnlich wie Stanley Fishs ,,interpretierende Gemeinschaften" ist genauso akzeptabel für gewisse Relativisten wie für Wilber. Daher kann sie keine Grundlage für Wissen sein, die Wilbers System von dem der Relativisten unterscheidet.

Die realistische Straße wird in ein paar uncharakteristisch gewundenen Fußnoten erörtert, in denen Wilber zu sagen scheint, dass es eine Weise gibt, die Wirklichkeit zu wissen, weil es eine ,,vorgegebene" Welt und ein ,,unmittelbares Berühren" gibt, die den Kontakt mit dieser Welt garantieren. Seine Argumente sind allerdings widersprüchlich und berücksichtigen nicht die ausgedehnte Geschichte der philosophischen Debatte, die diese Fragen anspricht und die nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung gekommen ist. [25] In der ersten Fußnote trägt Wilber vor, dass Menschen wirklich einen Weg haben, sich mit einer Wirklichkeit jenseits von Sprache und Begrifflichkeit zu verbinden. Er schreibt: ,,Die allgemeinen Merkmale der sensomotorischen Welt sind...bereits niedergelegt durch die Evolution vor dem Aufsteigen der rationalen Reflektion" und ,,die fundamentalen Aspekte der sensomotorischen Holons sind ,vorgegeben'"[26] Aber genau in dieser Fußnote widerspricht er dem, indem er feststellt, dass ,,die rationale Vernunft' vollständig als gegeben angenommen wird, und so versagt sie beim Sehen, dass ihre ,gewöhnliche und offensichtliche' Welt angeblich offen ist für einfaches ,empirisches Betrachten' dass sie tatsächlich ein besonderer und hervorgerufener Weltraum ist" und ,,Der intersubjektive erschaffene Weltraum, der selbst die Enthüllung von individualisierten Subjekten und Objekten zulässt, wurde ausgegleist zugunsten eines [sic] geistlosen Starrens auf das Endresultat (verwechselt als vorgegeben)." Daher gibt es in der ersten Fußnote ein Vorgegeben, zu dem wir Zugang haben, ehe die Interpretation eindringt und in der zweiten Fußnote ,,Der intersubjektive geschaffene Weltraum....lässt die Enthüllung von...Subjekten und Objekten zu." Dieser Widerspruch erscheint unabänderlich.

Wilber bleibt auf der kommunalen Bestätigung und den orientierenden Verallgemeinerungen sitzen, die angeblich aus ihr erfolgen. Meine Untersuchung der von Wilber verwendeten Hauptgebiete des Wissens zeigt, dass die Wissenschaften nicht wie Wilber behauptet zustimmen; dass es dort Nichtübereinstimmung gibt, wo er annimmt, dass es Übereinstimmung gibt; dass es dort Tatsachen und alternative Interpretationen gibt, die nicht in seine Landkarte passen; dass sobald er darauf besteht zu versuchen, eine mystisch eingegebene, jedoch rational vorgetragene Vision vom Kosmos für gültig zu erklären, wird er den Kriterien unterworfen sein, die in rationaler Argumentation in Anspruch genommen werden und dass die Gültigkeit dieser Vision untergraben wird; und dass seine Bemühung, alle Perspektiven in einer großen Landkarte vom Kosmos zu versöhnen, auf der endgültig unversöhnlichen, nicht reduzierbaren Differenz der Perspektiven zerhackt wird.

Denken gegen Sein

Ein weitere Weise, wie Wilber sein System zu validieren versucht, ist auf einer Unterscheidung zwischen Denken und Sein begründet. Der Denker nimmt Kriterien der Vernunft in Anspruch, um Behauptungen der Validität zu bewerten und fragt: Entspricht die Behauptung den Beweisen? Hängt sie mit anderen Dingen zusammen, die wir kennen? Ist sie innerlich widerspruchsfrei? Diese sind die Kriterien, die ich in diesem Buch in Anspruch nehme. Der/die Mystiker/in, der/die primär an einer Veränderung des Daseins interessiert ist, wird Wörter benützen, um seine oder ihre Erkenntnis auszudrücken, andere von ihrer Validität zu überzeugen und anderen zu helfen, die Erkenntnis für sich selber zu erlangen. Die Validität der Erkenntnis des Mystikers beruht auf der Überzeugungskraft der Erfahrung und auf der Bestätigung der Erkenntnis durch den Lehrer des Mystikers oder die heiligen Texte. Wenn ein analytischer Philosoph Löcher in die Versicherungen des Mystikers, die Natur der Wirklichkeit betreffend, stoßen sollte, sollte der Mystiker unbeeinflusst bleiben, weil die Wahrheit seiner oder ihrer Erkenntnis in der Erfahrung beruht, nicht in der Schlüssigkeit der Argumentation. Es ist das Sehen des Mystikers durch alle Begrifflichkeit - die Begrifflichkeit ist das Handwerkszeug des Philosophen - das zur Erkenntnis des Mystikers führt.

Wilber ist ein Mystiker und ein Denker und bewohnt daher beide Welten. Die Masse seines geschriebenen Werkes nimmt die Kriterien des Denkers in Anspruch: Argumente und Beweise. Seine Vision und sein Verständnis vom Ziel des Kosmos wird jedoch von seiner Erfahrung von und seinem Glauben an der/die Erkenntnis des Mystikers inspiriert. Diese beiden Seiten vom Denker und Mystiker existieren unbequem in ihm, wie es mein Kapitel über seine Psychologie beschreibt. Diese ungemütliche Allianz zeigt sich ebenso in seiner kürzlichen Verwendung der Spiraldynamik, die ihren Ursprung im Werk von Clare Graves hat und die populär gemacht wurde von Don Beck and Chris Cowan.[27] Die aufgekommene Frage ist: welche Kriterien werden wir in Anspruch nehmen, um die Validität von Wilbers Ansicht zu bewerten? Wilber besteht aus zwei Seelen. Einerseits benützt er eine Phalanx von Fußnoten und die Idee der orientierenden Verallgemeinerungen, um seine Behauptungen zu legitimieren; andererseits jedoch anerkennt er in seinem Buch Eine Theorie von Allem , dass die Besonderheit seines Systems diese Art von rationaler, akademisch-orientierter Validierung problematisch macht. Er stellt fest, dass ,,viele Argumente sind nicht wirklich eine Angelegenheit der besseren objektiven Beweise, sondern der subjektiven Ebene jener Argumentierenden." Wegen der Unterschiede zwischen subjektiven Ebenen ,,werden ebenen-übergreifende Debatten selten beigelegt." Als eine Konsequenz ,,wird nichts, was in diesem Buch gesagt werden kann, uns überzeugen, dass eine [Theorie von Allem] möglich ist, außer man hat bereits eine Berührung von [transpersonaler Erkenntnis], die unsere kognitive Palette einfärbt."[28] Noch vor kurzem hat Wilber seine Ansicht stärker verfochten und hat sie mit dem Konzept von Höhe beschrieben.[29] Mit anderen Worten: ein fortgeschrittenes Bewusstsein zu haben, ist notwendig zur Gewinnung größerer intellektueller Erkenntnis dessen, wie der Kosmos funktioniert. Durch das Zulassen eines höheren Blickwinkels wird eine überragende Ansicht des Ganzen zugelassen. Rationales Argumentieren ist nicht genug.

Dies ist eine problematische Verschmelzung von intellektueller und spiritueller Erkenntnis. Wilber benützt die Spiraldynamik und sein eigenes Entwicklungs-Schema, um intellektuelles und spirituelles Erreichen zu vermischen. Doch was ist mit Denkern wie Habermas, Max Weber, Foucault und Piaget? Hatten sie irgendwelche ausgeprägte spirituelle Verwirklichung? Nicht dass ich davon wüsste. Und was ist mit zeitgenössischen Eingeweihten wie Ramana Maharshi, Ramesh Balsekar oder Poonjaji? Schufen sie großartige soziale Analysen? Nein. Tiefgründige spirituelle Eingeweihte haben nicht notwendigerweise überragende wissenschaftliche Theorien. Diese Mutmaßung eines Zusammenfließens zwischen überragendem Denken und spiritueller Verwirklichung ist der Grund, dass Wilber Plato, Plotin und Aurobindo als Individuen und Gelehrte erhöht. Er unterstellt, dass die Gültigkeit ihres philosophischen Werkes mit ihren spirituellen Verwirklichungen verbunden ist, es gibt jedoch keine notwendige Korrelation zwischen den beiden.

Diese problematische Denkweise hat ihre Gefahren. Denn auf welcher Basis akzeptiert man Wilbers Einstufung der Bewusstseins-Ebenen in erster Linie? Wird die Einstufung akzeptiert wegen ihrer Genauigkeit, die durch Argumente und Beweise für gültig erklärt wird, oder wird sie akzeptiert, weil das System den Hörer intuitiv anspricht? Wenn es den Hörer anspricht, dann ist der Hörer einer aus der spirituellen Elite (oder ein Möchtegern-Elitärer); wenn es den Hörer nicht anspricht, wird das System abgelehnt. Dies droht, es zu einem geschlossenen System zu machen. Diejenigen, die ,,es packen", werden innerhalb seiner arbeiten und nicht die Grundlagen hinterfragen. Indem man es packt, schließt man sich der spirituell-intellektuellen Elite an und wie Wilbers Kritiken von jenen zeigen, die tiefer auf der Entwicklungs-Hierarchie stehen, ist Herablassung eine einfache Option. Jene, die ,,es nicht packen", werden es jedoch ignorieren, es sei denn, es wird zu mächtig, um ignoriert zu werden. Wilber versteht das unbedingt, wie sein gerissen strategischer Gebrauch seines eigenen Werks aufzeigt. Er fasst seine Ideen wiederholt in verbraucher-freundlichen Formen zusammen, die dabei helfen, sie weit bekannt zu machen, indem er sie sogar peinlicherweise in sein Herz zerreißendes Buch über den Tod seiner Ehefrau einfügt. Und in seinem Versuch, ein Integrales Institut aufzubauen, in dem junge Gelehrte, die mit seinem System ausgewählt werden, Geld bekommen können, es einzusetzen und in den Vordergrund zu stellen, zeigt er, dass er versteht, dass neue intellektuelle Ideen oft erfolgreich sind, indem sie vorherrschende intellektuelle Perspektiven ersetzen anstatt sie als falsch zu beweisen.

Diese Unterscheidung zwischen Denken und Sein wirft einen subtileren Gesichtspunkt auf, der Wilbers gesamtes Projekt betrifft. Während er möchte, dass sein Denken eine wesentlich spirituelle Erkenntnis validiert und voranbringt, findet Wilbers gesamte Arbeit im Reich des Denkens statt. Die Niederschriften sind Ideen, in Sprache geschrieben und mit Begründungen argumentiert. Er argumentiert für eine spirituelle Erkenntnis, die das Wesen der Existenz begreift, dennoch sind seine Argumente und die Gesamtheit seines Systems ein Gedanke, der seine Existenz dem Reich des Denkens verdankt. Während Wilber Sprache in Anspruch nimmt, um zu behaupten, dass spirituelle Erfahrung das Ganze erfasst, ist es in der praktischen Wirklichkeit sein Denken, das versucht, das Ganze in der Form seines Systems zu erfassen. Ohne die gedruckte Seite, das gesprochene Wort, die Gedanken, die sie erschaffen und die Sprache, die ihnen allen gestattet zu existieren, gibt es keine integrale Synthese, überhaupt kein Verständnis. In Wilbers Werk ist es der Verstand, der den Kosmos erfasst, nicht der Geist.

Werte und Hierarchie

Die Werte, die Wilbers System zu Grunde liegen, sind oft eher gemutmaßt als argumentiert. Wenn, wie er sagt: ,,einige Dinge in der Tat relativ besser als andere Dinge sind, und zwar immer," was ist dann das Wertekriterium, das über Besser und Schlechter entscheidet? Eigentümlich für Wilbers gesamte Betonung auf höheres Bewusstsein, Tatsachen/Werte-Verbundenheit und die qualitative Einzigartigkeit der Subjektivität sind seine Kriterien für besser und schlechter quantitativ: mehr ist besser. Je mehr auftauchende Eigenschaften ein Holon umfasst, desto komplexer ist es. Je komplexer ein Holon ist, desto höher oder besser ist es in Wilbers Holarchie. Zunehmende Komplexität wird als die evolutionäre Tendenz der Natur behauptet. Das Molekül schließt die Atome innerhalb seiner ein und fügt neue Eigenschaften hinzu; deshalb ist es komplexer. Die Zelle macht dasselbe mit den Atomen und Molekülen in ihr. Weshalb ist mehr besser? Es gibt keine Erklärung; es wird nur gemutmaßt. Diese Mutmaßung sagt nichts über den Kosmos aus, sie sagt uns aber etwas über Wilbers Befangenheit. Wenn man auf diese Weise urteilt, werden menschliche Wesen als die höchstentwickelten Geschöpfe im Kosmos beurteilt. Wilbers Kriterium lässt zu, dass er aus der unübersehbaren Vielzahl von evolutionär geschaffenen Geschöpfen eine Vision gestaltet, in der es so scheint, als steuere der gesamte Kosmos auf das Produzieren von uns Menschen hin. Es scheint ein unglaubwürdiges Zusammentreffen zu sein, dass aus den Millionen von Typen von Geschöpfen, die existieren, diejenigen, die ein Wertesystem konstruieren, um alles in einer Hierarchie zu platzieren, zufällig entscheiden, dass sie selbst die Höchsten in diesem Wertesystem seien.

Zusätzlich zu seiner Arten-Befangenheit implizieren Wilbers Kriterien der Bewertung ebenso eine positive Bewertung seines Projekts und seiner selbst. Wenn die Weite der Einschließung der Standard ist, durch welchen man bewertet, was besser oder schlechter ist, dann ist Wilbers intellektuelles Projekt - eine Theorie von Allem - das großartigste Projekt, das versucht und erfolgreich durchgeführt wurde. Dasselbe gilt für Wilbers spirituelle Errungenschaften. Wie in seinem Tagebuch beschrieben, hat er den höchsten, inklusivsten Bewusstseinszustand geschmeckt und er verbleibt meistens darin. Daher sind sein eigener Standard der Einschließung, sein intellektuelles Werk und seine Bewusstseinsebene die großartigsten, die man tun und sein kann.

Werte und Entwicklungmodelle

Werte sind ebenso latent im Entwicklungsansatz, den Wilber in Anspruch nimmt. Modelle von individueller und gesellschaftlicher Entwicklung scheinen rein deskriptiv zu sein und erscheinen als wissenschaftlich und wertneutral. Aber jedes Modell der menschlichen Entwicklung trägt einen vorschreibenden Aspekt innerhalb seiner Beschreibungen. Weil jedes zu untersuchende Phänomen eine bunt gemischte Vielfalt ist, muss jedes Entwicklungsmodell jene Aspekte von dieser Vielfalt abziehen, die für den Forscher von Interesse sind. Die interessanten Aspekte müssen dann miteinander verbunden werden und als sich in einem Entwicklungsmuster entfaltend betrachtet werden. Der wichtigste Aspekt ist das Ziel oder die Endstufe der Entwicklungsfolge, die die Auswahl der vom Modell ein- oder auszuschließenden Phänomene organisiert. Das Modell selbst ist eine Abstraktion aus der tatsächlichen Vielfalt der empirischen Wirklichkeit und wird bedingungslos eine Entwicklungsnorm. Beim Definieren des Entwicklungsmusters benennt der Forscher bedingungslos jene Aspekte des Phänomens, die nicht dem Muster folgen, mit frühreif, zurückgeblieben, stagniert oder abnorm. Dennoch sind Frühreife, Regression, Stagnation oder Abnormität bloß als solche anzusehen in Bezug auf die Entwicklungsnorm, die definiert wurde durch das, was der Forscher wahlweise aus der Vielfalt der Phänomene in erster Linie abstrahiert hat.

Wilbers Unkenntnis des werte-beladenen Charakters aller Entwicklungsmodelle wird in seinem bekanntesten Schreiben demonstriert: ,,Die Prä / Trans - Täuschung".[30] In jenem Artikel unterscheidet Wilber die prä-rationale Spiritualität von Kindern, Primitiven und jenen, die in mythischen Religionen leben von der trans-rationalen Spiritualität von mystischen Eingeweihten. Wilber argumentiert, dass prä-rationale und trans-rationale Zustände durcheinandergebracht wurden, und das führte entweder zu einer Reduktion des Trans-rationalen auf das Prä-rationale, wie etwa bei dem ,,ozeanischen Gefühl" der Freudschen Psychoanalyse, oder zu einer Erhöhung des prä-rationalen zum trans-rationalen Zustand, wie bei Aspekten der Jungschen Psychologie. In dem einführenden Abschnitt dieses Artikels schreibt Wilber:

weil die Welt der Zeit die Welt des Fließens ist, sind alle Dinge in dieser Welt in einem ständigen Wechsel: Wechsel bedingt eine Art Unterschied von Zustand zu Zustand, eine Art von Entwicklung; daher können alle Dinge in dieser Welt nur als solche wahrgenommen werden, die sich entwickelt haben. Die Entwicklung mag vorwärts, rückwärts oder stationär sein, sie ist jedoch niemals vollständig abwesend. Kurz gesagt: alle Phänomene entwickeln sich, und daher ist wahre Phänomenologie immer evolutionär, dynamisch oder entwicklungsgemäß"[31]

Diese Sätze enthalten eine subtile und problematische Veränderung. Wechsel, eine Tatsache der Existenz, wird mit Entwicklung gleichgesetzt, obschon sogar das Wort Entwicklung die Nebenbedeutung von gerichtetem oder gemustertem Wechsel durch die Zeit hat. Wechsel und Entwicklung können nicht gleichgesetzt werden, weil wir uns sicherlich einen zufälligen Wechsel vorstellen können, so etwa wie der Wechsel bei Zahlen, die ein Zufallsgenerator hervorbringt, wobei keine Entwicklung gezeigt wird. Uns wird gesagt, dass Entwicklung stationär sein kann; und während es stationäre Entwicklung geben kann, kann es auch stationären Wechsel geben? Es hört sich an wie ein Widerspruch in sich. Diese Unterscheidung zwischen Wechsel und Entwicklung ist dem werte-geladenen Charakter des Wortes Entwicklung geschuldet, der einen Wechsel über die Zeit suggeriert, dessen Charakter als fortschreitend, rückschreitend oder gleichbleibend gilt. Alle Dinge wechseln, wie Wilber sagt, um jedoch Entwicklung abzuschätzen, benötigen wir irgendein Kriterium für fortschreitend und rücklaufend, um ein Werturteil zu fällen.[32]

Schlussfolgerung

Orientierende Verallgemeinerungen sind das bereits vereinbarte Wissen, das Gelehrte in spezifischen Feldern als wahr annehmen, sowie sie die Themen debattieren, in welchen sie sich unterscheiden. Wilber trägt vor, dass seine integrale Synthese aus dem ,,einfachen aber handfesten" Hintergrund-Wissen aufgebaut ist und dass es daher die Validität hat, die die Natur-, Sozial- und spirituellen Wissenschaften beschaffen können. Die Forschung in diesem Buch demonstriert, dass Wilber nicht Gebrauch macht von den orientierenden Verallgemeinerungen der Wissenschaften, wie er es behauptet. Als eine Ersatzbeschaffungs-Methode zitiert er einige große Namen der Wissenschaft. Weil er nicht die Autorität der orientierenden Verallgemeinerungen hat, tendiert Wilber dahin, die Perspektiven zu karikieren, die anders sind als seine und damit begegnet er nicht den Problemen, die sie aufstellen würden, wenn sie stark formuliert würden. Er erschafft seine Synthese, indem er die Ideen zusammenwebt, die er als passend für seine Anschauung hält und bringt sie zusammen, um seine Synthese zu erstellen. Das ist problematisch, weil seine Synthese angeblich eine Transzendenz aller weniger einbezogenen korrekten Ansichten ist, tatsächlich jedoch schließt er jene aus, die nicht zu seiner besonderen Integration passen.

Dieses Problem mit der Methode der orientierenden Verallgemeinerungen geht über die unzulässige Anwendung der Methode hinaus; das Kapitel zeigt, dass die Methode überhaupt nicht funktionieren kann. Und zwar deswegen, weil das bereits vereinbarte Hintergrundwissen der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nur von denjenigen innnerhalb der gegebenen Disziplin akzeptiert wird. Es kann immer andere Akademiker in anderen Disziplinen geben, die das vereinbarte Wissen in einer Nachbar-Disziplin als ihren zu debattierenden problematischen Punkt ansehen.

Auf einer sogar noch fundamentaleren philosophischen Ebene mutmaßt Wilber, dass alle wahren Aussagen zusammenpassen sollten. Diese Mutmaßung setzt voraus, dass alle wahren Aussagen etwas gemeinsam haben, wie etwa eine Verbindung zu der Welt, wie sie in sich selbst ist. Es ist jedoch klar, dass es wahre Aussagen gibt, die sich gegenseitig widersprechen und die nicht versöhnbar sind durch den Appell auf irgendeine weitere inklusivere Perspektive.

Wilber sammelt das bereits vereinbarte Wissen der Wissenschaften, um eine Geschichte des Kosmos zu erzählen. Um eine Geschichte zu erzählen, braucht es immer eine Moral. Die Tatsachen der Wissenschaft werden nicht ihre eigene Geschichte erzählen und daher muss das Wertesystem des Erzählers zur Geltung gebracht werden. Wilber anerkennt die Rolle der Werte in seiner integralen Synthese, er vermittelt jedoch den Eindruck, dass seine Geschichte ihre Legitimität aus dem Gewicht des wissenschaftlichen Wissens gewinnt und dass das von ihm benützte Wertesystem aus den Tatsachen entsteht. Das ist wichtig für Wilbers gesamtes Projekt, weil er seine integrale Synthese als eine Transzendenz und Einschließung aller Teilwahrheiten aus allen wissenschaftlichen Disziplinen anbietet. Während die Befangenheit aller anderen Disziplinen den untergrabenden Wirkungen des Relativismus unterworfen ist, wird Wilbers integrale Synthese als eine Lösung für den Relativismus angeboten. Die traditionelle Lösung für den Relativismus ist eine Art von absolutem Wissen. Wilber versucht, den wahren Teil des Relativismus einzubeziehen, indem er ein relativ absolutes Wissen als eine Synthese anbietet.

Die Idee eines relativ absoluten Wissens wird als widersprüchlich empfunden und seine Kritik dessen, was er für Auswirkungen des Relativismus hält, wird als schwach aufgezeigt. Seine Methode der Validierung von Wissen durch die Inanspruchnahme von einem kommunalen Konsens ist nicht anders als eine pragmatische Rechtfertigung des Wissens, das von Denkern wie Richard Rorty oder Stanley Fish angenommen wird - von denen Wilber zu sagen pflegt, dass sie den Widersprüchen des Relativismus erlegen sind.

Das Problem der Werte ist genauso umstritten wie das Problem des Wissens innerhalb der Synthese. Der fundamentale Wert, der Wilbers Kriterien für die Bestimmung unterschiedlicher Ebenen des Fortschreitens in seiner integralen Hierarchie zugrunde liegt, ist bloß einer: mehr ist besser. Je mehr Merkmale ein Holon hat, desto höher steht es in seiner Hierarchie. Es wird jedoch niemals erklärt, weshalb mehr besser ist und es führt verdächtig zu einer höchsten Wertschätzung der Menschheit.

Uneingestandene Werte sind in allen Entwicklungsmodellen eingebettet. Werte entstehen nicht aus den Tatsachen und prägen sich selbst den Theoretikern auf, wie Wilber es unterstellt. Die Werte des Theoretikers kommen zuerst und gestatten es den Theoretikern, sein oder ihr Entwicklungsschema zu organisieren und zu entscheiden, was normale, abnorme und anomale Entwicklung ist. Diese Tatsache von Entwicklungs-Modellen ist verborgen innerhalb ihres wissenschaftlich klingenden Jargons und unterhöhlt ihre Ansprüche auf Wertneutralität.

Ein alternatives Kriterium der Validität wird in Wilbers Mutmaßung gefunden, dass Zunahmen in der Entwicklung unseres Bewusstseins oder Daseins eine erhabenere Vision davon zulassen, wie die Dinge laufen. Allerdings muss das Kriterium für die Unterscheidung der überragenderen von der niedrigeren Vision noch bestimmt werden, indem entschieden wird, welche Vision korrekt ist, indem man die Standardkriterien der rationalen Argumentation in Anspruch nimmt. Wilber bietet keine neuen Kriterien an. Dass eine Person ein fortgeschritteneres Bewusstsein hat, bedeutet nicht, dass ihr Verständnis von der Welt überragend ist.



Nachwort

In Erwiderung zu meiner Kritik hat Wilber angedeutet, dass die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen verdrängt worden ist durch seinen neuen integralen methodologischen Pluralismus.[33] Er verteidigt die Behauptung nicht (das macht es schwierig zu erwidern), dennoch werde ich sagen, dass er in der letzten Version seiner Theorie die Validität seines Vier-Quadranten-Modells(AQAL[34]) behauptet, das zuerst in SES ausgearbeitet wurde, was ich hier untersucht habe.

Bei der Anwendung des Konzepts der orientierenden Verallgemeinerungen von seiner neuesten Theorie aus erhebt sich die Frage, wie Wilber das AQAL-Modell konstruiert und rechtfertigt. Uns wird gesagt: ,,AQAL ist allerdings eine Metatheorie, die versucht, den größten Betrag an Material von einem integralen methodologischen Pluralismus aus zu integrieren, auf diese Weise wird die primäre Verfügung eines integralen Umfassens geehrt: Jeder hat Recht."[35] ,,Jeder hat Recht" bedeutet, dass jede Perspektive, die nicht rein spezifisch ist, einige Wahrheit hat, die akzeptiert und integriert werden muss. Das ,,jeder" bezieht sich auf ,,die Bestandteile der AQAL - Metatheorie, [die] die vorgeführten Phänomene (subjektiv, objektiv und interobjektiv) sind und die durch buchstäblich Dutzende von altehrwürdigen Methodologien, Verfügungen, Paradigmen und Praktiken verursacht wurden." [36] Das fehlende Stück ist jedoch, wie die vielen Ergebnisse aus den ,,altehrwürdigen Methodologien" zusammengepflückt werden, um die Wahrheiten von den Unrichtigkeiten zu trennen und auf diese Weise sein AQAL - Modell zu konstruieren. Das ist die Arbeit, die die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen wirklich in der SES- Ära oder Wilber-4 verrichtet hat. Wir haben immer noch das bekannte AQAL, Vier-Quadranten-Modell, haben jedoch die Methodologie verloren, die vermutlich benützt wurde, um es zu konstruieren und zu rechtfertigen.

Mark Edwards hat eine unterschiedliche und effektivere Kritik von Unverhüllter Ehrgeiz angeboten.[37] Er legt dar, dass Wilbers Methodologie eine des Systemdenkens ist und die Tradition der Systemtheorie hervorruft. In meiner Erwiderung zu Edwards akzeptierte ich die Richtigkeit seines Standpunktes, dass das System-Rahmenwerk ausschlaggebend die Konstruktion von Wilbers Modell informiert, obschon Wilber nicht ausdrücklich die methodologische Rolle akzeptiert, die das Systemdenken in seinem Werk spielt, und er behandelt es stattdessen wie einen weiteren Typ des Wissens, der integriert werden muss. Wilbers Inanspruchnahme von Arthur Koestler, Erich Jantsch und Ervin Laszlo demonstriert die strukturierende Rolle, die das Systemdenken bei der Konstruktion seines Vier-Quadranten-Modells spielt. Ich fügte jedoch hinzu, dass die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen ebenfalls benützt wird und dass die beiden Methoden miteinander in Konflikt stehen. Das evolutionäre entwicklungsgemäße System-Rahmenwerk wird sogar übernommen, als die orientierenden Verallgemeinerungen aus dem Hochschulbetrieb es nicht unterstützen. Ich bot als ein Beispiel den Mangel an Gelehrten an, die an die Art der menschlichen sozialen Entwicklung glauben, die für Wilbers Modell entscheidend ist. [38]


Literaturhinweise

[1] In seiner Erwiderung auf meine Kritik unterstellt Wilber, dass die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen durch seinen neuen integralen methodologischen Pluralismus ersetzt worden ist. In einem Nachwort zu diesem Kapitel erkläre ich, weshalb ich meine, dass die Methode der orientierenden Verallgemeinerungen relevant verbleibt.

[2] Wilber, Ken, Sex, Ecology, Spirituality (SES), (Boston: Shambhala Publications, 1995), p. ix.

[3] Zusätzlich zu der Bedeutung, die der Methode in beiden Ausgaben von SES (1995, 2000) zugeschrieben wird, hebt Jack Crittenden die Methode in seinem lobenden Vorwort zu Wilbers Das Auge des Geistes, (Boston: Shambhala Publications, 1997) hoch empor. Wilber druckt dann Crittendens Vorwort wieder ab in seinem Tagebuch mit dem Titel Einfach das: Die Tagebücher von Ken Wilber (Boston: Shambhala Publications, 1999).

[4] Wilber, SES, p. ix.

[5] Wilber, The Eye of Spirit, p. 354.

[6] Meine Beschreibung dieser aktuellen akademischen Praxis fällt mit Wilbers eigener Beschreibung seiner Lesegewohnheiten zusammen. Er sagt: ,,Gewöhnlich versuche ich, am Tag zwei bis vier Bücher durchzunehmen, was bedeutet, dass ich sie sehr schnell überfliege, indem ich ein paar Notizen mache, wo es nötig ist. Wenn ich ein sehr wichtiges Buch finde, werde ich langsamer und verbringe eine Woche oder mehr mit ihm und mache ausführliche Notizen. Wirklich gute Bücher pflege ich drei oder vier Mal zu lesen." (Einfach das, p.122.) Ich vermute, dass Wilber eine Menge Bücher überfliegt, indem er nach denen sucht, die mit seinen intellektuellen Vorlieben übereinstimmen. Er studiert dann jene Bücher sorgfältig und fügt zusammen, was sie sagen, um nach seinem Geschmack ein Bild von der Welt zu schaffen.

[7] Wilber, SES, pp. 72-73.

[8] Goodman, Nelson, Ways of Worldmaking, (Indianapolis: Hackett Publishing, 1978), pp. 2-3.

[9] Blais, Andrew, On the Plurality of Actual Worlds, (Amherst: UMass Press, 1997).

[10] Cirillo, Leonard and Wapner, Seymour, eds., Value Presuppositions in Theories of Human Development, (Hillsdale, N.J.: L. Erlbaum Associates, 1986).

[11] White, Hayden, The Content of the Form, (Baltimore: John Hopkins University Press, 1987).

[12] Wilber, SES, p. viii.

[13] Wilber, SES, p. xi.

[14] Wilber, SES, p. ix.

[15] Wilber, SES, p. iv.

[16] Wilber, SES, p. x.

[17] Rorty, Richard, Consequences of Pragmatism, (Minneapolis: University of Minnesota, 1982), p.166.

[18] Rorty, Consequences, p. 167.

[19] Harre, Rom and Krausz, Michael, Varieties of Relativism, (Oxford: Blackwell, 1996).

[20] Harre and Krausz, Varieties of Relativism, p. 33.

[21] Harre and Krausz, Varieties of Relativism, p. 23.

[22] Wilber, SES, p. 202.

[23] Wilber, SES, p. 203.

[24] Die drei Stränge werden vollständiger in Kapitel 4 untersucht.

[25] Richard Rorty gibt einen Bericht von dieser Debatte in seiner Philosophie und der Spiegel der Natur, (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1979).

[26] Wilber, SES, p. 653.

[27] Beck, Don and Cowan, Chris, Spiral Dynamics, (Cambridge, MA: Blackwell Business, 1996).

[28] Wilber, Ken, A Theory of Everything, (Boston: Shambhala Publications, 2000), p. 14.

[29] Wilber, Ken, "What We Are, That We See. Part I," at www.kenwilber.com/blog/show/46

[30] Wilber, Ken, "The Pre/Trans Fallacy," ReVision, vol. 3, nr. 2., 1980, pp. 51-73.

[31] Wilber, Ken, Eye to Eye, (New York: Anchor Books, 1983), p.202.

[32] Wilber und Michael Washburn haben die Verdienste von Wilbers Idee der Prä/Trans-Täuschung debattiert. Siehe Ken Wilber in Dialogue, edited by Donald Rothberg and Sean Kelly, (Wheaton IL: Quest Books, 1998).

[33] Wie es Wilber farbig ausdrückt: ,,Hey, habt ihr die eine gesehen, wo ein Kritiker sagte, dass meine Methodologie aus ,,orientierenden Verallgemeinerungen" besteht und dann die orientierenden Verallgemeinerungen auf Teufel komm raus angreift? Oder vielmehr gab er einen wirklich peinlichen, grünen, Widerspruch durchführenden Versuch, es zu tun. Ich frage mich, ob sein [sic] Bursche jemals von dem Integralen Methodologischen Pluralismus gehört hat, der mindestens 8 unterschiedliche Methodologien in Anspruch nimmt." Ken Wilber, "What We Are, That We See. Part I," at http://www.kenwilber.com/blog/show/46

[34] Wilber definiert ,AQAL (ausgesprochenah quil), was die Kurzform ist von ,,alle Quadranten, alle Ebenen, alle Linien, alle Zustände, alle Typen."' ,,Auszug B: Die vielen Weisen, wie wir berühren.Teil I" at http://wilber.shambhala.com/html/books/kosmos/excerptB/part1.cfm

[35] Wilber, "Excerpt B."

[36] Wilber, "Excerpt B."

[37] Edwards, Mark, "Meyerhoff, Wilber and the Post-Formal Stages," at http://www.integralworld.net/edwards25.html

[38] Meyerhoff, Jeff, "What's Worthy of Inclusion?," at http://www.integralworld.net/meyerhoff3.html



© Jeff Meyerhoff 2006